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21.11.09  Evolution der Religion

Wenn der Mensch durch Evolution aus dem Tierreich entstanden ist, müssen seine Gottesvorstellungen ein Produkt der Evolution sein. Schon Darwin mutmaßte, dass Gottesglaube entstanden sei, weil er sozial nützlich sei. Das ist bis heute eine der Spuren, die verfolgt werden, um eine Evolution der Religion plausibel machen zu können. In einem Überblicksartikel der Zeitschrift Science werden verschiedene weitere Hypothesen vorgestellt, die jedoch kaum prüfbar und ziemlich vage sind und bestenfalls Begleiterscheinungen von Religiosität darstellen, aber nicht als nachgewiesene Ursachen gelten können.

Wie kann ein bloßer Naturprozess Vorstellungen von einer Realität hervorbringen, die es gar nicht gibt? Mit dieser Frage sind atheistische Evolutionstheoretiker herausgefordert, die den Ursprung des Gottesglaubens aus evolutionären Prozessen ableiten wollen. Wenn Evolution naturalistisch verstanden wird, sollte dieser Prozess also die Vorstellung einer Illusion hervorgebracht haben.

Die Idee ist so alt wie Darwins frühe Überlegungen zur Evolution der Lebewesen. Die beiden unübertroffenen Darwin-Biographen Adrian Desmond & James Moore schreiben über seine Gedanken zur evolutionären Entstehung des Gottesglaubens: „In der Abstammungsfrage konzentrierte sich sein Interesse jetzt auf den Menschen. ... Nach seiner Auffassung erklärte die Evolution jede geistige Eigenheit, jede körperliche Haltung, nicht nur Wirbelsäule und Milz, sondern auch die Lebensweise des Menschen, seine Instinkte, seine Gedanken, Gefühle, sein Gewissen und seine Moral. Jeder Trieb, jedes Verlangen ... seien ... doch alle evolutionäre Erbgüter – selbst die Anbetung Gottes. ‚Liebe zur Gottheit [ist] Folge von [geistiger] Organisation, o du Materialist!’ flüsterte er sich zu“ (S. 286). „Auch die christlichen Gebote ‚Tu anderen wie dir selbst’ und ‚Liebe deinen Nächsten wie dich selbst’ hätten sich ganz natürlich aus den ‚sexuellen, elterlichen und sozialen Instinkten’ unserer Vorfahren entwickelt“ (S. 300). „Unsere ‚angeborene Kenntnis des Schöpfers’ habe sich infolge ‚seiner erhabensten Gesetze’ entwickelt. Sie sei ein großartiger Instinkt, der wegen seiner sozialen Nützlichkeit entstanden sei“ (S. 308; kursiv jeweils im Original, Darwin wörtlich wiedergebend).

Wenn man den heutigen Stand der Forschung zugrundelegt, wie ihn Elizabeth Culotta in einem Überblicksbeitrag Anfang November 2009 in der Wissenschaftszeitschrift Science darstellt, könnte  Darwin einige Hellsichtigkeit bescheinigt werden. Dass die „Entstehung von Religion“ auf das Verhalten evolutionärer affenartiger Vorstufen zurückgeführt wird, ist selbstverständlich, sobald eine allgemeine Evolution der Lebewesen als Tatsache akzeptiert wird. Denn Evolution macht vor den Verhaltensweisen nicht halt, auch sie tragen zur Fitness bei. Und wenn es verbreitet Gottesglaube gibt, muss er – evolutionstheoretisch interpretiert – einen Nutzen haben, der das Überleben fördert. Für Evolutionstheoretiker stellt sich daher die Frage, worin der Überlebensvorteil besteht und wie er durch natürliche Prozesse entstehen konnte.

