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28.03.07  Warum Intelligent Design in der Ursprungsfrage eine Existenzberechtigung hat

Thomas Waschke veröffentlichte auf dem Blog „Evolution und Schöpfung“ (http://evolution-schoepfung.blogspot.com) am 4. März 2007 einen Gastbeitrag zum Thema „Warum ich davon ausgehe, dass ID im Bereich der Naturwissenschaften zumindest derzeit keine Existenzberechtigung hat“. Einen Tag später erschien dieser Beitrag unter dem Titel „Warum Intelligent Design (ID) im Bereich der Naturwissenschaften derzeit keine Existenzberechtigung hat“ bei der AG Evolutionsbiologie (http://www.evolutionsbiologen.de/waschke_id.html).

Zunächst stimme ich zu, dass die Kernaussage von „Intelligent Design“, dass manche Kennzeichen der Lebewesen auf einen intelligenten Urheber hinweisen (nicht: beweisen), über die Naturwissenschaft hinausgeht. Das gilt aber vice versa auch für die Evolutionslehre im Sinne der Gesamtanschauung einer allgemeinen Evolution, d. h. eines historischen Ablaufs einer evolutionären Entstehung aller Lebewesen, welche durch zahlreiche Evolutionstheorien wissenschaftlich repräsentiert wird. Dies kann man anhand des Trilemmas deutlich machen, in das Thomas Waschke den ID-Ansatz nach einem Zitat von Martin Neukamm führen möchte:

Das Trilemma. „Entweder, ID kann zeigen, dass es sich bei den postulierten Schöpfungsakten um Erfahrungstatsachen handelt. Die zweite Möglichkeit bestünde darin, ‘Intelligent Design so auszuformulieren, dass es über ein System von Gesetzesaussagen und Mechanismen verfügt, die sich derart konsistent und erklärungsmächtig in die Wissenschaftslandschaft eingliedert, dass es eine ernstzunehmende Konkurrenz zu evolutionären Betrachtungen darstellt.’“ Oder ID müsse drittens eine eliminative Induktion leisten, d. h.: „Man müsste alle denkbaren ‘Pfade’ der organismischen Entwicklung kennen und zeigen können, dass bestimmte Merkmale unter den einst herrschenden Randbedingungen nicht entstehen konnten" (Zitat von Martin Neukamm (http://www.evolutionsbiologen.de/junker_axonas.pdf) in Waschkes Artikel).

Da ID weder zu den Eigenschaften des Designers noch zu dessen Methode der Schöpfung irgendwelche Aussagen mache, stünden die beiden ersten genannten Alternativen nicht zur Verfügung.

Das Trilemma evolutionstheoretisch. Doch wie sehen diese beiden ersten Möglichkeiten im Hinblick auf die verschiedenen Evolutionstheorien aus?

1. Der postulierte Evolutionsablauf stellt sicher ebenfalls keine Erfahrungstatsache dar; er wird nur anhand von Indizien hypothetisch rekonstruiert. Die bezüglich Mechanismen einzigen derzeit beobachtbaren Tatsachen sind meist geringfügige Veränderungen, deren Extrapolation in Entwicklungssackgassen führt (das gilt auch für größere Änderungen im Sinne des Evo-Devo-Ansatzes). Darüber hinaus wird die postulierte Evolution nur durch unterschiedliche Analogieschlüsse unterstützt, nicht durch Extrapolation heutiger Prozesse (s. u.).

2. Diese Evolutionstheorien verfügen ebenfalls nicht über ein System von Gesetzesaussagen und Mechanismen, wenn es um Makroevolution geht. Den Evolutionsalgorithmus, aus dem Makroevolution erschlossen werden kann, gibt es nicht. Stattdessen wird regelmäßig auf vergleichend-biologische Betrachtungen zurückgegriffen, wenn es um die Beschreibung oder gar Erklärung bei der Entstehung evolutionärer Neuheiten geht. Es geht in der anstehenden Frage um die Existenzberechtigung von „ID" aber gerade um Mechanismen. Dass die bekannten Mechanismen keine Makroevolutionsprozesse begründen, habe ich zusammenfassend im Artikel „Was erklärt die Evolutionstheorie“ dargestellt (http://www.wort-und-wissen.de/artikel/a03/a03.pdf; Details dazu in „Evolution - ein kritisches Lehrbuch“: http://www.wort-und-wissen.de/lehrbuch.html).

