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13.03.24  Die Tagesschau behauptet, Schimpansen seien vergleichbar intelligent wie Schulkinder

Am 19.12.2023 wusste ich beim Lesen von tagesschau.de nicht recht, ob ich lachen oder weinen soll: Es ging nämlich darum, dass die vermeintlichen Vorfahren von Mensch und Schimpanse ein erstaunliches Langzeitgedächtnis gehabt hätten und dass die kognitiven und emotionalen Fähigkeiten von Schimpansen angeblich Kindern im Alter von fünf bis sechs Jahren entsprechen. Dies entspricht jedoch nicht den Tatsachen, auch wenn Schimpansen tatsächlich erstaunliche Erinnerungsleistungen an Artgenossen aufweisen. Solche Erinnerungsleistungen sind jedoch so unsystematisch im Tierreich verteilt, dass sie sich nicht als Argument für eine gemeinsame Abstammungsgeschichte von Schimpanse und Mensch eigenen. Doch der Reihe nach.

Lewis und Kollegen hatten im Dezember 2023 in PNAS eine Studie vorgestellt, in der sie 26 Schimpansen Fotos von Artgenossen gezeigt hatten, die sie seit mindestens 9 Monaten nicht gesehen hatten. Um die Aufmerksamkeit der Schimpansen und Zwerg-Schimpansen (Bonobos) zu untersuchen, wurde das sogenannte „Eye-Tracking“ angewendet. Die Tiere bekamen über einen Schlauch Fruchtsaft zum Schlürfen, um sie ruhig zu halten. Währenddessen zeigte man ihnen je zwei Fotos von einem Schimpansen, den sie bisher nie gesehen hatten, und von einem Artgenossen, den sie zwar kannten, mit dem sie aber längere Zeit keine Begegnung mehr gehabt hatten. Mittels Kamera nahm man die Augenbewegungen sowie das Verhalten der Tiere auf und schlussfolgerte dann von vermehrtem Blickkontakt mit dem Foto auf gesteigertes Interesse. Dies ist ein bekanntes Verfahren in der verhaltensbiologischen Forschung.

Und tatsächlich betrachteten die Tiere ihnen bekannte Artgenossen 11 % bis 14 % länger und hörten in seltenen Fällen sogar mit dem Trinken auf (vgl. Lewis et al. 2023, 1–3, Fig. 4; Vieweg 2023). Die Zwergschimpansin „Louise“ erinnerte sich nach 26 Jahren noch an eine Schwester und einen Neffen. Damit stellten die Schimpansen einen neuen Rekord für das Erinnern an Artgenossen im Tierreich auf. Bei Zwergschimpansen lag bisher der Rekord für das akustische Wiedererkennen von Artgenossen bei 5,5 Jahren (Lewis et al. 2023, 5f). Bei Menschen hingegen gelingt die Wiedererkennung von Mitmenschen über 40 Jahre lang (Bruck 2013, 2).

Lewis et al. (2023, 1) konnten außerdem „signifikante, aber schwache Hinweise“ darauf finden, dass die Dauer des Blickkontaktes damit korrelierte, wie positiv die Beziehung zu dem erblickten Artgenossen früher gewesen war (basierend auf Aussagen der Betreuer und Forscher; ebd., 4). Sich daran zu erinnern, ob die bisherigen Begegnungen mit einem Artgenossen positiv oder negativ waren, ist nebenbei bemerkt eine wichtige Fähigkeit für alle Tiere, die in sozialen Gruppen leben (Stichwort: „tit for tat“ – „wie du mir, so ich dir“; vgl. auch Lewis et al. 2023,1; Bruck 2013, 2). Selbst Papierwespen der Art Polistes fuscatus erkennen die „Gesichter“, bzw. Maskenzeichnungen ihrer individuellen Artgenossen (Sheehan & Tribbetts 2011, 272). Auch Schafe sind in der Lage, das Gesicht von Artgenossen und auch Menschen zu erkennen (Knolle et al. 2017, 1).

