12.07.18 Vom Salzwasser- zum Süßwasserfisch?
In Nordamerika heimische Stahlkopfforellen leben normalerweise sowohl in Süßwasser als auch zeitweise in Salzwasser und können ihre Osmoregulation entsprechend umschalten. Eine Population hat sich binnen 100 Jahren auf das Leben ausschließlich im Süßwasser spezialisiert. Die damit einhergehenden Änderungen des Erbguts erfolgten in kurzer Zeit, was nur auf der Basis einer ursprünglich großen Variationsbreite möglich war.
Stahlkopfforellen (Oncorhynchus mykiss) liefern ein interessantes Beispiel zur programmierten Variabilität von Organismen. Diese in Nordamerika von Alaska bis Kalifornien beheimateten Fische sind in der Lage, sowohl in Salzwasser als auch in Süßwasser zu leben. Sie schlüpfen in Süßwasser, verbleiben 1-2 Jahre dort, wandern dann über Flüsse in den pazifischen Ozean und verbringen dort 1-3 Jahre, um zur Laichzeit ins Süßwasser zurückzukehren.
Die Erfordernisse bezüglich der Osmoregulation (Gleichgewicht zwischen Salzen und Ionen innerhalb der Zellmembranen) sind im Süß- und Salzwasser gegensätzlich. Im Süßwasser müssen die Fische in der Lage sein, aktiv Ionen aus ihrer Umwelt aufzunehmen, um so den Salzverlust durch passive Diffusion auszugleichen, während im Salzwasser Ionen abgegeben werden müssen, um die Salzaufnahme durch ihren Körper auszugleichen. Fische, die in beiden Medien leben, benötigen also beide Mechanismen zur Aufrechterhaltung der erforderlichen Salzkonzentration in den Zellen und können zwischen ihnen umschalten. Darüber hinaus unterscheidet sich der Lebensraum im Süßwasser von der Salzwasserumgebung auch in der Wassertemperatur, in der Art der Strömung und in der Zusammensetzung der sonstigen Fauna.
Vor 120 Jahren wurden einige Stahlkopfforellen im Lake Michigan ausgesetzt. Nach anfänglichen Schwierigkeiten konnten die Fische eine stabile Population aufbauen. Für diese Fische war der große See gleichsam ein Ozean-Ersatz; sie wanderten nicht ins Meer, sondern verblieben dauerhaft im Süßwasser. Nun haben Forscher das Genom (komplettes Erbgut) von 264 Exemplaren der Stahlkopfforelle genetisch untersucht und eine Reihe von Unterschieden zwischen den Süßwasserformen und den in den Pazifik wandernden Formen entdeckt (Willoughby et al. 2018). Dabei zeigte sich, dass zwei veränderte Chromosomenregionen in einer direkten Verbindung mit der Osmoregulation stehen: Die Carboanhydrase (katalysiert die Hydratisierung von Kohlenstoffdioxid zu Kohlensäure und umgekehrt) und ein Transportprotein (SLC 26) sind in einer Weise verändert, dass die Ionenaufnahme aus dem Wasser erleichtert ist. Die oben erwähnte Fähigkeit, die Osmoregulation bei Süß- und Salzwasser umschalten zu können, ist energetisch kostspielig, so dass der Verlust dieser Fähigkeit bei dauerhafter Existenz im Süßwasser zudem von Vorteil ist (Willoughby et al. 2018, 8).
Die dritte veränderte Genregion betrifft das Enzym Ceramid-Kinase, das im Zusammenhang mit dem Stoffwechsel bei der Wundheilung der Tiere steht. Die im Süßwasser lebenden Tiere sind vermehrt Verletzungen durch Neunaugen ausgesetzt und Wunden heilen im Süßwasser schlechter; durch die Veränderung wird vermutlich der Heilungsprozess verbessert (Willoughby et al. 2018, 8).
Wie konnten sich die Gene aber so schnell verändern? Die Forscher fanden heraus, dass die Veränderungen weder auf Hybridisierungen mit anderen Stahlkopfforellen-Populationen noch auf Mutationen zurückgeführt werden konnten. Vielmehr sprechen die Befunde dafür, dass die anfangs überlebenden Individuen bereits die passenden Ausprägungen der relevanten Gene besaßen und daher am ehesten überleben konnten. Die spezialisierten Forellen des Lake Michigan „leben“ also von einer ursprünglichen genetischen Vielseitigkeit ihrer Vorläufer.
Bemerkenswert ist eine weitere Beobachtung: Die Wissenschaftler stellten fest, dass die genetische Vielfalt der Stahlkopfforellen im neuen Lebensraum in allen 29 Chromosomen deutlich niedriger liegt als bei den Populationen, die in den angestammten Gewässern leben, was auf einen Gründer-Effekt zurückgeführt wird. Spezialisierung ist wie in vielen anderen Fällen mit genetischer Verarmung verbunden.
Diskussion. Das Beispiel der Osmoregulation bei den Stahlkopfforellen reiht sich in eine lange Liste von Fällen ein, in denen von einer ursprünglich genetisch vielseitigen (polyvalenten) Ausgangssituation ausgegangen werden muss – soweit diese rekonstruiert werden kann – und in denen eine schnelle Veränderung beobachtet wurde (in Verlauf von Jahren bis Jahrzehnten). Die beobachteten Veränderungen und Spezialisierungen gehen mit Einschränkung der genetischen Vielfalt einher. Die ursprüngliche Vielseitigkeit kann enorm sein; immerhin ist es keine Kleinigkeit, sowohl im Süßwasser als auch im Salzwasser leben zu können.
Auf der Basis dieser Befunde kann man spekulieren, dass eine ursprünglich große Toleranz bezüglich des Salzgehalts des Wassers bei heute weniger toleranten Arten sozusagen eine eingefrorene Spezialisierung ist (verbunden mit genetischer Verarmung). Eine große Toleranzbreite könnte auch bei den umwälzenden Prozessen während der Sintflut eine wichtige Voraussetzung für das Überleben gewesen sein.
Literatur
Willoughby JR, Harder AM, Tennessen JA, Scribner KT & Christie MR (2018) Rapid genetic adaptation to a novel environment despite a genome‐wide reduction in genetic diversity. Mol. Ecol., doi:10.1111/mec.14726 Autor dieser News: Reinhard Junker Informationen über den Autor
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