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20.10.22 Nobelpreis für Forschungen über das Erbgut aus menschlichen Fossilien
Von Harald Binder & Peter Borger Svante Pääbo, ein schwedischer Biowissenschaftler, der einen großen Teil seiner wissenschaftlichen Karriere in deutschen Forschungseinrichtungen verbracht hat, ist mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden. In der Öffentlichkeit ist Pääbo bekannt für seine Beiträge zur Erforschung des Erbguts des Neandertalers. In populären Medien ist viel davon zu lesen, dass damit die Evolution des Menschen besser verstanden sei. In einer kritischen Würdigung der Arbeiten von Pääbo wird hier darauf verwiesen, dass die genetischen Daten die Neandertaler im Variationsbereich des modernen Menschen (Homo sapiens) verorten (eine Position, die in der Paläanthropologie unabhängig von genetischen Daten vertreten wird). Die genetischen Daten aus menschenähnlichen Fossilien können auch aus einer Schöpfungsperspektive sinnvoll interpretiert werden. Der Nobelpreis für Physiologie und Medizin 2022 wurde dem schwedischen Immunologen Svante Pääbo (*1955 in Stockholm) zugesprochen. Das Nobelkomitee zeichnet den Wissenschaftler aus „für seine Entdeckungen, die das Erbgut ausgestorbener menschenähnlicher Lebewesen und die Evolution des Menschen betreffen“1. Svante Pääbo ist ein Sohn des schwedischen Mediziners und Biochemikers Sune Bergström (1916–2004), der 1982 gemeinsam mit zwei anderen Wissenschaftlern (B. I. Samuelsson und J. R. Vane) den Nobelpreis für Physiologie und Medizin für bahnbrechende Arbeiten über Prostaglandine erhalten hatte. Der Familienname geht auf die Mutter, die estnische Chemikerin, Karin Pääbo zurück. Für seine Promotion bearbeitete Svante Pääbo immunologische Fragestellungen an der Universität Uppsala. Sein eigentliches Interesse galt jedoch der Ägyptologie und allgemein der Geschichte des Menschen. So besorgte er sich ohne Kenntnis seiner Betreuer Proben von ägyptischen Mumien und begann darin nach Spuren von ihrer DNA zu suchen. Seine erste Arbeit über Hinweise auf Überreste von DNA in ägyptischen Mumien veröffentlichte er in einer Zeitschrift, die in der DDR herausgegeben wurde. Diese Arbeit fand allerdings keine Beachtung. Ganz im Gegensatz zu einem Beitrag, der ein Jahr später von der renommierten Zeitschrift „Nature“ akzeptiert wurde. Sogar das Titelbild der Ausgabe wurde dem Thema gewidmet. Nach kurzen Forschungsaufenthalten in Zürich und London trat Pääbo eine Postdoc-Stelle im Labor von Allan Wilson in Berkeley an, wo er die Technik der Polymerase-Kettenreaktion (PCR) nutzte – eine Methode, um DNA-Moleküle durch einen Kopiermechanismus zu vervielfältigen – um Erbinformation aus den fossilen Überresten ausgestorbener Tiere zu gewinnen. So konnte Pääbo zusammen mit anderen Autoren Daten zum Erbgut z. B. vom Quagga, Riesenfaultier und Mammut publizieren. Den Großteil seines Forscherlebens verbrachte Svante Pääbo in deutschen Forschungseinrichtungen: an der LMU in München (1990–1997) und seit 1997 am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, wo er als Direktor die Abteilung Evolutionäre Genetik leitet. Paläogenetik Mit den Untersuchungen von DNA-Bruchstücken mit Erbinformationen mumifizierter Überreste von Menschen hatte Pääbo den Grundstein für einen neuen Forschungsbereich gelegt, der Paläogenetik. In der Paläogenetik, also für die Untersuchung von Erbinformationen alter Lebewesen, sind keine heute lebenden Organismen verfügbar, sondern man ist auf Präparate aus Museumsbeständen oder auf entsprechende Fossilien angewiesen. Aufgrund der Geschichte der Proben, wie den an der Fossilisierung beteiligten