Was sagt die Bibel zur uns vertrauten Ökologie, die auf Fressen und Gefressenwerden basiert? Im Neuen Testament findet sich dazu im 8. Kapitel des Römerbriefs (Verse 19-22) ein aufschlussreicher Text. Er soll zunächst in der Übersetzung nach Menge wiedergegeben werden:
(19) Denn das sehnsüchtige Harren des Geschaffenen wartet auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes. (20) Denn der Nichtigkeit ist die ganze Schöpfung unterworfen worden – allerdings nicht freiwillig, sondern um dessen willen, der ihre Unterwerfung bewirkt hat –, jedoch auf Hoffnung hin, (21) dass auch sie selbst, die Schöpfung, von der Knechtschaft der Vergänglichkeit befreit werden wird zur Freiheit, welche die Kinder Gottes im Stande der Verherrlichung besitzen werden. (22) Wir wissen ja, dass die gesamte Schöpfung bis jetzt noch überall seufzt und mit Schmerzen einer Neugeburt harrt.
Der Text erklärt, dass die heutige Schöpfung sich vom ursprünglichen Zustand unterscheidet: die Schöpfung wurde der Nichtigkeit bzw. Vergänglichkeit unterworfen; sie war also früher anders. Damit wird ein früherer herrlicher Zustand der Ursprungswelt vorausgesetzt.
Mit „Schöpfung" (griech. ktisis) ist die gesamte außermenschliche Schöpfung gemeint. Es wird nämlich ausdrücklich gesagt, dass die gesamte Schöpfung seufzt (V. 20 und 22). Wenn die Menschen gemeint wären, sollte man einen anderen Begriff erwarten. Weiter wird gesagt, dass die ktisis ohne ihren Willen unterworfen wurde, also nicht schuldhaft, was sonst in der Heiligen Schrift von den Menschen ja gerade nicht gesagt wird. Das passt nur zur außermenschlichen Schöpfung.
Wie wird die Schöpfung beschrieben? Die Schöpfung wird als „nichtig" bzw. „vergänglich" charakterisiert; Dies steht betont am Anfang des Satzes von V. 20. Weiter wird die Schöpfung als seufzend, geknechtet und mit Schmerzen gezeichnet beschrieben. Die „Knechtschaft der Vergänglichkeit" wird in einen Gegensatz zur Herrlichkeit der Söhne Gottes gestellt. Von der Schöpfung als Ganze wird also ein ausgeprägt pessimistisches Bild gezeichnet. Von daher ist schon klar, dass diese Existenzweise der Schöpfung nicht die ursprüngliche sein kann, wie sie aus Gottes Schöpferhänden kam. Gott hat am Anfang keine seufzende, geknechtete, der Vergänglichkeit unterworfene Schöpfung ins Dasein gebracht.
Wie kam es zur „Knechtschaft der Vergänglichkeit"? Auch zu dieser Frage gibt der Text aufschlussreiche Hinweise. Der Text sagt, dass der gegenwärtige „Status" durch eine „Unterwerfung" in Kraft getreten ist. Der Unterwerfer kann nur Gott sein, denn nur er kann auf Hoffnung unterwerfen. Vor dem Hintergrund anderer biblischer Aussagen wird man freilich auch sagen müssen, dass der Widersacher Gottes, der Satan, seine Hand irgendwie im Spiel hatte, doch er hat nur den von Gott eingeräumten Spielraum. (Wir stehen hier vor der sog. Theodizee-Frage, der Frage nach der Gerechtigkeit Gottes angesichts des Leides in der Welt, vgl. dazu Artikel Die Theodizee-Frage.) Der Aspekt, dass auf Hoffnung hin unterworfen wurde, zeigt, dass Gott der eigentlich Handelnde ist.
Das Verhängnis des Unterworfenseins unter die Knechtschaft der Vergänglichkeit gilt nicht grundsätzlich, sondern es kennt einen Anfang und ein Ende. Das wird durch die Verwendung der (nur im Griechischen vorhandenen) Zeitform des Aorists ausgedrückt, der einen diesem Ereignis vorausgehenden Zustand voraussetzt, in welchem die Schöpfung nicht unter diesem Verhängnis stand.
Aus Römer 8,19ff. geht also hervor, dass die Schöpfung ursprünglich wesensmäßig anders beschaffen war als heute. Sie wurde der Vergänglichkeit unterworfen und besaß somit ursprünglich dieses Merkmal nicht. Folglich hatte sie andere Eigenschaften, die allerdings unserem Vorstellungsvermögen entzogen sind. Das gilt umgekehrt genauso für die verheißene zukünftige Schöpfung.
Die Schöpfung wurde „ohne ihren Willen" unterworfen, also nicht schuldhaft. Das weist auf den Menschen als Auslöser hin. Damit wird nahegelegt, dass das Unterworfensein Folge des Sündenfalls des Menschen ist und somit erst nachträglich die Schöpfung kennzeichnet. Nicht von ungefähr verstehen viele Ausleger diese Passage als neutestamentliche Auslegung der Sündenfallerzählung (1. Mose 3).
Die Zukunft der Schöpfung. Glücklicherweise bleibt der Text nicht bei der Diagnose und der Ursachenforschung stehen, sondern gibt auch eine Perspektive. Es wird eine neue Schöpfung geben, in der es keine Vergänglichkeit und das mit ihr verbundene Seufzen und Geknechtetsein mehr geben wird. (Das bezeugt die Bibel auch an anderen Stellen.) Der Weg dahin wird als Befreiung und als Neugeburt beschrieben. Es ist klar, dass dies nur durch das Eingreifen Gottes geschehen wird. |