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07.01.19  Schritte zum Leben ohne Enzyme?

Als Erklärungsansatz für eine natürliche Entstehung des Lebens wird derzeit die sogenannte RNA-Welt-Theorie favorisiert. Aufgrund ihrer Defizite wird aber auch ein prinzipiell anderer Ansatz untersucht: die „Stoffwechsel-zuerst“-Theorie. Demnach sollen nicht RNA-Moleküle, sondern   Reaktionsnetzwerke oder -zyklen (Stoffwechsel) aus kleinen organischen Molekülen zuerst entstanden sein. Die Forschungsgruppe um Joseph Moran veröffentlichte kürzlich zwei Artikel, in denen Prozesse, die im Zusammenhang mit der Kohlenstofffixierung stehen, als mögliches Modell für einen urtümlichen Stoffwechselweg vorgeschlagen werden. Die Autoren behaupten in ihren Ausführungen, wichtige Hinweise auf geochemisch plausible Vorgänge erhalten zu haben, die am Anfang des organismischen Lebens, wie wir es kennen, gestanden haben könnten. Hält das Modell einer kritischen Untersuchung stand?

Alle bekannten Lebensformen beruhen auf hochgradig komplexen und vernetzten biochemischen Vorgängen. Der reibungslose Ablauf dieser Vorgänge ist allerdings nur unter Beteiligung hochspezifischer und anspruchsvoll gebauter Proteine (Enzyme) möglich, die wiederum ihrerseits anhand der Information des Erbguts zusammengebaut werden. Zusammen mit weiteren unverzichtbaren molekularen Bausteinen (Cofaktoren, Fette, Zucker) erscheint die minimal erforderliche Komplexität von Organismen außerordentlich groß. Die unmittelbare Entstehung einer Urzelle („LUCA“, last universal common ancestor) durch natürliche Vorgänge erscheint daher keinem Wissenschaftler als plausibel. Folglich wird im Rahmen von evolutionstheoretischen Modellen angenommen, dass schrittweise chemische Vorgänge zunächst die unverzichtbaren molekularen Bausteine des Lebens hervorgebracht haben sollen, welche sich dann zu den aktuell bekannten biochemischen Funktionseinheiten und schließlich zu Organismen organisiert haben sollen. Hierbei haben sich im Wesentlichen zwei gegensätzliche Herangehensweisen zur Erklärung des Lebensursprungs herausgebildet: die „RNA-Welt“-Theorie1 und die „Stoffwechsel-zuerst“-Theorie.2

Auch wenn die Mehrheit der Lebensursprungsforscher die „RNA-Welt“ als Modell für den Anfang des Lebens bevorzugt, motivieren dessen mannigfaltige Erklärungsdefizite (Schmidtgall 2013), z. B. die ausgeprägte Labilität der RNA-Bausteine, zur Untersuchung der alternativen Idee, die allerdings auch zahlreiche schwerwiegende Schwächen aufweist. Die kritische Frage für „Stoffwechsel-zuerst“-Theorien stellt sich in Bezug auf katalytisch wirksame Proteine: Wie können Stoffwechselvorgänge am Anfang des Lebens gestanden haben, wenn alle derzeit bekannten vergleichbaren Vorgänge auf hochkomplexe Enzyme (katalytische Proteine) angewiesen sind? Ausgehend von dieser Fragestellung werden daher so genannte „enzymfreie“ Stoffwechselvorgänge untersucht, die als mögliche Modelle für einen Ursprung des Lebens ohne komplexe Proteine dienen sollen.

Aktuell befasst sich die Forschungsgruppe um Joseph Moran an der Universität Strasbourg (Frankreich) mit Experimenten, die wichtige experimentelle Daten für das Stoffwechsel-zuerst-Modell liefern sollen. Der Konzeption ihrer experimentellen Arbeit liegt die Annahme zugrunde, dass aktuell bekannte zentrale Stoffwechselvorgänge den erdgeschichtlich frühen Vorläufern sehr ähnlich oder gar mit ihnen identisch sind. Die Auffassung, dass die Chemie der urtümlichen Stoffwechselnetzwerke von derjenigen heutiger Organismen wesentlich verschieden war und sich erst später zur heutigen entwickelte, lehnt Morans Gruppe ab: „Obwohl diese Herangehensweise wichtig ist, schafft sie unvermeidlich eine tiefe Kluft zwischen der angeführten präbiotischen Chemie und der Biochemie heutiger Organismen, die sie eigentlich zu erklären sucht“ (Muchowska et al. 2017).

