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14.07.14  Linsenaugen der Tintenfische und Wirbeltiere: Molekulare Konvergenzen

Die Linsenaugen von Tintenfischen und Wirbeltieren sind hinsichtlich ihres optischen Grundaufbaus erstaunlich ähnlich, aber aus evolutionsbiologischer Sicht sollen sie dennoch auf verschiedenen Wegen entstanden sein (Konvergenz). Vergleiche wichtiger Regulationsgene der Augenentwicklung zeigen ebenfalls große Ähnlichkeiten bei diesen Tiergruppen, so dass auch auf molekular-genetischer Ebene Konvergenzen angenommen werden müssen. Wie diese Ähnlichkeiten auf morphologischer und genetischer Ebene durch bekannte Mechanismen entstehen konnten, ist unklar. Unter Annahme von Evolution muss unerwartet gefolgert werden, dass die Entstehung der Linsenaugen in stammesgeschichtlich getrennten Linien auf zufällig identischen Bildungsprozessen beruht.

Das Linsenauge von Tintenfischen und Wirbeltieren ist ein Lehrbuchbeispiel für Konvergenz, das heißt für eine unabhängige Entstehung ähnlicher Konstruktionen in unterschiedlichen stammesgeschichtlichen Linien. In evolutionstheoretischer Interpretation heißt das: Ausgehend von Vorläuferformen, die kein Linsenauge besaßen, wurde auf getrennten Abstammungswegen aus einem einfachen Auge jeweils ein Linsenauge evolutiv entwickelt. Neben vielen Gemeinsamkeiten wie Augenlid, Hornhaut, Linse, Glaskörper, Iris oder Netzhaut weisen die beiden Linsenaugen-Typen bei Wirbeltieren und Tintenfischen aber auch einige deutliche Unterschiede auf. Beispielsweise entstehen die Augen in der Embryonalentwicklung auf verschiedene Weisen, die Netzhaut ist unterschiedlich konstruiert und die Versorgung und Entsorgung der Netzhautzellen ist unterschiedlich organisiert. Daher ist unstrittig, dass man beide Augen nicht als abstammungsverwandt (d. h. homolog) interpretieren kann, auch wenn die fertigen Konstruktionen insgesamt ähnlich sind.

Kürzlich wurde jedoch in einer Studie gezeigt, dass tiefgreifende Ähnlichkeiten zwischen Linsenaugen von Tintenfischen und Wirbeltieren auf genetischer Ebene vorliegen (Yoshida et al. 2014). Zum Verständnis dieser Untersuchungen muss etwas ausgeholt werden.

Regulation durch Genschalter und „Gen-Verschaltungen“. Interessanterweise werden sehr viele Augentypen – seien sie so verschieden wie ein einfaches Becherauge, ein Komplexauge von Insekten, ein Spiegelteleskopauge oder ein Linsenauge – in ihrer embryonalen Entwicklung auf überraschend ähnliche Weise genetisch gesteuert. Das heißt: An der Spitze der genetischen Kaskade für eine individuelle Augenentwicklung im Organismus stehen bei Augen verschiedenster Arten sehr ähnliche Gene. Berühmt ist das Masterkontrollgen Pax-6 (bzw. auch als eyeless bei Insekten bezeichnet). Ohne Pax-6 kein Auge – bei fast allen Augen im Tierreich: Wirbeltieren, Insekten, Tintenfischen u. v. m. Aber natürlich macht Pax-6 alleine noch kein Auge; beim Menschen werden bei der Bildung des Auges etwa 2500 nachgeschaltete Gene genutzt; diese Gene werden aber erst aktiviert, wenn Pax-6 „angeschaltet“ wird. Pax-6 aus Wirbeltieren bzw. eyeless bei Fliegen sind so ähnlich, dass sie auch im jeweils anderen Organismus nach dessen Umtausch funktionieren. Das wurde in einem berühmten Experiment gezeigt: Eine Fliege bildete Augenstrukturen, nachdem einer Taufliegenlarve das Pax-6 einer Maus eingepflanzt wurde (Halder et al. 1995). Natürlich war das entstandene Auge ein insektentypisches Komplexauge und kein Linsenauge, denn das Pax-6 ist sozusagen nur der „An-Aus-Schalter“, genau wie das Fliegengen eyeless. Außer Pax-6 sind bei verschiedenen Tiergruppen noch weitere ähnliche Gene am Beginn der Augenentwicklung aktiv (s. u.). Es gehört zu einer der faszinierendsten Entdeckungen der Biologie, dass hier und bei vielen anderen Organen auch quer durchs Tierreich mit sehr ähnlichen genetischen Schaltern gearbeitet wird.