Tatsächlich ist das Erinnerungsvermögen bei Schimpansen eine beachtliche Leistung. Unpassenderweise wurde die Gelegenheit in reflexartiger Manier genutzt, um für die gemeinsame Abstammungsgeschichte von Schimpansen und uns Menschen zu argumentieren – sowohl in wissenschaftlichen Zeitschriften wie der PNAS als auch in populärwissenschaftlichen Medien wie wissenschaft.de oder tagesschau.de (vgl. Lewis et al. 2023, 1; Vieweg 2023; Witting 2023). Dazu ein Zitat aus tagesschau.de (Witting 2023): „Da das ausgeprägte soziale Gedächtnis sowohl bei Menschen als auch bei Menschenaffen vorliegt, geht die Anthropologin Lewis davon aus, dass schon der gemeinsame Vorfahre von Affe und Mensch vor mehreren Millionen Jahren über diese Sozialkompetenz verfügte. Die Anthropologin vermutet sogar, dass Menschenaffen verlorene Freunde sogar vermissten.“ Noch weiter geht aber die folgende Aussage, bei der Witting (2023) im tagesschau.de-Artikel auf die Neurobiologin Ilka Diester von der Universität Freiburg verweist: „So stünden Schimpansen und Bonobos emotional und kognitiv etwa auf einer Stufe mit fünf- bis sechsjährigen Kindern.“

An diesen beiden Zitaten gibt es allerdings ganz wesentliche Punkte, die kritisch kommentiert werden müssen.

Im ersten Zitat wird eine gemeinsame evolutionäre Abstammung von Menschen und Schimpansen unterstellt, und zwar mit der Begründung, es gebe Ähnlichkeiten in der Fähigkeit sich an Artgenossen zu erinnern. Das ist ein Darwin-typisches Ähnlichkeitsargument. Merkmalsähnlichkeiten sind jedoch selbst im Rahmen eines evolutionären Weltbildes keineswegs ein zwingendes Indiz für Verwandtschaft (das sogenannte Konvergenz-Problem; vgl. Junker & Widenmeyer 2021). Davon abgesehen wird bei Ähnlichkeiten von Körperbau, Verhalten, Kommunikation und Kognition von Evolutionsbiologen und Wissenschaftspresse in Bezug auf Schimpansen häufig inkonsistent argumentiert. Ähnlichkeiten mit dem Menschen werden oft überbetont und Unterschiede häufig verschwiegen. Kommen dieselben Fähigkeiten aber bei anderen Affenarten oder stammesgeschichtlich weiter entfernten Säugetieren oder Vögeln vor, wird daraus kein Argument für gemeinsame Abstammung abgeleitet (vgl. zu der Thematik: Scholl 2018; 2021; 2022; 2023a; 2023b und Brandt 2021; 2023).

Dies wird auch beim Erinnerungstest sichtbar. Die bisherigen Rekordhalter waren nämlich keinesfalls Affen, sondern Delfine (Vieweg 2023): Bei Großen Tümmlern wurde nachgewiesen, dass sie sich bis zu 20 Jahre an den Erkennungspfiff eines bestimmten Artgenossen erinnern können (vgl. Bruck 2013; Ravn 2013; Lewis et al. 2023, 1+5). In sieben Fällen war die Reaktion der Delfine auf den Erkennungspfiff „alter Bekannter“ von vor über 15 Jahren mindestens so stark, wie Reaktionen auf Artgenossen, die sie noch in den letzten fünf Jahren gesehen hatten (vgl. Bruck 2013, Fig. 1). Die Dauer der Trennung spielte also keine Rolle (ebd.)