Der Zwischenstand ist somit nach zwei Dritteln 0:0.

Design-Signale und Analogieschluss. Thomas Waschke wirft zu Beginn des dritten Teil des Trilemmas die Frage auf, „wie ID nun trotzdem als Wissenschaft betrieben werden kann". Er verweist hier darauf, dass ID den Anspruch erhebt, eine Signalerkennungstheorie zu sein. Gemeint ist damit, dass es Kennzeichen von Lebewesen (sog. „Design-Signale“) gebe, die auf einen intelligenten Urheber hinweisen (s.o.). Eine Signalerkennungstheorie sei jedoch – so Waschke – nicht möglich, wenn man gar nicht wisse, was ein Signal sei.

Hier verweisen ID-Befürworter jedoch auf Kennzeichen von menschlichem Design, als da wären: Zweckmäßige Konstruktionen mit funktioneller Interdependenz und nichtreduzierbarer Komplexität, Modularität und Wiederverwendung von Bauelementen und vieles andere (was hier aus Platzgründen nicht dargestellt werden kann). Durch die Analogie mit technischem Design ist also sehr wohl klar, was ein Design-Signal ist. Damit ist zugleich ein Kriterienkatalog für die wissenschaftliche Prüfung vorgegeben. Dies erkennt Waschke aber nicht an. Begründung: Der Analogieschluss von technischem auf lebendiges Design sei „nicht möglich, denn die interessanten Systeme, nämlich die Lebewesen, haben eine Eigenschaft, die sie von allen genannten Systemen unterscheidet: sie sind zur Selbstvermehrung fähig, eben zu ‘descent with modification’.“ Das sei „genau der Punkt, der den Schluss von Artefakten auf Naturgegenstände unmöglich macht.“ Da Waschke meinen Genesisnet-Artikel über ID zitiert (Kontroverse um „Intelligent-Design“, dort der Abschnitt „Was bringt die Fortpflanzungs- und Evolutionsfähigkeit?“), wundert es mich, dass er nicht auf meine Entgegnung dieses Gegenarguments eingeht. Auch im Internet-Artikel „Wissenschaft im Rahmen des Schöpfungsparadigmas“ befasse ich mich mit dieser Frage (http://www.wort-und-wissen.de/artikel/a02.a02.pdf, S. 50f.).

Die Antworten lauten dort:

1. Die Tatsache, dass Lebewesen fortpflanzungs- und evolutionsfähig sind, stellt den Analogieschluss nicht in Frage, weil nie gezeigt wurde, dass diese Eigenschaften etwas mit der Entstehung von Design zu tun haben, und weil diese Eigenschaften das tertium comparationis daher nicht in Frage stellen.

2. Das zusätzliche Merkmal der Fortpflanzungs- und Variationsfähigkeit erfordert nach allem, was wir über die biologischen Grundlagen sich fortpflanzender und entwickelnder Systeme wissen, eine hochvernetzte Interaktion zwischen Informationsträgern und den korrespondierenden morphologisch-funktionellen Merkmalen. Das biologische Design dafür verweist erst recht auf intelligente Planung. Der Schuss geht also nach hinten los. Auf dem Blog von Christoph Heilig hat Klaus Lange vor kurzem einen Beitrag veröffentlicht, in dem er zeigt, dass man programmiertechnisch mittlerweile in der Lage ist, diese Merkmale von Lebewesen ebenfalls teilweise „nachzumachen" (http://evolution-schoepfung.blogspot.com/2007/03/klaus-lange-zur-vergleichbarkeit-von.html).