Als Untersuchungsgegenstand wählte die Gruppe um Moran Vorgänge, die mit der Kohlenstofffixierung im Zusammenhang stehen. Dabei handelt es sich um molekulare Prozesse, bei denen Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre aufgenommen wird, damit daraus Stoffe gebildet werden, aus denen Gewebe aufgebaut werden kann, wie es auch heute in Pflanzen und einigen Mikroorganismen geschieht. Die dabei gebildeten chemischen Verbindungen sind energiereich und dienen deshalb vielen anderen Organismen als Nahrungsquelle. Die Kohlenstofffixierung kann daher als Basis des heute existierenden Lebens aufgefasst werden und gilt deshalb auch als guter Kandidat für den chemischen Vorgang, der den Anfang für organismisches Leben, wie wir es heute kennen, gelegt haben könnte.

Da davon ausgegangen wird, dass die Atmosphäre zu Beginn der Erdgeschichte frei von Sauerstoff war, werden CO2-Fixierungsvorgänge in anaerob (ohne Sauerstoff) lebenden Mikroorganismen als mögliche „Wiege des Lebens“ betrachtet. Als besonders gut geeignete Kandidaten gelten hierbei der reverse Citratzyklus (rCZ) und der Wood-Ljungdahl-Weg (auch reduktiver Acetyl-CoA-Weg). Diese beiden physiologischen Vorgänge werden von anaerob lebenden Bakterien zur Synthese des chemischen Grundbausteins Acetat aus CO2 genutzt. In beiden Fällen handelt es sich um Stoffwechselwege, die nur in Abwesenheit von Sauerstoff ablaufen, da einige der beteiligten Enzyme sehr empfindlich gegenüber Oxidation durch Sauerstoff sind. Da alle beteiligten Enzyme bei weitem zu komplex für ein plausibles präbiotisches Szenario sind, wurden in der Gruppe um Moran Versuche unternommen, hypothetische enzymfreie Versionen des rCZ (zumindest teilweise) aufzubauen (Abb. 404). Der rCZ ist zudem von besonderer Relevanz, weil er autokatalytisch ist, d. h. dass in diesem Zyklus ein molekularer Baustein seine eigene Vermehrung katalysiert – in Analogie zu Organismen, die sich unter Aufnahme von Materie und Energie vermehren.

Befunde der Arbeit

In einer ersten Publikation zu diesem Thema (Muchowska et al. 2017) behaupten die Autoren, dass es ihnen gelungen sei, einen großen Teil des reversen Citratzyklus ohne Enzyme aufzubauen. Sie geben dabei an, sechs der elf Reaktionen, aus denen der reverse Citratzyklus aufgebaut ist, ohne Beteiligung von Enzymen und in Gegenwart weniger verschiedener Metallionen realisiert zu haben. Die Reaktionen konnten bei hohen Temperaturen (140 °C) und in stark saurem Milieu (pH = 0-1) durchgeführt werden. Die Autoren um Moran folgern, dass dieser Befund die Plausibilität eines enzymfreien rCZ-Wegs als präbiotischem Vorgang stützt und sind überzeugt, dass diese Ergebnisse Anlass zu der Hoffnung gäben, dass es – im Sinne einer zukunftsweisenden Perspektive – gelingen könnte, ein präbiotisches Reaktionsnetzwerk ohne Beteiligung von Enzymen zu charakterisieren, welches den AcCoA-Weg und den rCZ-Weg beinhaltet.

In einer weiteren Arbeit befasste sich die Gruppe um Moran (Varma et al. 2018) mit dem Aufbau essentieller C2 und C3-Bausteine (Acetat und Pyruvat, Abb. 404) aus CO2 an der Oberfläche von Partikeln verschiedener Metalle in elementarer Form (Fe0, Ni0, Co0). Dabei wurden Versuche unternommen, Bedingungen zu finden, die mit denjenigen der zuvor beschriebenen Arbeit zum enzymfreien rCZ kompatibel wären. Auf diese Weise sollte ein vollständiges Modell für die Entstehung eines urtümlichen biochemischen Vorgangs aufgestellt werden. Die Reaktionen der Versuchsreihe wurden in den meisten Fällen bei einem hohen Druck von 35 bar3 CO2 (ohne andere Gase) und einer Temperatur von 140°C in wässriger Lösung geführt. Bei den Versuchen konnte tatsächlich die Bildung von Acetat und Pyruvat an der Oberfläche der elementaren Metalle nachgewiesen werden. Diesen Befund werteten die Autoren als sicheren Hinweis dafür, dass es „auffällige Parallelen zwischen einer plausiblen präbiotischen Chemie und frühen chemischen Prozessen der Kohlenstofffixierung, die von primitiven, autotrophen Organismen genutzt wurden“ gäbe. Dies stütze die Hypothese, so die Autoren, dass die Geochemie eine wichtige Rolle in der Entstehung des Lebens gespielt habe.

