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27.03.09  Von Schildkröten, Makroevolution und Kreationismus

Im Newsbeitrag Schildkröten-Übergangsform? wurde über einen Schildkröten-Fossilfund berichtet, der als evolutionäre Übergangsform diskutiert wird. In einem Beitrag zum Thema „Kreationismus und ‘Intelligent Design’“ im jüngst erschienenen Band „Evolution. Der Fluss des Lebens“ des Staatlichen Museums für Naturkunde Stuttgart geht Hansjörg Hemminger auf diesen Fund ein. Seine Ausführungen sollen hier kurz kommentiert werden.

Hemminger thematisiert nur die Deutung des neuen Fundes Odontochelys semitestacea als evolutive Übergangsform (vgl. Li et al. 2008). In derselben Nature-Ausgabe erschien jedoch auch eine Kritik dieser Deutung von Reisz & Head (2008, 451), wonach es sich bei Odontochelys nicht um eine primitive Form, sondern im Gegenteil um eine an das Leben im Wasser spezialisierte Anpassung handeln könnte, bei der sekundär der Rückenpanzer verloren ging. Da es sich bei Odontochelys um das älteste bekannte Schildkrötenfossil handelt, würde sich bei dieser Deutung die Frage nach der Entstehung der Schildkröten verschärfen. Im oben genannten Newsbeitrag wird diese Frage offen gelassen, da sie anhand der vorliegenden Daten offenbar nicht entschieden werden kann. Von der Kritik der Deutung als Übergangsform ist bei Hemminger nichts zu lesen, er präsentiert die wissenschaftliche Diskussion also selektiv und begeht damit eine Unterlassung, die er selber oft den Kreationisten vorwirft. Er schreibt dann ausgerechnet, dass der Fall „bezeichnend“ sei „für die Art, wie der Kreationismus argumentiert“, und behauptet: „Lücken im Fossilbericht werden dazu genutzt, riesige und durch die Evolutionstheorie scheinbar nicht erklärbare Entwicklungssprünge festzustellen.“ Tatsächlich ist von „nicht erklärbar“ im Text der Studiengemeinschaft Wort und Wissen, auf den sich Hemminger hier ausdrücklich bezieht, nirgends die Rede, sondern nur von nicht erklärt – ein großer Unterschied! Das gilt auch für andere Texte, insbesondere auch für „Evolution – ein kritisches Lehrbuch“. Und die Kennzeichnung „riesige“ ist eine Übertreibung der Aussagen von Wort und Wissen. Die Lücken und die Erklärungsprobleme werden im Falle der Schildkröten auch von Evolutionsbiologen thematisiert. Wenn Funde gelingen, die diese Lücken teilweise schließen oder schließen könnten, wurde das bei Wort und Wissen häufig thematisiert, z. B. auf dem Gebiet des Übergangs von Fischen zu Vierbeinern (s. z. B. Entstehung der Vierbeiner und Tiktaalik – ein erstklassiges Bindeglied? oder die Monographien der Reihe STUDIUM INTEGRALE, http://www.wort-und-wissen.de/si, und viele Beiträge in Studium Integrale Journal, http://www.wort-und-wissen.de/sij). Was ist hier also „bezeichnend“? Nur durch eine selektive Auswahl von Detailaussagen und ihre verzerrte Wiedergabe kann Hemminger seine Argumentation plausibel durchhalten und Wort und Wissen auch noch „Propaganda gegen die Naturwissenschaft“ vorwerfen (S. 177).

Weiter ist für Hemminger „unerfindlich“, warum es sich beim Übergang zu den Schildkröten um Makroevolution handeln solle. Er zitiert in diesem Zusammenhang aus dem Genesisnet-Artikel Evo-Devo, leider ohne Quellenangabe, so dass es dem Leser nicht möglich ist, das Zitat im Zusammenhang zu lesen. Dort findet sich auch eine Begründung, warum die Entstehung der Schildkröten einen makroevolutiven Schritt fordert und ebenso, warum es für diesen Schritt keine evolutionstheoretische Erklärung gibt. Hemminger teilt seinen Lesern diese Begründung nicht mit, obwohl sie im selben Artikel zu finden ist wie das Zitat, das er anführt. So schreiben Gilbert et al. (2001, 47): „Insgesamt enthält der Panzer über 50 Hautknochen, die bei keiner anderen Wirbeltier-Ordnung bekannt sind, und die Anwesenheit dieser Knochenhülle erforderte aufwändige Veränderungen des Vierfüßerbauplans. ... Der Hals, der Schädel und der Kopulationsapparat sind ebenfalls in hohem Maße verändert.“ Die Neuorganisation des Bauplans betrifft auch Atmung und Fortbewegung „radikal“, und sie ist von allen anderen Wirbeltieren verschieden (Burke 1989, 364). Kein Wunder also, dass Rieppel (2001, 987) feststellt: „Die Evolution der stark abgeleiteten adulten (=erwachsenen) Anatomie der Schildkröten ist ein Paradebeispiel eines makroevolutiven Ereignisses, das durch Veränderungen in der frühen Embryonalentwicklung ausgelöst wurde.“ Ob Änderungen in der Ontogenese (=Individualentwicklung) makroevolutive Erklärungen wirklich ermöglichen, wird im Evo-Devo-Artikel diskutiert; das soll hier nicht wiederholt werden.

Angesichts dieser Tatsachen ist die Behauptung Hemmingers, dass Funde wie Odontochelys die Lücken schließen und die Evolutionstheorie bestätigen, nicht gerechtfertigt. Unabhängig von der Tatsache, dass es „die Evolutionstheorie“ nicht gibt, beruhen seine Darstellungen hier nachweislich auf einem selektiven, oberflächlichen und unkritischen Umgang mit den vorliegenden Befunden und Argumenten. Leider ist das kein Einzelfall; vielmehr scheint diese Art der Behandlung von Fachproblemen bei Hemminger System zu haben, wenn es ihm darum geht, „kreationistische“ Positionen z.B. als „Calvinball“ zu diskreditieren (z. B. EZW-Text 195, „Mit der Bibel gegen die Evolution“; siehe dazu dessen Besprechung unter http://www.wort-und-wissen.de/disk/d08/2/d08-2.html).

Literatur

Burke AC (1989) Development of the Turtle Carapace: Implications for the Evolution of a Novel Bauplan. J. Morphol. 199, 363-378.

Gilbert SF, Loredo GA, Brukmann A & Burke AC (2001) Morphogenesis of the turtle shell: the development of a novel structure in tetrapod evolution. Evol. Dev. 3, 47-58.

Hemminger H (2009) Kreationismus und „Intelligent Design“. In: Schmid U & Bechkly G (Hg) Evolution. Der Fluss des Lebens. Stuttgarter Beiträge zur Naturkunde _Serie C 66/67, S. 173-179.

Li C, Wu XC, Rieppel O, Wang LT & Zhao LJ (2008) An ancestral turtle from the Late Triassic of southwestern China. Nature 456, 497-501.

Reisz RR & Head JJ (2008) Palaeontology: Turtle origins out to sea. Nature 456, 450-451.

Rieppel O (2001) Turtles as hopeful monsters. BioEssays 23, 987-991.

Originalzitate

„Altogether, the shell contains over 50 dermal bones found in no other vertebrate order, and the presence of this bony casing has necessitated extensive modifications of the tetrapod body plan. ... The neck, skull, and copulatory apparatus are also greatly modified“ (Gilbert et al.).

„The evolution of the highly derived adult anatomy of turtles is a prime example of a macroevolutionary event triggered by changes in early embryonic development“ (Rieppel).

Autor dieser News: Reinhard Junker

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