Wichtig zum weiteren Verständnis ist auch die Beobachtung, dass ein und dasselbe Gen mehrfach genutzt werden kann. Das heißt: In Abhängigkeit von zeitlichen und räumlichen Rahmenbedingungen wird ein Gen anders eingesetzt. (Auch hier bieten die Augen ein berühmtes Beispiel. Die Proteine zum Aufbau der Augenlinse sind sonst „gewöhnliche“ Enzyme im Zellstoffwechsel.) Gene werden bekanntlich in Proteine „übersetzt“. Dabei gibt es den Zwischenschritt einer Umschreibung der DNA in messenger RNA (mRNA). Nach dieser Umschreibung (Transkription) wird die mRNA noch „überarbeitet“ (sog. „processing“), d. h. es werden noch einige Stücke (sog. Introns), die nicht für Protein codieren, herausgeschnitten. Die verbleibenden codierenden Stücke (sog. Exons) werden wieder verknüpft und damit die fertige mRNA gebildet. Dieser Vorgang wird als „Spleißen“ bezeichnet. Erst danach erfolgt die Übersetzung der auf der gereiften mRNA vorhandenen genetischen Informationen in Proteine (Translation). Das Spleißen kann nun bei einem Gen auf unterschiedliche Weisen erfolgen, so dass zum Beispiel bestimmte Exons einmal mit entfernt werden oder in der fertigen mRNA verbleiben. Somit ist dasselbe Gen eine Vorlage für mehrere Genprodukte (nach dem Spleißen). Man spricht von Spleißvarianten eines Gens, verschiedene codierende Genabschnitte wurden unterschiedlich verschaltet – hier zeigt sich ein ausgeklügeltes System zur Mehrfachnutzung von Genen, was als Design-Indiz interpretiert werden kann.

Was hat dies mit den Linsenaugen von Tintenfischen und Wirbeltieren zu tun? Es ist schon länger bekannt, dass bei der Ausbildung des Wirbeltierauges am Beginn der Entwicklungskaskade vier Pax-6-Spleißvarianten genutzt werden, durch die jeweils andere nachgeschaltete Gene während spezifischer Zeitpunkte reguliert werden. Die Spleißvariante Pax-6(5a) hat zum Beispiel eine besondere Rolle bei der Bildung der Iris nach der Geburt und ist auch unverzichtbar für die korrekte Ausbildung von Hornhaut, Linse und Netzhaut. Der Einsatz der verschiedenen Spleißvarianten ist, wie oben erwähnt, zeitlich und räumlich verschieden. Dagegen wird bei Insekten nicht ein Gen unterschiedlich gespleißt, sondern bei ihnen sind mehrere, leicht unterschiedliche Pax-6-Gene (Duplikate) im Einsatz. Die genetisch abgelegten Spleißvarianten bei Wirbeltieren sollen sich evolutiv aus nur einem Pax-6 entwickelt haben und durch Neuverschaltung mit den untergeordneten Genen jeweils neue und spezifische Aufgaben übernommen haben.

Yoshida et al. (2014) fanden nun heraus, dass bei den Linsenaugen der Tintenfische genau wie bei den Wirbeltieraugen verschiedene Spleißvarianten von Pax-6 genutzt werden, und zwar insgesamt fünf, jedoch keine Duplikate wie bei den Insekten. Da sich die Spleißvarianten von denen der Wirbeltiere unterscheiden, schließen die Forscher, dass sich die Pax-6-Spleißvarianten der Tintenfische evolutionär unabhängig entwickelt haben. Erstaunlich ist aber, dass die unterschiedlichen Pax-6 Varianten wie bei den Wirbeltieren erzeugt werden, nämlich durch Spleißen, und dass sie genau wie die vier Spleißvarianten der Wirbeltiere bei der Augenentwicklung genutzt werden.