Kritik

Auch wenn die angesprochenen Experimente der Gruppe um Moran wohl durchdacht und elegant sind, können die zugrundegelegten Bedingungen in keiner Weise als präbiotisch bezeichnet werden. Wie in der Laboratoriumschemie üblich, wurden ausschließlich gereinigte Chemikalien verwendet (z. B. Metalle mit über 99% Reinheit, hochreines Wasser). Für die Experimente zum Aufbau präbiotischer Zyklen wurden chemische Verbindungen am Anfang in fertiger Form vorgelegt. Eine der Verbindungen (Oxalosuccinat) war so empfindlich, dass sie durch aufwändige chemische Synthese kurz vor dem Versuch hergestellt werden musste, da sie sich auch bei schonender Lagerung schnell zersetzte. In einigen Fällen wurden den Reaktionen bestimmte Verbindungen portionsweise zugesetzt. Auch die Behauptung, dass die Reaktionsbedingungen, die im Reaktor eingestellt wurden, mit heißen Untersee-Quellen („Schwarze Raucher“) vergleichbar wären, ist nicht gerechtfertigt, da keine unterseeischen Quellen bekannt sind, in deren Umgebung ein pH-Wert von ca. 0-1 gegeben ist. Zudem sind solche Quellen angefüllt mit einem Reichtum an verschiedenen Mineralien, unter denen sicherlich auch solche vorliegen, die die Bildung chemischer Reaktionsnetzwerke stören würden. Dagegen wurden von Morans Gruppe nur Versuche mit einer oder zwei Ionensorten durchgeführt. Interessanterweise wurde auch festgestellt, dass die Reaktionsketten in Gegenwart von Molybdän-Ionen überhaupt nicht ablaufen. Es wäre sicherlich auch interessant zu sehen, wie die Reaktionen bei Vorhandensein verschiedener Kombinationen von drei oder vier oder auch einer größeren Anzahl an Metallionen verlaufen wären. Doch ist kein solcher Versuch protokolliert worden. Die Vermutung, dass unter solchen Bedingungen, die der Realität deutlich näher wären, nicht das aus Sicht der Autoren gewünschte Ergebnis eingetreten wäre, liegt nahe.

Bei den Reaktionen von CO2 im Druckreaktor mit verschiedenen Metallen konnten zwar mit Acetat und Pyruvat biologisch wichtige Verbindungen nachgewiesen werden, allerdings erst, nachdem die Metalloberfläche mit hochkonzentrierter, wässriger Natriumhydroxid-Lösung (7.5 M!) behandelt wurde. Bei Verzicht auf diesen Schritt hafteten die chemischen Verbindungen (Pyruvat, Acetat) weiterhin an der Metalloberfläche und konnten nicht nachgewiesen werden. Es bedarf keiner näheren Erläuterung, dass derart hohe Konzentrationen an Natriumhydroxid keinerlei Bezug zu einem realistischen Szenario für die Entstehung der ersten Lebewesen haben.

Angesichts der unrealistischen Versuchsbedingungen ist die durchweg optimistische Interpretation der Befunde durch die Autoren kaum nachvollziehbar. Zunächst einmal ist zu konstatieren, dass überhaupt kein Stoffwechselzyklus beobachtet worden ist. Es wurden lediglich zwei getrennte Reaktionsabfolgen zu je drei Reaktionsschritten konstruiert (Schritte 2-4 und 7-9, Abb. 404). Zudem handelte es sich bei den Reaktionsschritten um relativ leicht zu realisierende chemische Reaktionen: Dehydratisierung, Reduktion einer C-C-Doppelbindung bzw. einer Keto-Gruppe. Hierbei handelt es sich um Reaktionen, die nicht notwendigerweise einer Enzym-Katalyse bedürfen, weswegen sie möglicherweise als vielversprechender Forschungsgegenstand für enzymfreie „präbiotische“ Stoffwechselwege ausgesucht worden sind. Dagegen wurden die anspruchsvollen Reaktionen wie die reduktiven Carboxylierungen (Schritte 6 und 10, Abb. 404) oder die Lyase-Reaktion (Schritt 1, Abb. 404) in den Artikeln kaum thematisiert. Es ist nicht schwer zu verstehen, weshalb über präbiotische Analoga solcher Reaktionen auch in den Publikationen der Gruppe um Moran keine Information zu entnehmen ist: Es handelt sich um sehr anspruchsvolle Reaktionen, die über labile Thioester-Intermediate und unter ATP4-Verbrauch verlaufen. Solche Reaktionen können unter wässrigen Bedingungen nicht realisiert werden, es sei denn in Gegenwart hochkomplexer Enzyme, da Thioester sich im wässrigen Medium rasch zersetzen (Hydrolyse). Enzyme hingegen können in speziellen hydrophoben Kavitäten unter Wasserausschluss solche Vorgänge verwirklichen.

