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13.12.16  Dino-Federn in Bernstein?

Ein neuer Bernsteinfund sorgt für Furore: Erstmals wurden federähnliche Strukturen zusammen mit Knochenstrukturen in Bernstein entdeckt. Die Zuordnung des eingeschlossenen Schwanzwirbelsäulenfragments zu einem Dinosaurier aus der Gruppe der Coelurosaurier erscheint allerdings nicht gesichert. Der Federaufbau entspricht keiner bekannten Federstruktur und passt nicht gut zum derzeit favorisierten Federentstehungsmodell. Mit 99 Millionen radiometrischen Jahren (mittlere Kreide) ist der Fund viel zu jung, um Auskunft über eine hypothetische Evolution von Federn zu geben, da bereits der berühmte „Urvogel“ Archaeopteryx und andere Gattungen aus dem Oberjura und der Unterkreide moderne Federn besaßen.

Bernstein-Einschlüsse (Inklusen) bieten faszinierende Einblicke in die frühere Lebewelt. Ungezählte Insekten, Spinnentiere, Pflanzenteile, Mikroorganismen und in selteneren Fällen sogar Fröschchen, kleine Echsen oder Federn sind dadurch erhalten. Nun wurde erstmals ein kurzer Abschnitt (ca. 36 mm) eines (Dinosaurier-?)Schwanzes, an dem sich Wirbel abzeichnen, in einem Bernstein beschrieben (Xing et al. 2016a); das Stück wurde auf einem Bernsteinmarkt in Myanmar erworben und stammt aus einer der dortigen Bernsteinminen. Das Besondere an dieser Inkluse: Der Schwanz ist nicht nur von Wirbeln durchzogen; an seiner Oberfläche ist auch ein Besatz von federähnlichen Anhängen erhalten. Damit wurden erstmals federähnliche Strukturen zusammen mit Knochen in Bernstein entdeckt. Außerdem bietet der Fund Einblicke in die räumliche Anordnung der fiederigen Strukturen. Auch in dieser Hinsicht ist der detailreiche Fund aus Schichten der mittleren Kreide Myanmars, die radiometrisch auf 99 Millionen Jahre datiert werden, interessant.

Bei den zahlreichen bisher beschriebenen Dinosaurierfosssilien mit flaumartiger Körperbedeckung sind wegen schlechter Erhaltung die Details der Körperanhänge oft nicht genau rekonstruierbar, außerdem handelt es sich dabei um Kompressionsfossilien, d. h. deren Überreste sind zusammengedrückt und quasi nur 2-dimenional erhalten.

Aufgrund von wenigen und wenig spezifischen Merkmalen der erkennbaren Wirbel wagen die Autoren eine Zuordnung des Fossils zu den Coelurosauriern („Hohlschwanzechsen“); die abgeleitete geringe Größe interpretieren sie als Hinweis ein Jugendstadium. Xing et al. vermuten, dass  das Tier  spatzengroß war; wie groß es in ausgewachsenem Zustand war, ist schwer abzuschätzen. Coelurosaurier sind eine größere Gruppe unter den Dinosauriern; sie werden in zahlreiche Untergruppen unterteilt, zu denen auch die Deinonychosauriden gehören, die als nächstverwandt mit den Vögeln gelten (sie werden von den meisten Forschern als Schwestergruppe der Vögel angesehen). Auch die Tyrannosauriden gehören zu den Coelurosaurier; diese Gruppe ist also sehr vielseitig. Eine präzisere Zuordnung zu einer Familie innerhalb der Coelurosaurier ist nicht möglich.

Aus Größe und Form der Wirbel des erhaltenen Bruchstücks schließen die Autoren, dass das Tier mindestens 15, wahrscheinlich über 25 Wirbel besaß. Zum Vergleich: Der berühmte „Urvogel“ Archaeopteryx besaß 23 Schwanzwirbel, der Urvogel Jeholornis bis zu 27 (Zhou & Zhang 2003); deren Schwänze waren daher als Fiederschwänze ausgebildet. Die Autoren halten es aufgrund morphologischer Details der Wirbel allerdings für unwahrscheinlich, dass der Fund zu solchen Fiederschwanz-Vögeln gestellt werden könnte. (Heutige Vögel besitzen einen Fächerschwanz, der an einem Pygostyl – einige verwachsene Schwanzwirbel – ansetzt; das trifft auch auf die meisten fossilen Vögel aus der Kreide zu.)