Prozessen, ihrer Präparation und sonstigen Handhabungen enthalten die Proben wenig und massiv veränderte DNA neben einer unbestimmten Menge an DNA, die aus anderen Quellen stammt. Mit den Mitarbeitern seiner Arbeitsgruppen in München und Leipzig, z. T. auch mit internationaler Zusammenarbeit, konnte Pääbo zunächst DNA-Sequenzen aus Mitochondrien des Neandertalers bestimmen. Diese mitochondriale DNA (mtDNA) konnte in Proben aus dem namengebenden Typusexemplar des Neandertalers gewonnen werden. Die gewonnen Daten interpretierten die Autoren in dem Sinne, dass die Neandertaler ausgestorben waren, ohne genetische Spuren im modernen Menschen hinterlassen zu haben. Dies wurde oft in dem Sinne aufgenommen, als würde es sich um zwei verschiedene „menschliche Spezies“ handeln, die keine Fortpflanzungsgemeinschaft bildeten. Unter großem medialem Aufsehen wurden DNA-Sequenzen aus Proben von weiteren Neandertalerfossilien z. B. aus Osteuropa präsentiert, und schließlich konnte 2010 anhand der analysierten Sequenzdaten ein Genom von Neandertalern – unter Nutzung bereits bekannter Genome von Menschen und Großaffen – weitgehend rekonstruiert werden. Großes Aufsehen erregte auch die Veröffentlichung von DNA-Sequenzen aus einem fossilen Fingerglied bzw. später auch einem Backenzahn, die in der Denisova-Höhle im Altai-Gebirge in Sibirien gefunden worden waren. Diese Fragmente der Erbinformation wurden von Pääbo und seinen Kollegen so interpretiert, dass es sich um einen weiteren, bisher unbekannten und sowohl vom modernen Menschen als auch vom Neandertaler verschiedenen Menschentyp handeln müsse. In weiteren Veröffentlichungen schlossen die Autoren aus Vergleichen von Sequenzdaten, dass sowohl Neandertaler als auch der Denisova-Mensch mit Homo sapiens in Fortpflanzungsgemeinschaft standen und damit derselben Art, Homo sapiens, zugehörig sind. Diese Sicht über die Neandertaler kam aber nicht unerwartet, da archäologische Erkenntnisse eine zunehmende Anzahl von Fachleuten zu derselben Einschätzung führten (vgl. z. B. Frayer und Radovčić 2022). Sequenzvergleich einzelner Gene – gibt es Neandertaler-Gene? Svante Pääbo und seine Mitarbeiter konnten zeigen, dass in Neandertalern Varianten von Genen (Allele) vorhanden sind, die man auch bei heute lebenden Menschen findet. Wenn sie diese Allele addieren, dann kommen die Autoren auf ca. 4 % des Genoms, in denen sich im modernen Menschen Allele finden, die auch im Neandertaler nachgewiesen werden konnten. In seinem Buch „Die Neandertaler und wir – Meine Suche nach den Urzeit-Genen“ (Pääbo 2014) prägt der Autor bereits im Untertitel die Vorstellung von Genen, die für Neandertaler typisch sind. Die Sequenzdaten zeigen aber Varianten von Genen, die sich bei modernen Menschen und bei Neandertalern finden, also Allele. Die Bezeichnung „Neandertaler-Gene“ ist daher missverständlich und intendiert spezifische Gene, wobei die Auffassung naheliegend ist, dass es sich um Varianten von Genen handelt, die Neandertalern und Menschen gemeinsam sind. Es ist wichtig, die Begriffe „Gene“ und „Allele“ (Genvarianten) auseinanderzuhalten: Ein Gen ist die Erbinformation für bestimmtes Merkmal, ein Allel ist eine Variante eines Gens. Pääbo hat gezeigt, dass beim modernen Menschen teilweise die gleichen Allele zu finden sind wie beim Neandertaler. Es wurde festgestellt, dass einige dieser Allele mehr oder weniger mit Krankheit und Gesundheit korreliert sind (Gibbons 2016). Frei nach dem Motto: Leiden Sie unter Depressionen? Das könnte an Ihren Neandertaler-Genen liegen. Blasenschwäche? Neandertaler-Gene! Selbst einen schwereren Verlauf von Covid-19 konnte Pääbo mit „Neandertaler-Genen“ erklären (Zeberg & Pääbo 2020). Meldungen über positiv wirksame Einflüsse von „Neandertaler-Genvarianten“ gibt es zwar auch, erfahren aber weniger Aufmerksamkeit (vgl. Scholl 2020). Die Attraktivität solcher Erklärungen ist bei der Art und Weise von Diskussionen, wie sie derzeit häufig in der Öffentlichkeit geführt werden, nicht verwunderlich. Woher das „Neandertaler-Gen“ (bzw. das betreffende Allel) stammt, das für schwere Covid-Verläufe verantwortlich sein soll, bleibt ein großes Rätsel, da dieselbe Studie mit Sicherheit ausschloss, dass es von einem gemeinsamen Vorfahren stammen könnte. DNA des modernen Menschen und des Neandertalers fast identisch Im Jahr 2021 wurde durch den Vergleich tausender Sequenzen des modernen Menschen mit denen der Neandertaler deutlich, dass der moderne Mensch kein ganz anderes, einzigartiges Genom besitzt (Sánchez-Quinto et al. 2012). In seiner DNA-Sequenz wurden nur 1,5 % der Allele des modernen Menschen als einzigartig eingestuft (Borger 2021). Bedeutet das, dass 98,5 % der modernen Menschen Neandertaler sind? Nein, es bedeutet, dass 98,5 % der im Neandertaler-Genom gefundenen Variationen auch anderswo in der Population des modernen Menschen vorkommen. Möglicherweise erhöht sich dieser Prozentsatz, wenn man noch mehr DNA-Sequenzen einbezieht. Beim modernen Menschen ist kaum noch einzigartige DNA zu finden. Dies ist ein genetischer Beleg dafür, dass der Neandertaler – bei den bekannten Unterschieden in der bei ihm ausgeprägten Merkmalskombination – zum modernen Menschen Homo sapiens gehört. Wenn es keine spezifischen Neandertaler-Gene gibt, sondern nur Allele, worin besteht dann der Unterschied zwischen modernen Menschen und diesen Urzeitmenschen? Das ist eine berechtigte Frage! Beim Vergleich der Gesamt-DNA innerhalb moderner menschlicher Populationen konnten genetische Unterschiede von bis zu 12 % festgestellt werden (Borger 2021). Selbst innerhalb einer Population können sich zwei Personen, die miteinander Kinder haben, um mehrere Prozent unterscheiden. Dieser enorme Unterschied, der viele Millionen DNA-Buchstaben betragen kann, ist eher das Ergebnis von Indel-Mutationen, d. h. Mutationen, bei denen sich große Abschnitte der DNA verdoppeln oder verschwinden (Duplikationen und Deletionen), als eine Folge von Punktmutationen. Diese Indel-Mutationen, die durch genetische Mechanismen angetrieben werden, liegen superschnellen Anpassungsprozessen zugrunde (Borger 2018). Das Gen FOXP2, das beim Menschen einen Zusammenhang mit seiner Sprachfähigkeit zeigt, liegt auch beim Neandertaler vor und wird als genetischer Hinweis auf dessen Sprachfähigkeit gewertet (Krause 2007). Die von vielen Forschern dem Neandertaler zunächst nur eingeschränkt zugestandene Sprachfähigkeit war aber bereits zuvor aus verschiedenen archäologischen Fundzusammenhängen erwartet worden und spätestens seit dem Nachweis eines Zungenbeins gilt sie als gut begründet. Außerdem gibt es klare Anzeichen dafür, dass der Neandertaler wie der moderne Mensch 46 Chromosomen hatte, während alle Menschenaffen 48 Chromosomen besitzen (Miga 2017). Die gleiche Anzahl von Chromosomen, die gleichen Gene wie beim Menschen und die gleichen pathogenen Allele? Nichts Menschliches war den Neandertalern offenbar fremd. Svante Pääbo hat mit seiner Forschung einen neuen Forschungsbereich eröffnet, in dem Erbinformationen aus Überresten von Lebewesen zugänglich gemacht worden sind. Seine Arbeitsgruppe hat viel dazu beigetragen, dass die erhaltenen Daten an Vertrauenswürdigkeit gewonnen haben. Was die Interpretation der DNA-Sequenzen aus menschlichen Fossilien betrifft, so folgt Pääbo darin unkritisch den etablierten