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13.06.16  Stasis: Wie viel Stillstand verträgt die Evolutionstheorie?

Stasis – evolutionärer Stillstand – wird „klassisch“ erklärt durch stabile Umweltbedingungen und daraus resultierend gleichbleibende Selektionsdrücke. Es gibt jedoch systematische Befunde, die dem widersprechen: Markante Umweltänderungen führen regelmäßig nicht zu nennenswerten evolutiven Veränderungen. Das ist einer von vielen Fällen dafür, dass die Beobachtungsdaten evolutionstheoretischen Erwartungen widersprechen.

Von Paläontologen vielfach beschrieben wird die Beobachtung, dass bestimmte fossil überlieferte Arten über einen längeren Zeitraum bzw. in einer umfangreichen Abfolge von Sedimenten im Wesentlichen unverändert bleiben. Wenn solche Arten heute noch leben, nennt man sie „lebende Fossilien“. Dieses Phänomen wird als evolutionäre „Stasis“ (Stillstand) bezeichnet. Manchmal werden solche Befunde als Argumente gegen Evolution gewertet. Allerdings gibt es auch unter Annahme einer evolutiven Entstehung der Arten keinen „Evolutionszwang“; daher steht Stasis nicht notwendigerweise im Widerspruch zu einer Evolutionsgeschichte der Lebewesen.

Stasis kann dennoch zum Problem für die Theorie von einer allgemeinen Evolution werden, wenn sie 1. vorherrschend ist und 2. auch dann beobachtet wird, wenn es massive Umweltänderungen gegeben haben muss. Denn üblicherweise wird Stasis damit erklärt, dass die betreffenden Arten in konstanten Umwelten leben bzw. gelebt haben, folglich ohne nennenswerten Wechsel von Selektionsbedingungen, und es daher keinen Druck zur Veränderung gegeben hat. Unter stark wechselnden Umweltbedingungen wird evolutionär dagegen eher ein Formenwandel erwartet.

Von einem ausgesprochen hartnäckigen Fall von Stasis berichtet der Paläontologe Donald R. Prothero auf dem Blog skeptic.com (Prothero 2012; dort finden sich Angaben zu Fachartikeln). Er schreibt (in teilweise freier Übersetzung): „Bei vier der größten Veränderungen von Klima und Vegetation der letzten 50 Millionen Jahre zeigen die Säugetiere und Vögel keine beobachtbare Veränderung als Antwort auf das veränderte Klima. Wo immer ich diese Daten vorstelle, hat bisher niemand (ich eingeschlossen) eine gute Erklärung für eine solche verbreitete Stasis trotz der offensichtlichen Selektionsdrücke durch verändertes Klima.“1

Das letzte Beispiel von den vieren, die Prothero anführt, sind die letzten 2 Millionen (radiometrischen) Jahre der Eiszeit mit dramatischen Klimaänderungen, die jedoch nicht zu Artbildungen führten, sondern zu Wanderungen der betroffenen Tiere in andere Gegenden. Eine detaillierte Analyse der fossilen Fauna von La Brea bei Los Angeles ergab: „Keines der allgemein vorkommenden eiszeitlichen Säugetiere und Vögel reagierte auf irgendwelche Klimaänderungen bei La Brea während der letzten 35 000 Jahre.“

Das sind eindrucksvolle Bestätigungen für die Aussagen des 1972 veröffentlichten Klassikers von Niles Eldredge und Stephen Jay Gould über die Hypothese des „unterbrochenen Gleichgewichts“ („punctuated equilibrium“; auch als Punktualismus bekannt). Prothero schrieb seinen Beitrag anlässlich des 40-jährigen Jubiläums der Veröffentlichung dieses Artikels. Gould & Eldredge (1977) machten fünf Jahre nach der Veröffentlichung ihres bahnbrechenden Artikels eine erste Bestandsaufnahme und kamen – in den Worten von Prothero – zu folgendem Ergebnis: „Die erste große Entdeckung war, dass Stasis weitaus vorherrschender im Fossilbericht war als es zuvor vorausgesagt worden war. Viele Paläontologen meldeten sich und zeigten auf, dass die geologische Literatur ein einziges gewaltiges Monument der Stasis sei, und es nur relativ wenige Fälle gebe, in denen jemand eine graduelle Evolution beobachtet hätte“ (Hervorhebung nicht im Original).

Gould & Eldredge (1993) nahmen auch das 20-jährige Jubiläum ihres Artikels von 1972 zum Anlass für eine weitere Bilanz und resümieren: „Weil Arten während so intensiver klimatischer Änderungen wie eiszeitlichen Abkühlungen oft stabil bleiben, muss Stasis als aktives Phänomen betrachtet werden, nicht als eine passive Antwort auf unveränderte Umwelten.“3 Das ist das Gegenteil von dem, was mit dem Konzept der Stasis ursprünglich verknüpft wurde.

Für Prothero ist dieser komplett unerwartete, weit verbreitete Befund übrigens kein Grund zur Irritation. Es sei gut, wenn wir statt Antworten mehr Fragen hätten. Wissenschaft komme voran, wenn wir bisher unbekannte Dinge entdecken und merken, dass unsere bisherigen einfachen Antworten nicht funktionieren. Soweit Prothero. Aber es besteht auch die Möglichkeit, dass eine falsche Spur verfolgt wird. Hat der systematische Befund der Stasis den Grund darin, dass der Evolvierbarkeit Grenzen gesetzt sind und außerdem eine Fehleinschätzung der real verflossenen Zeit vorliegt?

Quellen

Prothero DR (2012) Darwin‘s Legacy. http://www.skeptic.com/eskeptic/12-02-15/#feature

ldredge N & Gould SJ (1972) Punctuated equilibria: an alternative to phyletic gradualism. In: Schopf T (ed) Models in paleobiology. Freeman, Cooper and Co., San Francisco, pp 82-115.

Gould SJ & Eldredge N (1977) Punctuated equilibria: the tempo and mode of evolution reconsidered. Paleobiology 3, 115-151.

Gould SJ & Eldredge N (1993) Punctuated equilibrium comes of age. Nature 366, 223-227.

Originalzitate

1 „In four of the biggest climatic-vegetational events of the last 50 million years, the mammals and birds show no noticeable change in response to changing climates. No matter how many presentations I give where I show these data, no one (including myself) has a good explanation yet for such widespread stasis despite the obvious selective pressures of changing climate.“

2 „The first major discovery was that stasis was much more prevalent in the fossil record than had been previously supposed. Many paleontologists came forward and pointed out that the geological literature was one vast monument to stasis, with relatively few cases where anyone had observed gradual evolution.“

3 „Moreover, because species often maintain stability through such intense climatic change as glacial cooling, stasis must be viewed as an active phenomenon, not a passive response to unaltered environments.“

Autor dieser News: Reinhard Junker

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