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03.08.12  Kryptische Krebse: Moderne Crustaceen-Fossilien aus dem Kambrium

Einmal mehr zeigen sehr alt eingestufte Fossilfunde, in diesem Fall von Krebsartigen aus dem Kambrium, große Ähnlichkeit zu heute lebenden Organismen. Fast eine halbe Milliarde Jahre lang und seit ihrem ersten Auftreten haben sich damit einige der hier beschriebenen Krebsartigen nicht sichtbar weiterentwickelt.

Crustacea (Krebsartige) sind die dominante Form der Gliederfüßer im heutigen Meer, während die Insekten das Land dominieren. Krebsartige sind bekannt für ihre große Diversität, Verschiedenartigkeit, Komplexität und ökologische Breite. Sie reichen vom kleinen Wasserfloh bis zu riesigen Tiefseekrabben, landlebend von der Kellerassel bis zum Palmendieb. Die frühe Geschichte der Krebsartigen ist von Lücken im Fossilbericht geprägt. Ihr Fossilnachweis ist vor allem auf Formen beschränkt, die selbst mineralisierte Gehäuse bilden, im Gegensatz zu normalerweise schlecht fossilisierenden Chitinpanzern. Krebsartige wurden bisher vor allem in Schichten beschrieben, die jünger als das Kambrium sind. Das Kambrium besteht aus geologischen Schichten, die konventionell auf etwa eine halbe Milliarde Jahre datiert werden. Bekannt ist dieses geologische System vor allem durch die sogenannte „Kambrische Explosion“, das unvermittelte Auftreten von Fossilien der meisten bekannten Tierstämme ohne klar zuordenbare Vorläufer im Präkambrium, also in den unmittelbar darunterliegenden Schichten. In kambrischen Schichten selbst wurden bisher nur sehr kleine (<2mm) „Orsten-Type“ Formen der Krebsartigen entdeckt (sehr gut dreidimensional erhaltene Fossilien; siehe  http://www.core-orsten-research.de/01%20intro%201.html), die allerdings keine große Vielfalt bei der Differenzierung der Körperanhänge zeigen, wie sie sonst bei Crustaceen zu finden ist.

Neue Funde geben nun weitere Aufschlüsse über frühe Krebstiere (Harvey et al. 2012). Es handelt sich dabei nicht um Fossilien kompletter Tiere, sondern um sehr kleine Körperanhänge, die, obwohl nicht im Verbund gefunden, unzweifelhaft von Krebstieren stammen. Die Funde dieser Small Carbonaceous Fossils (SCFs) wurden im Nordwesten Kanadas in Flachmeer-Ablagerungen aus dem mittleren bis späten Kambrium gemacht. Sie wurden aus Bohrkernen von Ölbohrungen herauspräpariert. Aus geringen Mengen Bohrkernmaterial konnten mehrere tausend Körperanhänge ausgewaschen werden. Die verkalkten Fossilien (man schätzt die Körpergröße der ehemaligen Besitzer auf ca. 10-15 mm Gesamtgröße) sind zwar flachgedrückt und klein, aber dennoch mit sehr vielen Details erhalten. Es handelt sich um Mundwerkzeuge (mindestens vier unterschiedliche Typen von Mandibeln), um sehr gut erkennbare komplexe Filteranhänge und andere Extremitäten. Sowohl  durch ihre allgemeine Form als auch anhand detaillierter Ornamentierung konnten sie verschiedenen Typen von Krebsartigen zugeordnet werden, z. B. Branchiopoden (Blattfuß- oder „Urzeitkrebse“), Copepoden (Ruderfußkrebse) und Ostracoden (Muschelkrebse). Durch Vergleiche kann man darauf schließen, dass die relativ größeren Typen sich von pflanzlicher Nahrung ernährten, während die kleineren Formen eher Allesfresser waren. Trotz des angenommenen hohen Alters und trotz der Tatsache, dass es sich hier z. T. um erste fossile Dokumentationen der Gruppen handelt, zeigen sie teils überraschende Ähnlichkeit zu heute lebenden Formen. Selbst ausgeprägte Rechts- oder Links„händig“keit, die noch heute bei Krebsen beobachtet wird (z. B. besonders deutlich bei der Winkerkrabbe) findet man bei den hier beschriebenen Fossilien. Damit lässt sich dieses Merkmal unverändert über einen Zeitraum von einer halben Milliarde Jahren nachweisen. Nach Ansicht der Autoren verleitet das „moderne“ Aussehen der SCF dazu, ihre Träger als abgeleitete (d. h. höher evolvierte Formen) einzustufen, obwohl sie wegen ihrer Fundlage theoretisch eigentlich eher ursprünglich sein sollten.

Die detaillierten Ähnlichkeiten zu heute lebenden Formen zeugen von einem frühen Ursprung und anschließender im Wesentlichen unveränderter Überdauerung mehrerer komplexer Futterbeschaffungs-Anpassungen vom Kambrium bis heute, einschließlich der oben erwähnten mandibularen Asymmetrie. Die Fossilien zeigen aber auch deutliche Änderungen in der Ökologie bezüglich Körpergröße und ökologischer Verteilung. Blattfußkrebse leben heute vor allem im Süßwasser, und Ruderfußkrebse sind heute eher kleiner als die hier fossil beschriebenen. Während diese Änderungen potentiell durch mikroevolutive Anpassungen erklärbar sind, bleibt es weiter rätselhaft, warum sich nicht nur in Ausnahmefällen, sondern durchaus häufig wie auch hier im Falle der kambrischen Krebse Organismen vom ersten fossilen Auftreten an zumindest makroskopisch über hunderte Millionen Jahre nicht nennenswert verändert haben.

Die Autoren stellen fest, dass die früheste Radiation von Krebsartigen, die zu den oben beschriebenen verschiedensten Formen geführt haben muss, „im Fossilbericht kryptisch“ sei. Mit anderen Worten, sie existiert im Fossilbericht nicht, es gibt keine Hinweise, wie sich die verschiedenen Untergruppen der Crustaceen herausgebildet haben. Sie erscheinen plötzlich, eine Teil-Explosion der großen kambrischen Explosion, die sie ins Dasein katapultiert, und sie mehr oder weniger unverändert bis heute erfolgreich sein lässt.

Literatur

Harvey THP, Vélez MI & Butterfield NJ (2012) Exceptionally preserved crustaceans from western Canada reveal a cryptic Cambrian radiation. PNAS 109, 1589-1594. Published online before print January 17, 2012, doi: 10.1073/pnas.1115244109

Autor dieser News: Hans-Bertram Braun

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