Das Schwanzfragment ist an beiden Seiten dicht mit Reihen von wenige Millimeter langen Federn besetzt (http://www.cell.com/action/showImagesData?pii=S0960-9822%2816%2931193-9; Figure 1). Sporadisch sind Weichgewebe, vermutlich Muskeln, Bänder und Haut erkennbar.

Die Federn wurden mikroskopisch analysiert sowie einer computertomographischen Untersuchung unterzogen und weisen einen Aufbau auf, der in dieser Form bisher nicht bekannt war. Ein Schaft ist nur undeutlich ausgebildet, im Durchmesser kaum verschieden von den Federästen; die Federäste sind wechselständig (alternierend) und nur an der Basis fast gegenständig, zur Spitze hin ist die Verzweigung fast dichotom (gabelig) (http://www.cell.com/action/showImagesData?pii=S0960-9822%2816%2931193-9; Figure 3). Die ebenfalls gut erhaltenen, ca. 0,1 mm langen Federstrahlen sitzen nicht nur an den Ästen, sondern in gleicher Ausprägung auch an der Rachis; das kennt man bei heutigen Federn nur von der Basis des Schafts.

Die Autoren erwähnen mehrmals auch Follikel; das ist der in die Körperhülle eingesenkte Bereich der Federn. Eine nähere Beschreibung findet sich dazu nicht in ihrer Arbeit; auch aus den Abbildungen geht nicht hervor, woran deren Existenz erkennbar ist.

Ist die Bezeichnung „Feder“ für die fiederigen Strukturen gerechtfertigt? Es hat sich eingebürgert, jeglichen Körperbesatz von Dinosauriern als Federn oder Vorfedern zu bezeichnen. In vielen Fällen ist das nicht gerechtfertigt, sondern ausschließlich evolutionstheoretisch motiviert, wonach Vögel von Dinosauriern abstammen. Einfache Körperanhänge von Dinosauriern wiederum als Belege für diese populäre These zu verwenden, stellt einen Zirkelschluss dar.

Die Federn des von Xing et al. (2016a) beschriebenen Bernsteinfundes sind allerdings deutlich komplexer strukturiert als alle bekannten flaumartigen Strukturen bei Kompressionsfossilien. Denn immerhin gibt es zwei Ordnungen von Verzweigungen, wenn auch nicht in einer Ausgestaltung wie bei eindeutig flächigen Federn. Chuong et al. (2003) definieren Federn als komplexe Integumentanhänge, die hierarchisch verzweigt sind, aus Rachis, Federästen und Federstrahlen bestehen, aus einem Follikel heraus wachsen und besondere biochemische, morphologische und entwicklungsbiologische Eigenschaften besitzen. Die neu beschriebenen Bernsteinfedern erfüllen diese Kriterien nur zu einem kleinen Teil oder es ist unsicher, ob die Kriterien erfüllt sind. Klar ist, dass die Federn nicht flugtauglich waren. Über ihre Funktion kann nur spekuliert werden und die Funktion dürfte ohne Kenntnis des ganzen Tieres nicht bestimmbar sein.

Ist die Zuordnung des Fundes zu einem Dinosaurier gesichert? Xing et al. (2016, 3) stellen fest, dass nur zwei Wirbelkörper gut zu erkennen seien, da das erhaltene Weichgewebe so hoch verdichtet ist, dass es nur schwer von den weiteren Skelettelementen unterscheidbar ist. Daher blieben viele diagnostische Details der Knochen unklar. Der Schluss auf die Existenz von acht oder neun Wirbeln im erhaltenen Bernsteinstück erscheint daher unsicher und die Extrapolation auf die Existenz von wahrscheinlich mehr als 25 Wirbeln steht somit auf schwachem Fundament.

Dass die Form der Wirbel auf einen Theropoden hinweise, begründen die Autoren mit dem Nachweis einer bauchseitigen Kerbe auf dem Centrum (Wirbelzentrum) der Wirbelkörper, was typisch für Theropoden sei; im online-Zusatzmaterial merken die Autoren allerdings an, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass eine solche Kerbe auch bei Archaeopteryx und Jeholornis ausgebildet war. Auch die sehr geringe Größe des Tieres ist für einen Theropoden ungewöhnlich. Die Bestimmung des Fossils als Coelurosaurier-Theropode kann daher nicht als sicher gelten.