In ihrem Überblicksartikel stellt Culotta zunächst fest, dass es unter Wissenschaftlern zu dieser Frage keinen Konsens gebe. Einige meinen, Religion würde kooperatives Verhalten fördern, was die Fitness steigere, und sei daher entstanden – Darwin lässt grüßen (s. o.). Andere sehen die Wurzeln in unserem differenzierten sozialen Erkenntnisvermögen; wir hätten die Tendenz, Zeichen von „Agenten“ in unserer Welt zu sehen, die wie wir in der Welt wirksam sind. Die Wurzeln von Religiosität werden also in unserem Gehirn gesucht. Wir seien hypersensitiv für Zeichen von „Agenten“, die wie wir selber denken; wir neigen dazu, natürliche Dinge auf Agenten zurückzuführen („Hypotertropie sozialer Kognition“). Das habe Theismus gefördert, meint die Wahrnehmungspsychologin Deborah Kelemen von der Boston University.

Andere Forscher gehen die Frage nach dem Ursprung der Religion von archäologischer Seite her an und suchen nach Anzeichen alter religiöser Vorstellungen. Eine dabei verfolgte Spur ist soziales „symbolisches Verhalten“, Religion sei eine Komponente solchen Verhaltens. Der Gebrauch von Symbolen sei ein Schlüssel für aufkeimende Spiritualität.

Solche Hinweise sind jedoch äußerst vage und bestenfalls Begleiterscheinungen, aber keine nachweislichen Ursachen für die Entstehung von Religion. Das gilt auch für Bestattungen oder das Anfertigen von religiösen Fruchtbarkeitsobjekten oder Löwenmenschen. Alle diese Aktivitäten erklären nicht das Woher der Religion.

Besonders hingewiesen wird auf teleologisches Denken bei Kindern. Kinder neigen besonders dazu, natürlichen Phänomenen Zwecke zuzuschreiben statt sie auf bloße natürliche Ursachen zurückzuführen. Man könne bei Kindern annehmen, dass diese Tendenz angeboren sei. Es sei schwer, diese teleologischen Erklärungen zu überwinden. Solche zweckorientierten Erklärungsweisen seien ein Schritt auf dem Weg zur Religion. Man könne daran erkennen, dass ein Gott eine naheliegende Konstruktion für den menschlichen Geist sei. Es sei ein kleiner Schritt, vom Design auf einen Designer zu schließen.

Abgesehen davon, dass auch diese Erklärung für die Entstehung des Gottesglaubens hochgradig spekulativ ist, kann das teleologische Denken leicht ohne jeden religiösen Bezug erklärt werden: Es entspricht ganz einfach ständiger menschlicher Erfahrung, dass es zielgerichtete Handlungen gibt. Spaemann und Löw nennen es in ihrem Klassiker „Die Frage wozu?“ eine primäre Welterfahrung des Menschen. Teleologisches Denken ist erfahrungsgestützt. Dass Menschen auch an Agenten denken, auch wenn es sich um einen natürlichen Vorgang handeln könnte (z. B. bei einem plötzlichen Knacken im Geäst), ist ebenfalls Folge von Erfahrung: Vieles von dem, was wir erleben, wird durch handelnde Personen verursacht und im Zweifel muss diese Möglichkeit zunächst bedacht werden. Von dieser Art des Umgangs mit potentiellen Agenten auf die Entstehung eines Gottesglaubens zu schließen, überstrapaziert die Befunde bei weitem.

Culotta (2009) zitiert auch kritische Stimmen. Demnach seien die Modelle weit davon entfernt, die komplexen Systeme von Gottheiten und Ritualen zu erklären, die Religion ausmachen, selbst wenn mehr Daten vorliegen werden. Und die Erklärung, dass religiöses Verhalten durch Anpassung erklärt werden könne, weil es Solidarität innerhalb der Gruppe fördere, sei fraglich, so Pascal Boyer von der Washington University in St. Louis, da der Nachweis fehle, dass die Menschen den religiösen Forderungen auch nachkommen würden.

Quellen

Culotta E (2009) On the origin of religion. Science 326, 784-787.

Desmond S & Moore J (1991) Darwin. München.

Spaemann R & Löw R (1981) Die Frage Wozu? Geschichte und Wiederentdeckung des teleologischen Denkens. München.

Autor dieser News: Reinhard Junker

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