Ein weiterer kritischer Punkt, der bereits von Orgel (2008) diskutiert worden ist, wurde von der Gruppe um Moran nicht genügend gewürdigt: Der rCZ-Zyklus setzt sich aus Komponenten zusammen, die hinsichtlich Struktur und Reaktivität sehr ähnlich sind. Daher ist zu erwarten, dass in es Abwesenheit von Enzymen zu einer Vielzahl an unerwünschten Reaktionen und schließlich zum Erliegen des Reaktionsnetzwerks kommt, wenn alle Verbindungen in demselben Raum vorliegen und identischen Bedingungen ausgesetzt sind. Gemäß den Schilderungen der Gruppe von Moran wurden verschiedene Teile des rCZ getrennt durchgeführt. In Organismen dagegen liegen alle Verbindungen in einem Raum vor. Das zentrale Problem hierbei ist die fehlende Spezifität der chemischen Reaktionen in Abwesenheit von Enzymen. Orgel kommentierte dies wie folgt: „Es ist eher das Fehlen der Spezifität als ein Mangel an Effizienz, das die wesentliche Barriere für die Existenz komplexer autokatalytischer Zyklen von beliebiger Art darstellt.“

Doch ein Kernproblem der „Stoffwechsel-zuerst“-Hypothese wird sowohl von Moran als auch von Orgel nicht erwähnt: Für die Entstehung eines Organismus bedarf es gleichzeitig sowohl der katabolischen (abbauenden) als auch der anabolischen (aufbauenden) Stoffwechselwege. Zudem sind in Lebewesen unzählige Stoffwechselwege miteinander verknüpft. Wie es zur Entstehung eines solchen Systems durch ungerichtete chemische Reaktionen gekommen sein soll, scheint angesichts der schwerwiegenden Probleme selbst relativ einfache präbiotische Analoga physiologischer Prozesse zu modellieren weit außerhalb des Erklärbaren zu liegen.

Der grundsätzliche Irrtum der hier vorliegt, geht aus folgender Aussage von Moran (2018) hervor: „Es ist daher möglich, sich viele plausible geologische Szenarien vorzustellen, […] in genereller Übereinstimmung mit der Idee, dass der Stoffwechsel entstand, damit aufgestaute Redoxgradienten zwischen dem reduzierten Eisen der Erdkruste und einer vergleichsweise stark oxidierten CO2-reichen Atmosphäre sich entladen können.“ Zur Veranschaulichung des Inhalts dieser Aussage sei folgende Analogie angeführt: „Es gibt viele denkbare Szenarien, in denen eine Turbine mitsamt einem Kraftwerk durch natürliche Prozesse entstand, damit die potentielle Energie eines Stausees sich ins Tal entladen konnte.“ Auch wenn letztere Aussage unsinnig klingt, hat sie im Prinzip eine vergleichbare Bedeutung wie das Zitat von Moran. Das Vorliegen eines energetischen Potentialgefälles und dessen Entladung sind für die Entstehung eines komplexen Energieverwerters bei weitem nicht hinreichend.

Literatur

Muchowska KB et al. (2017) Metals promote sequences of the reverse Krebs cycle. Nat. Ecol. Evol. 1, 1716-1721.

Orgel LE (2008) On the implausibility of metabolic cycles on the prebiotic earth. PloS Biology 6, e18.

Schmidtgall B (2013) RNA-Welt: Krise überwunden? Studium Integrale Journal 20, 16-22. (http://www.wort-und-wissen.de/sij/sij211/sij211-3.html)

Varma SJ et al. (2018) Native iron reduces CO2 to intermediates and endproducts of the acetyl-CoA pathway. Nat. Ecol. Evol. 2, 1019-1024.

Anmerkungen

1 Nach dieser Theorie entstanden zunächst genetische Moleküle, RNA (engl. ribonucleic acid), die fähig waren, sich selbst zu replizieren. Anschließend soll sich um diese „RNA-Welt“ allmählich ein vollständiger Stoffwechsel entwickelt haben.

2 Gemäß dieser Denkweise standen Netzwerke aus chemischen Reaktionsketten (Stoffwechselvorgänge) kleiner organischer Moleküle am Anfang des Lebens. Diese Reaktionsnetzwerke sollen dann durch das Hinzukommen genetischer Moleküle stabilisiert worden sein.

3 Der gewöhnliche Atmosphärendruck liegt bei 1 bar.

4 Adenosintriphosphat, die allgemeine „molekulare Energiewährung“ in Organismen.

Autor dieser News: Boris Schmidtgall

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