Was trägt der Fund zur Klärung der Entstehung von Vogelfedern bei? Xing et al. (2016a) ordnen die Federstruktur des neuen Fundes in das derzeit favorisierte Federentstehungsmodell von Prum (1999) ein. Die Struktur der beschriebenen „Schwanzfedern“ passen aber zunächst einmal zu keiner der dort hypothetisch angenommenen Formen; die Autoren ordnen sie in die Nähe von Stadium IIIB dieses Modells ein (vgl. http://www.cell.com/action/showImagesData?pii=S0960-9822%2816%2931193-9; Figure 4). Dieses Stadium ist durch Ausbildung von Federästen und Federstrahlen gekennzeichnet. Die Autoren sehen die Bernsteinfedern als Beleg dafür, dass zuerst Federstrahlen entstanden sind, bevor die Federn flächig wurden. Allerdings sind die Federn wie beschrieben einzigartig ausgebildet und passen nicht in jeder Hinsicht in Prums Modell, sie stehen eher im Zwischenbereich der als Alternativen beschriebenen hypothetischen Stadien IIIA und IIIB. Xing et al. (2016a, 7) halten es daher für möglich, dass es sich um eine spezialisierte Federform handelt, die außerhalb der Federevolutionslinie steht.

Die Bedeutung des neuen Fundes für Hypothesen zur Entstehung von Vogelfedern muss aber ohnehin als sehr gering eingestuft werden. Denn der Fund ist nach gängiger zeitlicher Einordnung ca. 60 Millionen Jahre (radiometrisch) jünger als die älteste Vogelgattung, die unzweifelhaft flächige Federn heutiger Bauart besaß (Anchiornis) und ca. 50 Millionen radiometrische Jahre (MrJ) jünger als Archaeopteryx, dessen Federn von Federn heutiger Vögel kaum zu unterscheiden sind. Aus der Unterkreide sind ab etwa 130 MrJ mit den sogenannten Gegenvögeln (Enantiornithes) und den Ornithurae („Vogelschwänze“) Dutzende von Vogelgattungen mit „fertigen“ Federn bekannt. Daher kann dem auf 99 MrJ datierten Bernsteinfund kaum eine Bedeutung für die Federevolution zugemessen werden. Darstellungen in der Wissenschaftspresse, wonach der Fund zeige, dass der Federschaft später entstand als die feinsten Federhärchen (http://www.scinexx.de/wissen-aktuell-20926-2016-12-09.html), sind daher fehl am Platz.

Problematisch ist auch, dass nur ein kleines Bruchstück erhalten ist, das zudem vermutlich von einem noch nicht ausgewachsenen Tier stammt. Rekonstruktionen eines ganzen Tieres, wie sie in Pressmeldungen verbreitet werden, sind nicht seriös. Hatte das Tier vielleicht an anderen Körperstellen „moderne“ Federn wie sie bei einer anderen Gattung aus denselben Schichten gefunden wurden (Xing et al. 2016b)? Wie waren die Federn beim ausgewachsenen Tier ausgebildet? Angesichts der Existenz verschiedenster Mosaikformen ist auch die Frage angebracht, ob es sich wirklich um einen Dinosaurier handelt. Acht oder neun Schwanzwirbel sind zu wenig, um auf den Körperbau und die Befiederung des ganzen Tieres schließen zu können.

Literatur

Chuong CM, Wu P, Zhang FC, Xu X, Yu M. Widelitz RB, Jiang TX & Hou L (2003) Adaptation to the sky: Defining the feather with integument fossils from Mesozoic China and experimental evidence from molecular laboratories. J. Exp. Zool. 298B, 42-56.

Prum RO (1999) Development and evolutionary origin of feathers. J. Exp. Zool. 285, 291-306.

Xing L, McKellar RC et al. (2016a) A feathered dinosaur tail with primitive plumage trapped in mid-Cretaceous amber. Curr. Biol. 26, 1-9, http://dx.doi.org/10.1016/j.cub.2016.10.008

Xing L, McKellar RC, et al. (2016b) Mummified precocial bird wings in mid-Cretaceous Burmese amber. Nat. Comm. 7:12089, doi: 10.1038/ncomms12089.

Zhou Z & & Zhang F (2003) Jeholornis compared to Archaeopteryx, with a new understanding of the earliest avian evolution. Naturwissenschaften 90, 220-225.

Bilder:

http://www.cell.com/action/showImagesData?pii=S0960-9822%2816%2931193-9

http://www.zeit.de/wissen/2016-12/dinosaurier-bernstein-fund-myanmar


Autor dieser News: Reinhard Junker, 13.12.16

 
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