Kommentar. In evolutionstheoretischer Deutung muss dieser Befund auf eine konvergente Entstehung auf molekular-genetischer Ebene zurückgeführt werden. Das ist eine erstaunliche und unerwartete Konstellation, auch wenn die jeweiligen Spleißvarianten verschieden sind. Denn die erstmalige Entstehung einer neuen funktionalen Spleißvariante und insbesondere ihre Neuverschaltung mit anderen, nachgeschalteten Genen – zudem in mehrfachem Kontext, wie das oben genannten Beispiel Pax-6(5a) zeigt – ist schon an sich bei einmaliger Entstehung keine Kleinigkeit und dürfte viele Teilschritte erfordern, die aufeinander abgestimmt sein müssten. Wie das über bekannte Variationsprozesse möglich sein könnte, ist kein Gegenstand des Artikels von Yoshida et al. (2014) und mit gegenwärtigem Wissen vermutlich auch nicht beantwortbar.

Darüber hinaus sollen evolutionär sowohl bei den Wirbeltieren als auch bei den Tintenfischen mehrere Spleißvarianten entstanden und in die Gesamtregulation der frühen Augenentwicklung eingebunden worden sein. Diese evolutionären Entwicklungsschritte müssten mehrfach konvergent bei Tintenfischen und Wirbeltieren abgelaufen sein.

Yoshida et al. (2014) schildern in ihrem Artikel ihre Befunde in einer Weise, als sei die Entstehung und Einbindung der Spleißvarianten ein selbstverständlicher evolutionärer Prozess. Das hat sich zwar allgemein eingebürgert, dennoch muss in solchen Fällen immer wieder auf zwei Dinge hingewiesen werden: 1. Vergleichend-biologische Analysen – wie die von Yoshida et al. (2014) durchgeführten vergleichend-molekularen Untersuchungen – ermöglichen keine Aussage über die Mechanismen, die zu den beobachteten Ähnlichkeiten und Unterschieden geführt haben. Man kann an dieser Stelle höchstens mehr oder weniger gut begründbare und damit immer hypothetische Mechanismen vorschlagen. 2. Unter der Voraussetzung von Evolution kann gefolgert werden, dass es einen evolutiven Weg gab; ob er aber mechanistisch plausibel ist oder gar experimentell nachvollzogen werden kann, muss eigens untersucht werden. Das experimentell belegte Wissen über Neuverschaltung von Genen ist bislang – gemessen am Erklärungsziel – kaum vorhanden (vgl. Rebeiz et al. [2011] und die Zusammenfassung ihrer Ergebnisse bei Junker [2012]). Wie also Neuverschaltungen von Spleißvarianten des Pax-6-Gens bei Tintenfischen und Wirbeltieren zustande kamen (so sie denn überhaupt evolutionär entstanden sind), bleibt ungeklärt.

Literatur

Halder H, Callaerts P & Gehring WJ (1995) Induction of ectopic eyes by targeted expression of the eyeless gene in Drosophila. Science 267, 1788-1792.

Junker R (2012) Wieviel Evolution ist durch Kooption möglich? Genesisnet-News, http://www.genesisnet.info/index.php?News=189

Rebeiz M, Jikomes N, Kassner VA & Carroll SB (2011) Evolutionary origin of a novel gene expression pattern through co-option of the latent activities of existing regulatory sequences. Proc. Natl. Scad. Sci. 108, 10036-10043.

Yoshida M, Yura K & Ogura A (2014) Cephalopod eye evolution was modulated by the acquisition of Pax-6 splicing variants. Sci. Rep. 4:4256, doi: 10.1038/srep04256

Autor dieser News: Reinhard Junker

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