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24.01.19  Möglicherweise jüngster großer Impakt-Krater unter dem Grönland-Eis

Gezielte Radarblicke durch die grönländische Eisdecke lassen eine typische Struktur eines Impakt-Kraters erkennen. Der mutmaßliche Impakt-Krater ist möglicherweise geologisch jung und könnte neue Erkenntnisse über die Dynamik und Dimension großer Impakt-Ereignisse liefern.  

Gastbeitrag von Michael Kotulla

Krater von Hiawatha

Die Hohlform, die Kjær et al. (2018) unter dem Hiawatha-Gletscher in NW-Grönland entdeckt haben, ist gewaltig: Der Durchmesser beträgt 31 km, die Eintiefung im Verhältnis zum Rand rund 300 m. Im Zentrum ist eine leichte Aufwölbung ausgebildet. Die Autoren interpretieren die Struktur als Impakt-Krater, also als Krater, der durch Einschlag eines kosmischen Körpers (Meteorit) entstanden ist. Als weitere Impakt-Indizien – neben der Kraterform – präsentieren sie u. a. Funde von Quarzkörnern aus Sedimenten des Gletscher-Vorlandes, die „geschockt“ sind. Dieser Begriff steht für die Ausbildung planarer Deformationslamellen (engl. Abkürzung: PDF), die durch sehr hohe Stoßwellendrücke – wie sie bei Impakten auftreten können – entstehen.         

Demnach könnte es sich um ein Impakt-Ereignis handeln, das – bezogen auf den Durchmesser – dem Ries-Ereignis ähnelt. Der Ries-Krater (Nördlinger Ries, Süddeutschland) hat einen Durchmesser von 24 km; das Impakt-Ereignis wird dem Miozän zugerechnet.1

Verglichen mit anderen großen Impakt-Kratern ist die Struktur des Hiawatha-Kraters gut erhalten („frisch“). Aufgrund der Ausbildung des Kraterreliefs wird allerdings vermutet, dass der Kraterrand und die zentrale Aufwölbung teilweise erodiert wurden und im Krater Seesedimente ausgebildet sind.

Radiostratigraphie und Alter

Der Krater ist von dem bis zu 1 km mächtigen Hiawatha-Gletscher bedeckt (s. Animation in Viñas-Garcia 2018). Die Eisschichten reichen von oben nach unten kontinuierlich bis knapp unterhalb der Pleistozän/Holozän-Grenze. Dann folgt eine gestörte Eiszone, die mit Trümmer (Gestein, Eis?) durchsetzt ist; sie liegt unmittelbar der Oberfläche des Kraters auf. Die zeitliche Interpretation der Eisschichten basiert auf Auswertungen von Tiefenradarmessungen (Radiostratigraphie) in Verbindung mit Vergleichen von Tiefenprofilen des grönländischen Eisschildes insgesamt (s. Kotulla 2016).

Es ist wohl das (stratigraphische) Alter der Eisdecke, die den Erstautor der Studie, Kurt H. Kjær, veranlasst anzunehmen, dass sich der Meteoriten-Einschlag möglicherweise sogar nur „vor 12.000 Jahren“ ereignet haben könnte, zum Ende der Eiszeit (University of Copenhagen (2018).2 Seine Jahreszahl bezieht sich auf ein „etwas älter“ als die Pleistozän/Holozän-Grenze, der ein Alter von 11.700 [Eiskern-]Jahren zugewiesen wird. Zu einer Diskussion dieser Alter siehe Kotulla (2013).

Demzufolge könnte sich das mutmaßliche Hiawatha-„Impakt-Ereignis“ – stratigraphisch korreliert – etwa während oder nach der explosiven Eruption des Laacher-See-Vulkans (40 km südlich Bonn) ereignet haben.  

Potenzial für neue Erkenntnisse

Die Rekonstruktion dieses „greifbar nahen“ Impakt-Ereignisses – wenn es sich als solches bestätigt und wenn es sich am Ende der Eiszeit ereignete – hat Potenzial für einen deutlichen Erkenntnisgewinn. Zahlreiche interessante Fragen gilt es zu beantworten, u. a.:

Schlug der Meteorit auf eine eisfreie oder eisbedeckte Oberfläche ein? Welche Spuren hat der Einschlag hinterlassen – lokal, regional, global – auch hinsichtlich Umwelt und Klima? Gibt es Ablagerungen von Auswurfmaterial (Impakt-Ejekta)? In den grönländischen Eisbohrkernen sind bislang Lagen solcher Herkunft nicht aufgefallen. Hatte der Impakt möglicherweise einen entscheidenden Einfluss auf den raschen Zusammenbruch der Eisschilde? Wie katastrophal war der Impakt insgesamt? Sind die gängigen Vorstellungen über das Zerstörungspotenzial großer Impakte (räumlich und zeitlich) möglicherweise überzogen? Zum Beispiel auch im Vergleich zum Ries-Ereignis, bei dem eine immense Druck- und Hitzewelle im Umkreis von mehreren Hundert Kilometern angenommen wird.   

Es ist davon auszugehen, dass die Erforschung des mutmaßlichen Hiawatha-„Impakt-Ereignisses“ fortgesetzt wird. Wahrscheinlich wird dabei auch eine Tiefbohrung in den Krater in Betracht gezogen werden.

Video

„Massive Crater Discovered Under Greenland Ice“ (4:29, in Englisch) unter https://www.youtube.com/watch?time_continue=261&v=vTr3VdGlFr8

Literatur

Kjær KH, Larsen NK, Binder T,  Bjørk AA, Eisen O, Fahnestock MA, Funder S, Garde AA, Haack H, Helm V, Houmark-Nielsen M, Kjeldsen KK, Khan SA, Machgut H, McDonald I, Morlinghem M, Mouginot J, Paden JD, Waight TE, Weikusat C, Willerslev E & MacGregor JA (2018) A large impact crater beneath Hiawatha Glacier in northwest Greenland. Science Advances 4, eaar8173. http://advances.sciencemag.org/content/4/11/eaar8173

Kotulla M (2013) Grönländische Eiskerndaten und ihre Interpretation: Absolute Datierung durch Zählung von Jahresschichten? W+W Special Paper G-13-1, Baiersbronn; http://www.wort-und-wissen.de/download.html.

Kotulla M (2016) Radarblick in die grönländische Eisdecke. Studium Integrale Journal 23, 125-126. http://www.si-journal.de/index2.php?artikel=jg23/heft2/sij232-s.html

University of Copenhagen (2018) Massive impact crater from a kilometre-wide iron meteorite discovered in Greenland. Pressemitteilung vom 14. 11. 2018. https://news.ku.dk/all_news/2018/11/massive-impact-crater-from-a-kilometre-wide-iron-meteorite-discovered-in-greenland/

Viñas-Garcia M-J (2018) Crater Lurks Beneath the Ice. Image of the day for November 14, 2018. https://earthobservatory.nasa.gov/images/144279/crater-lurks-beneath-the-ice

Endnoten

1    Siehe z. B. unter https://www.geopark-ries.de/entstehung-rieskrater/.

2    „So far, it has not been possible to date the crater directly, but its condition strongly suggests that it formed after ice began to cover Greenland, so younger than 3 million years old and possibly as recently as 12,000 years ago – toward the end of the last ice age, says Professor Kurt H. Kjær from the Center for GeoGenetics at the Natural History Museum of Denmark.“ (University of Copenhagen 2018).


Autor dieser News: Studiengemeinschaft Wort und Wissen, 24.01.19

 
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