Evolutionsvorstellungen. Dies führt dazu, dass sich das, was er als Denkrahmen voraussetzt, dann auch in seiner Interpretation der genetischen Daten wiederfindet. Er hat in seiner Forschung keinen neuen, unabhängigen Hinweis darauf gefunden, der eine Entwicklung des Menschen aus affenähnlichen Vorfahren heraus beweisen würde. Einige Sichtweisen, die durch paläoanthopologische Forschungen bereits vorhanden waren, konnte er mit seinen Ergebnissen untermauern. Insgesamt hat er vor allem mit den Ergebnissen von Neandertalern deren große genetische Ähnlichkeit zum modernen Menschen unterstrichen. Die Ähnlichkeit interpretiert Pääbo mit vielen seiner Kollegen im Sinne einer menschlichen Evolution. Dies wurde in den Darstellungen der populären Medien noch verstärkt. Es bleibt jedoch festzuhalten, dass seine Resultate dem Gedanken einer Schöpfung der Menschen nicht widersprechen und auch von diesem Standpunkt aus interpretiert und verstanden werden können. Denn lange bevor entsprechende genetische Befunde vorlagen, konnte man aus Grundtyp-Perspektive bereits davon ausgehen, dass sich moderner Mensch und Neandertaler miteinander hatten fortpflanzen können, weil sie beide als regional unterschiedlich angepasste Nachfahren der von Gott erschaffenen Menschen sind. Wahrscheinlich unfreiwillig hat Pääbo damit einen wichtigen Beitrag zur Stützung des Grundtypenmodells in Bezug auf den Grundtyp Mensch geleistet, welcher moderne Menschen, Neandertaler, Denisova, Heidelberger Menschen, Homo floresiensis und Homo erectus und vielleicht noch andere unentdeckte Menschenformen umfasst. Anmerkung 1 „… for his discoveries concerning the genomes of extinct hominins and the human evolution”. Quellen Borger P (2018) Darwin Revisited – How to understand biology in the 21st century. Scholars Press. Borger P (2021) Kaum einzigartige DNA-Sequenzen im Erbgut des Menschen. Stud. Integr. J. 28, 134–135. Frayer DW & Radovčić D (2022) Rockshelter Discoveries Show Neandertals Were a Lot like Us. Scientific American, veröffentlicht am 01.02.2022, https://www.scientificamerican.com/article/rockshelter-discoveries-show-neandertals-were-a-lot-like-us/. Gibbons A (2016) Neanderthal genes linked to modern diseases. Science 351, 648-849. https://www.science.org/doi/10.1126/science.351.6274.648 Krause J, Lalueza-Fox C, Orlando L, Enard W, Green RE, Burbano HA, Hublin J-J, Hänni C, Fortea J, De la Rasilla M, Bertranpetit J, Rosas A & PääboS (2007) The derived FOXP2 variant of modern humans was shared with Neandertals Curr Biol 17(21):1908-12. https://doi.org/10.1016/j.cub.2007.10.008 Miga KH (2017) Chromosome-Specific Centromere Sequences Provide an Estimate of the Ancestral Chromosome 2 Fusion Event in Hominin Genomes. Journal of Heredity, 108, 45–52; https://doi.org/10.1093/jhered/esw039 Pääbo S (2014) Neanderthal Man. In Search of lost Genomes. 2914 Basic Books, New York. (deutsch: Die Neandertaler und wir. Meine Suche nach den Urzeit-Genen. S. Fischer, Frankfurt a. M.) Sánchez-Quinto F, Botigue LR, Civit S, Arenas C, Ávila-Arcos MC, Bustamante CD, Comas D & Lalueza-Fox C (2012) North African populations carry the signature of admixture with Neanderthals. PLoS ONE 7: e7765. https://doi.org10.1371/journal.pone.0047765 Scholl B (2020) Frauen mit „Neandertal-Genvarianten“ haben weniger Fehlgeburten. Stud. Integr. J. 27, 126. Zeberg H & Pääbo S (2020) The major genetic risk factor for severe COVID-19 is inherited from Neanderthals. Nature 587, 610–612. https://www.nature.com/articles/s41586-020-2818-3 Autor dieser News: Studiengemeinschaft Wort und Wissen Informationen über den Autor
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