3. Lebewesen besitzen nichtreduzierbar komplexe Strukturen, die nach gegenwärtigem Kenntnisstand durch natürliche Vorgänge nicht sukzessive entstehen können. Das Mehr-Generationen-Argument hilft in solchen Fällen nicht weiter. Hinzu kommt noch: Solange es Leben noch nicht gab, waren die Merkmale „Fortpflanzungs- und Evolutionsfähigkeit“ noch gar nicht etabliert.

Wir wissen also aus vielerlei Beispielen der menschlichen Kultur, dass Design durch intelligente Planung entsteht, während es keine Erfahrungstatsache ist, dass Design durch ungelenkte Prozesse entsteht.

Machen wir uns das Argument an einem Beispiel klar: Thomas Waschke schreibt: „Wir kennen die Eigenschaften beispielsweise von Stein hinreichend, um beurteilen zu können, dass die bekannten Mechanismen der Erosion keine Präsidentenköpfe aus dem Gestein des Mt. Rushmore formen können.“ Nach heutigem chemischem Wissen kann man mit Fug und Recht entsprechend argumentieren: Wir kennen die Eigenschaften kettenförmiger Makromoleküle wie Proteine und DNA hinreichend, um festzustellen, dass ihre Synthese und Existenz zwar im Einklang mit den bekannten physikalisch-chemischen Gesetzmäßigkeiten stehen, diese aber für eine plausible präbiotische (zufällige, ungesteuerte) Synthese der Makromoleküle nicht hinreichend sind. Das ist eine empirisch bestens begründete und vielfach bewährte Aussage.

Aus alledem folgt freilich nicht, wer das Design verwirklicht hat. Darum geht es bei ID aber auch gar nicht. Ohne Offenbarung kann es keine Identifikation des Designers der Lebewesen geben. Einen wissenschaftlich zwingenden Schluss auf einen göttlichen Designer ist daher unmöglich. (Daher stimmt dieser Satz: „Aber niemand käme auch auf die Idee, einen Faustkeil als Argument für Außerirdische zu verwenden.“ Er wird an ihm aber Design-Signale erkennen.)

Das positive Analogie-Argument bewährt sich und ist daher alles andere als ein gescheiterter Versuch wissenschaftlicher Deutung.

Argumentum ad ignorantiam. An dieser Stelle seien noch einige Anmerkungen zum „argumentum ad ignorantiam“ angefügt, welches besagt: Wir wissen nicht, wie lebendige Systeme ohne planerische Eingriffe entstehen konnten, also haben sie Planung benötigt. Thomas Waschke behauptet, die Naturwissenschaft würde eben doch Mechanismen kennen, die zumindest das Potenzial besitzen, Neuheiten in der Evolution entstehen zu lassen. Das bestreite ich. Wenn die gegenwärtig favorisierten Mechanismen, die nur zum Teil experimentell fassbar sind, extrapoliert werden (wie Waschke empfiehlt), gelangen wir nicht zu einer allgemeinen Evolution aller Lebewesen, sondern in phylogenetische Entwicklungssackgassen. Das Variationspotential, das in den Lebewesen (empirisch nachweisbar) steckt, wird zunehmend ausgereizt. (Dies wird im Detail an anderer Stelle begründet: Artbildung und Genetisch polyvalente Stammformen von Grundtypen.) Daher kann die Evolutionstheorie nicht mit dem Vorsprung einer Extrapolationsmöglichkeit gegenüber ID auftrumpfen, während ID nur einen vermeintlich fragwürdigen Analogieschluss anzubieten habe. Tatsächlich wird Makroevolution selbst mit Analogieschlüssen begründet, so vor allem durch vergleichend-biologische Daten (Ähnlichkeiten der Lebewesen). Warum dies ein Analogieschluss ist, habe ich an anderer Stelle kurz dargestellt (http://www.wort-und-wissen.de/flyer/f03/f03.pdf).