Lange Erinnerungszeiten an Artgenossen sind außerdem auch bei den zu den Krallenaffen gehörenden Lisztaffen (bis 4,5 Jahre) sowie bei Seebären und Australischen Seelöwen bekannt (vgl. Bruck 2013, 2; Matthews & Snowdon 2011, 1). Japanmakaken können sich 3 Jahre an Artgenossen erinnern; dies gilt auch für Rabenvögel, die sich außerdem an die Qualität einer Beziehung erinnern (Bruck 2013, 1f; Lewis et al. 2023, 1+5). Campbell-Meerkatzen erinnern sich möglicherweise 4 Jahre (ebd.). Es gibt außerdem anekdotische Beobachtungen, dass sich Elefanten über 10 Jahre und Tüpfelhyänen über ein Jahr an Artgenossen erinnern. Auch Orang-Utans und Schafe und sogar Manta-Rochen verfügen über eine soziale Langzeiterinnerung (Lewis et al. 2023, 6; Perrymann et al. 2019). Paviane können sich an 3.500 bis 5.000 Bilder monatelang erinnern und Tauben können sich immerhin zwischen 800 und 1.200 Bilder merken (Fagot & Cook 2006). Makaken können sich 6 Monate später noch an Bilder erinnern, die sie nur 30 Sekunden gesehen hatten (ebd.). Und bei der Art Kiefernhäher vermutet man, dass sie mittels ihres Gedächtnisses im ganzen Winter auf geschätzt 3.000 bis 6.000 Verstecke zurückgreifen können (ebd.)

Lewis und Kollegen kennen viele dieser Befunde, doch leider wischen sie diese einfach mit der für Evolutionsbiologen typischen Bemerkung vom Tisch, es sei „möglicherweise ein Hinweis auf konvergente [mehrfach unabhängig entstandene] Evolution“ (S. 1; vgl. S. 6).

Aus evolutionsbiologischer Perspektive ergibt sich daraus folgende Schwierigkeit, wenn man von ähnlichen Fähigkeiten bei Schimpansen auf eine gemeinsame Abstammung mit dem Menschen schließen will: Delfine gehören zu den Walartigen, während Menschen und Schimpansen nach evolutionärem Verständnis zu den Primaten zählen. Walartige und Primaten sollen sich aber vor ca. 87 Millionen radiometrischen Jahren (MrJ) auseinander entwickelt haben (Foley et al. 2016, Fig. 1). Würde man diese kognitive Ähnlichkeit zwischen Delfinen und Menschen genauso deuten wie bei Schimpansen, dann hätte bereits ein Ur-Säuger in der Oberkreide entsprechende Fähigkeiten besessen haben müssen. Doch so denkt natürlich keiner, weil das selbst für Evolutionsbiologen absurd klingt.

Außerdem sei noch angemerkt, dass ohnehin keiner weiß, was genau die Schimpansen dabei denken oder fühlen, wenn sie sich an einen Artgenossen erinnern (vgl. Scholl 2024, preprint; Vieweg 2023).

Die zweite zitierte Behauptung aus tagesschau.de geht sogar so weit, dass Schimpansen angeblich emotional und kognitiv auf einer Stufe mit Kindern im Alter von 5 bis 6 Jahren stünden. Das schlägt nun wirklich dem Fass den Boden aus! Kinder mit 6 Jahren gehen in die Schule. Die Liste an Fähigkeiten und Fertigkeiten, die sie im Unterschied zu Schimpansen besitzen – wie Sprechen, Lesen, Schreiben, ­­Beten etc. – wäre viel zu lang, um sie vollständig hier aufzuführen. Wer selbst, wie ich als Vater, mehrere eigene Kinder in der ersten Klasse erlebt hat, käme nie auf die Idee, sie kognitiv oder emotional mit Schimpansen zu vergleichen – ganz gleich wie beeindruckend manche Fähigkeiten dieser Menschenaffen auch sein mögen. Das Traurigste dabei ist allerdings, dass diese maßlose Übertreibung längst durch Studien widerlegt worden ist. Herman und Kollegen kamen im Jahr 2007 tatsächlich zu dem Ergebnis, dass Schimpansen bei verschiedenen kognitiven Tests ungefähr mit 2,5 Jahre alten Kindern gleich auf waren (s. Scholl 2018, 6ff). In sozialen Tests hängten aber selbst die Kleinkinder die erwachsenen Schimpansen ab (ebd.)! Und selbst neun Monate alte Säuglinge verstehen ihre Eltern nach bisherigem Wissensstand besser als dies bei erwachsenen Schimpansen untereinander der Fall ist (Stichwort: Theory of Mind; vgl. Scholl 2018, 7).

Vergleicht man gleichaltrige Schimpansen und Menschenkinder, so zeigt sich, dass Kleinkindern mit 2 Jahren im Vergleich mit gleichaltrigen Schimpansen bei Tests zur sozialen Kompetenz fast doppelt so gut abschneiden wie die Affen – und mit 4 Jahren sogar ungefähr dreifach so gut (Tomasello 2020, 49f). Die Nachverfolgung des Blicks eines Vorbildes können Babys 1 bis 2 Jahre früher meistern als Schimpansenjunge; mit 10 Monaten folgen Babys sogar konkret der Augenrichtung und nicht nur der Kopfrichtung wie Menschenaffen (Tomasello 2020 78f, 82). Dabei können sich Kleinkinder mit ca. 2 Jahren vorstellen, was das Gegenüber sehen kann; Schimpansen erreichen diese Kompetenz frühestens mit ca. 4 Jahren – und dass, obwohl ein Schimpansengehirn viel schneller ausreift ist als ein Menschengehirn (Tomasello 2020, 81+45).

Insgesamt ist es traurig zu sehen, auf welch niedrigem argumentativen Niveau dieser tagesschau.de-Artikel geschrieben worden ist. Leider fehlt vielen Menschen das Hintergrundwissen, um zu erkennen, wo es sich einerseits um pure evolutionäre Spekulationen handelt und wo andererseits zudem völlig unzureichend recherchiert worden ist. Dabei gibt es weiterhin viele gute Gründe, daran festzuhalten, dass Gott den Menschen einzigartig und „in seinem Bilde“ erschaffen hat. Diesem Mangel wollen wir als Studiengemeinschaft Wort und Wissen abhelfen.


Nachtrag vom 24.05.2024 zur Erkennung von Schädeln verstorbener Artgenossen:

Eine Studie von Gonçalves et al. (2022) zeigt, dass Schimpansen sogar Schädel von Artgenossen als Schimpansenschädel erkennen können. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass sie konkrete Individuen wiedererkennen, wie dies mithilfe von Fotos lebender Artgenossen nachgewiesen werden konnte (s. o.). Schlussfolgerungen bei Schimpansen auf mit Menschen vergleichbare kognitive Prozesse (wie z. B. im SPIEGEL [2010] unter dem Titel „Schimpansen trauern wie Menschen“) bleiben aber spekulativ. Doch was ist der Stand der Forschung zu Umgang und Erkennung von verstorbenen Artgenossen bei Schimpansen?

Schimpansen interagieren mit den sterblichen Überresten von Artgenossen sowie mit denen von anderen Tieren – meist reagieren sie dabei zuerst ängstlich und dann neugierig (Gonçalves et al. 2022, 3). Es wurde schon beobachtet, dass Schimpansen minutenlang bei einem Kadaver eines Artgenossen verharrten, den sie selbst getötet hatten, als sie später wieder darauf gestoßen waren (S. 3). Es ist aber unklar, ob die Schimpansen sich an den speziellen Artgenossen an sich erinnerten – auch eine Erinnerung an den Ort des Geschehens wäre ja denkbar. Es kann auch vorkommen, dass Schimpansenweibchen ihre verstorbenen Jungen tagelang mit sich herumtragen – ein Verhalten, das in der gesamten Ordnung der Primaten weit verbreitet (S. 3) und daher keine besondere Ähnlichkeit zwischen Schimpanse und Mensch ist. Manchmal bearbeiten Schimpansen die Schädel von erbeuten Affen auch mit Werkzeugen (zum Auslösen oder Säubern von Gehirn und Augen) (S. 15). Insgesamt sind die Verhaltensreaktionen von Schimpansen auf Kadaver aber zu unterschiedlich, um daraus allgemeine Regeln abzuleiten (vgl. S. 3), oder gar auf irgendeine Form von Trauer zu schließen, die mit der menschlichen vergleichbar ist – schließlich wissen wir nicht, was in diesen Momenten im Bewusstsein eines Schimpansen vor sich geht (vgl. Scholl 2024).