Immunisierung gegen Kritik? Thomas Waschke schreibt weiter: „Dazu kommt noch eine weitere Asymmetrie: wenn die Entstehung einer Struktur naturalistisch erklärt wurde, kann ID immer noch sagen, dass es durchaus noch andere Strukturen gibt, deren Genese eben noch nicht erklärt werden kann.“ In meinem Genesisnet-Artikel über „nichtreduzierbare Komplexität“ habe ich dazu Stellung genommen (Nichtreduzierbare Komplexität). Selbstverständlich muss nicht für jede Struktur nachgewiesen werden, dass eine evolutive Entstehung möglich ist. Wenn dieser Nachweis einige Male gelingt, so steigt die Plausibilität, dass dies auch bei vergleichbar komplexen Strukturen möglich ist. Es sei in aller Deutlichkeit gesagt: Nicht „erst wenn alles erklärt wurde, ist kein Designer mehr plausibel“, sondern bereits dann, wenn eines der komplexesten Designs naturalistisch erklärt würde. Das ist eine Einladung zum Falsifizieren und alles andere als eine Immunisierungsstrategie. Waschke meint dagegen. „Ein einziges Beispiel für Design würde auf der anderen Seite den Naturalismus endgültig widerlegen. Daher ist die naturalistische Position viel leichter prüfbar.“ Dass Design durch intelligente Planung entsteht, ist aber längst gezeigt, und der Naturalismus zieht sich auf ein „wissen wir noch nicht“ zurück und immunisiert damit seine Position gegen Kritik.

Weshalb ID Forschung beleben könnte. Welchen Platz im Haus der Naturwissenschaften nehmen Theorien zur Herkunft des Lebens tatsächlich ein? Bilden sie das Fundament, auf dem alles Wissen ruht oder bestimmen sie eher die Architektur des Bauwerkes? ID hat wie die Evolutionslehre die Ursprungsfrage des Lebens zum Thema. Beide Ansätze greifen auf empirisches Vorwissen zurück (z.B. vergleichende Anatomie, Biochemie, Molekularbiologie, Paläontologie etc.). Für alle Bereiche der morphologischen, physiologischen oder molekularbiologischen Analyse biologischer Phänomene (z.B. des Sehvorganges oder der Nierenfunktion) gilt, dass eine Beschreibung gelingt, „ohne dass auf nur eine evolutionsbiologische Aussage zurückgegriffen werden müsste“ (M. Gutmann: Begründungsstrukturen von Evolutionstheorien. In: U. Krohs & G. Toepfer: Philosophie der Biologie. Frankfurt/M, 2005, S. 259). Interessanterweise führt auch das Fragen nach dem „Woher“ – egal ob durch die Evolutionsbiologie oder durch ID motiviert – ständig zu neuen Fragen nach dem „Wie" des biologischen Seins. Aus diesem Grund hat ID eine Existenzberechtigung in der Wissenschaft. Aus dem ID-Ansatz folgen Fragestellungen, die zu Wissenszuwachs führen werden, wenn man sich ihnen widmen würde.
Für die Ursprungsfrage scheint es angemessen, einen breiteren Forschungsansatz gelten zu lassen als den, der nur naturgesetzmäßig Erfassbares berücksichtigt (siehe dazu Ist Intelligent Design wissenschaftsfeindlich?).

In der Ursprungsfrage geht es darum, auf der Grundlage gegenwärtig verfügbarer Befunde einen hypothetischen vergangenen Prozess zu rekonstruieren. Ein solcher Prozess kann nur beschreibend simuliert, nicht aber direkt untersucht werden. Wer die Option ID offenhält, wird nicht nur versuchen, das Potential gesetzmäßig beschreibbarer Prozesse auszuloten, sondern auch aktiv nach Indizien für Planung (Design-Signalen) suchen. Das Mittel dazu ist Naturwissenschaft, auch wenn der Schluss auf das Wirken eines Designers über Naturwissenschaft hinausgeht. Wer diese Option ID ausschließt, versagt sich möglicherweise Erkenntnisse, die er mit dieser Option gewinnen könnte.

Weiterer Link

Antwort auf den zitierten Artikel von Martin Neukamm: Kontroverse über Wissenschaft und „Intelligent Design“


Autor dieser News: Reinhard Junker, 28.03.07

 
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