Gonçalves et al. (2022, 8) haben darüber hinaus in Experimenten mit 7 Schimpansen herausgefunden, dass diese den Fotos von frontalen Schädeln von Artgenossen eine höhere Aufmerksamkeit widmen als denen von anderen Tieren. Wie bei Menschen ist das Wiedererkennen von lateral oder schräg orientierten Schädeln bzw. Gesichtern weniger ausgeprägt, da sowohl Schimpansen als auch andere Affen und Menschen frontale Gesichter am besten wiedererkennen (vgl. S. 3+14). Sowohl Große Menschenaffen (Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans) wie auch Menschen blicken bei Artgenossen zuerst auf das Gesicht – Menschen tun dies aber länger (S. 14). Schimpansen haben bei Schädeln allerdings den Vorteil, dass die Eckzähne sehr deutlich zu erkennen und auch artspezifisch geformt sind. Und tatsächlich fixieren die Schimpansen die Zähne von Schädeln ganz besonders lange (S. 12). 

Bei Schimpansen und Menschen sind zwar dieselben Gehirnregionen an der Gesichtserkennung beteiligt (Gyrus fusiformis sowie Sulcus temporalis superior und lateraler occipitaler Cortex), bei Menschen ist die Gesichtserkennung aber lateralisiert (d. h. es gibt eine Spezialisierung der Hirnhälften) (Gonçalves et al. 2022, 15). Äthiopische Grünmeerkatzen haben interessanterweise ebenfalls eine Lateralisierung bei der Gesichtserkennung – aber im inferotemporalen Cortex (S. 15).

Aber nicht nur Schimpansen, auch Elefanten sind als soziale Tiere sehr auf Artgenossen bezogen – das gilt für alle drei heutigen Elefantenarten und erstreckt sich auch auf deren sterbliche Überreste (Gonçalves et al. 2022, 2). Dabei beschäftigen sich Elefanten stärker mit Knochen von Artgenossen als mit denen anderer Großwildarten – sie unterscheiden aber nicht, ob sie diese Artgenossen zu Lebzeiten kannten oder nicht. Die Beschäftigung der Elefanten mit den Kadavern verstorbener Artgenossen geschieht häufig (S. 15); es gibt sogar eine Studie, die ein ähnliches Verhalten von Rindern (Bos javanicus) berichtet (S. 2). Es wurde zudem beobachtet, wie Elefanten den Schädel eines Artgenossen 100 Meter weit weg transportiert haben (S. 2).

Bei allen Ähnlichkeiten, die bei der Erkennung von Schädeln bzw. Gesichtern zwischen Schimpansen und Menschen bestehen, weisen auch die Autoren um Gonçalves darauf hin, dass ebenfalls zwischen Schimpansen und Elefanten eine Reihe von Ähnlichkeiten bestehen: „Schimpansen und Elefanten haben einige merkwürdige Eigenschaften gemeinsam: Sie sind großhirnige, langlebige Tiere mit einer langen Entwicklungszeit, leben in komplexen Gesellschaften, sind in der Lage, sich selbst im Spiegel zu erkennen und zeigen ein anhaltendes Interesse an verletzten und toten Artgenossen … Verhaltensreaktionen wie physische Manipulationen am Leichnam, Wachehalten [„vigils“] und Besuche sind bei diesen beiden Taxa auffallend ähnlich …“ (S. 2). All diese Ähnlichkeiten sind allerdings auch aus evolutionärer Perspektive keine Argumente für eine nähere gemeinsame Abstammung, da die evolutionäre Verwandtschaft nur entfernt ist (nach Foley et al. [2016, Fig. 1] beträgt der evolutionäre Abstand zwischen Elefanten und Schimpansen 94,4 MrJ). Dies wiederum zeigt, dass vergleichbare Ähnlichkeiten zwischen Schimpanse und Mensch ebenfalls keine zwingenden Argumente für eine gemeinsame Evolutionsgeschichte der beiden sind.

 

Literatur:

Brandt M (2021) Gab es Vormenschen? Irrungen und Wirrungen in der Paläoneurologie, W+W Special Paper B-21-4, https://www.wort-und-wissen.org/artikel/vormenschen-palaeoneurologie/.

Brandt M (2023) Frühe Homininen. Eine Bestandsaufnahme anhand fossiler und archäologischer Zeugnisse. 2., stark überarb. Aufl. SCM Hänssler.

Bruck JN (2013) Decades-long social memory in bottlenose dolphins. Proc. R. Soc. B 280, 20131726.

Foley NM, Springer MS & Teeling EC (2016) Mammal madness: is the mammal tree of life not yet resolved? Philos. Trans. R. Soc. Lond. B Biol. Sci. 371(1699):20150140.

Gonçalves A, Hattori Y & Adachi I (2022) Staring death in the face: chimpanzees’ attention towards conspecific skulls and the implications of a face module guiding their behaviour. R. Soc. Open Sci. 9, 210349, https://doi.org/10.1098/rsos.210349.

Junker R & Widenmeyer M (Hrsg.) (2021) Schöpfung ohne Schöpfer? Eine Verteidigung des Design-Arguments in der Biologie. SCM Hänssler, v. a. das Kapitel: „Evolution ‚erklärt‘ Sachverhalte und ihr Gegenteil“.

Knolle F, Goncalves RP & Morton AJ (2017) Sheep recognize familiar and unfamiliar human faces from two-dimensional images. R. Soc. Open Sci. 4: 171228.

Lewis LS et al. (2023) Bonobos and chimpanzees remember familiar conspecifics for decades. PNAS 120, e2304903120.

Matthews S & Snowdon CT (2011) Long-term memory for calls of relatives in cotton-top tamarins (Saguinus oedipus). J. Comp. Psychol. 125, 366 –369.

Perryman RJY et al. (2019) Social preferences and network structure in a population of reef manta rays. Behavioral Ecology and Sociobiology 114, 1–18.

Ravn K (2013) Dolphins remember each other for decades, Nature News vom 07.08.2013, https://doi.org/10.1038/nature.2013.13519.

Scholl B (2018) Affe = Mensch? Ein Überblick über verhaltensbiologische Unterschiede zwischen Affen und Menschen, W+W Special Paper B-18-1, https://www.wort-und-wissen.org/artikel/verhalten-affe-mensch/.

Scholl B (2022) „Totales Chaos“: Unklare Abstammungsverhältnisse bei Menschenaffen und Menschen, W+W Special Paper B-22-2, https://www.wort-und-wissen.org/artikel/miozaene-affen/.

Scholl B (2023a) Beherrschen Schimpansen etwa doch Grammatik?, W+W-Onlineartikel vom 23.02.2022, https://www.wort-und-wissen.org/artikel/schimpansengrammatik/.

Scholl B (2023b) „Syntaxähnliche“ Struktur bei Schimpansen nachgewiesen, Genesisnet-News vom 15.06.2023, https://www.genesisnet.info/index.php?News=316.

Scholl B (2024) Gibt es eine Hummel-Kultur? Hummeln bestehen Lerntest für Schimpansen. Stud. Integr. J. 31, 43–47.

Sheehan M & Tibbetts E (2011) Specialized face learning is associated with individual recognition in paper wasps. Science 334, 1272–1275.

SPIEGEL (2010) Schimpansen trauern wie Menschen, vom 27.04.2010, https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/mitgefuehl-im-tierreich-schimpansen-trauern-wie-menschen-a-691367.html.

Tomasello M (2020) Mensch werden: Eine Theorie der Ontogenese. Übersetzt von Schröder J. Kindle Ausgabe. Suhrkamp.

Vieweg M (2023) Tierisch tiefes Erinnerungsvermögen an Freunde, wissenschaft.de vom 18.12.2023, https://www.wissenschaft.de/erde-umwelt/tierisch-tiefes-erinnerungsvermoegen-an-freunde/.

Wittig F (2023) Schimpansen erinnern sich an Freunde, tagesschau vom 18.12.2023, https://www.tagesschau.de/wissen/forschung/menschenaffen-erinnerung-schimpansen-bonobos-100.html.

 

(aktualisiert am 24.05.2024)

Autor dieser News: Benjamin Scholl

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