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02.03.16  Neues zur kambrischen Explosion?

Die „kambrische Explosion“ ist echt (Erwin & Valentine 2013). Die Fülle der fossil erstmals überlieferten Tierstämme im unteren Teil des Kambriums ist zu groß, um durch evolutionäre Szenarien erklärt werden zu können. Allein schon die Suche nach Auslösern für diesen mutmaßlichen evolutionären Schub gestaltet sich als schwierig – wobei Auslöser an sich keinen Evolutionsmechanismus liefern. Die in letzter Zeit verfolgte Idee, dass Sauerstoffzunahme eine Erklärung für die „Explosion“ bieten könnte, ist nach einer neuen Studie fragwürdig. Und der (nicht neue, aber erneut festgestellte) Befund, dass molekulare Daten eine viel frühere Entstehung der Tierstämme nahelegen (jedenfalls wenn Evolution vorausgesetzt wird), entschärft das evolutionstheoretische Problem auch  nicht.

Im Jahr 2013 veröffentlichten zwei ausgewiesene Kenner, Douglas Erwin und James Valentine, das Buch „The Cambrian Explosion“. Der Titel bezieht sich auf die Art und Weise, wie sich die Fossilüberlieferung im unteren Teil des Kambriums darstellt:  Zahlreiche grundverschiedene Tierbaupläne tauchen erstmals auf, und zwar in großer Fülle und Verschiedenartigkeit und zudem in weiter geographischer Verbreitung. Erwin & Valentine (2013, v) schreiben: „… während einer relativ kurzen Zeitspanne im frühen Kambrium erfolgt ein explosives Erscheinen vieler verschiedener, gestaltlich abgegrenzter Fossilien, einschließlich Vertreter der meisten größeren Tiergruppen, die auch heute leben.“

So klar der fossile Befund ist, so unklar ist, wie er im evolutionstheoretischen Rahmen erklärt werden könnte. Was war der Auslöser für diesen „evolutionären Durchbruch“ (Fox 2016)? In neuen Untersuchungen wird der schon älteren Idee nachgegangen, dass ein Anstieg des Sauerstoffgehaltes ausschlaggebend gewesen sein könnte. Schließlich sind Innovationen wie Muskeln, Nervensystem, Einrichtungen zum Beuteerwerb und zur Verteidigung, mineralisierte Schalen und Skelettelemente sehr energiehungrig und damit auch sauerstoffbedürftig. Die gegenüber den Formen des nächst älteren Ediacariums neu vorkommende räuberische Lebensweise erforderte größere Mengen an Sauerstoff, sie habe zudem zu einem Wettrüsten zwischen Räubern und Beute geführt (Fox 2016, 269), was ebenfalls die Evolution von Neuheiten begünstigt habe.

Um die Idee mit dem Sauerstoffgehalt zu prüfen, wurden Gesteine, die ehemals am Meeresgrund entstanden sind und dem Kambrium oder älteren Sedimenten zugeordnet werden, auf das Vorkommen von Eisen, Molybdän und andere Metalle untersucht (Sperling et al. 2015). Die Löslichkeit dieser Metalle hängt eng mit der Menge an Sauerstoff zusammen, so dass diese Metalle als Indikatoren dafür genutzt werden können, wie viel Sauerstoff im Wasser war, als die betreffenden Sedimente gebildet wurden.

Erik Sperling von der Stanford University in Kalifornien und sein Team sammelten Daten von 4.700 Eisenmessungen weltweit aus Proben aus dem Kambrium und dem Ediacarium – und fanden keinen besonders auffälligen Sauerstoff-Anstieg an der (künstlichen) Grenze zwischen den beiden geologischen Perioden. Der Sauerstoffgehalt heutiger Meere sei im Kambrium nicht erreicht worden. Andererseits weiß man von heutigen sauerstoffarmen Ökosystemen im Meer, dass auch bei einem sehr viel niedrigeren Sauerstoffgehalt als dem gegenwärtigen komplexes Leben möglich ist. Daher könnte – so Sperling – auch ein moderater Anstieg des Sauerstoffgehalts als Auslöser für eine „große Veränderung“ ausgereicht haben (Fox 2016, 269).

So umfangreich und detailliert die neuen Untersuchungen sind – welcher Sachverhalt wird damit eigentlich getestet?  Offenkundig wird damit nicht eine Hypothese darüber geprüft, wie die Fülle der Tierbaupläne entstanden ist! Nachgewiesen wird bestenfalls ein Zusammenhang zwischen dem Sauerstoffgehalt in den Meeren und der Komplexität der in den betreffenden Sedimenten erhaltenen Lebewesen und Lebensgemeinschaften. Mit Evolution hat das nichts zu tun. Der festgestellte Zusammenhang ist ein ökologischer, kein evolutionärer. Wenn man dennoch einen evolutionären Kontext voraussetzt, könnte man auch sagen, dass auf eine mögliche Begleiterscheinung bzw. eine Koinzidenz oder eine notwendige Bedingung der kambrischen Explosion getestet wurde. Eine Koinzidenz ist aber keine Ursache. Schließlich ist der heutige Sauerstoffgehalt der Luft auch keine Ursache für die Entstehung eines Verbrennungsmotors, sondern nur eine notwendige Voraussetzung. Dieser selbstverständliche Sachverhalt wird immer wieder verschleiert, indem nicht klar zwischen Ursachen und notwendigen Voraussetzungen unterschieden wird. Kurz: Auslöser machen keine Baupläne.

Eine weitere aktuelle Arbeit zum Thema soll hier noch Erwähnung finden – eine Studie, von der die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) behauptet, dass sie einen „ziemlich grossen Nagel in den Sarg der ‚kambrischen Explosion‘“ schlagen würde (http://www.nzz.ch/wissenschaft/biologie/jahrmillionen-mit-der-dna-zurueckgeblickt-1.18660890). Es geht in der betreffenden Arbeit um die Ermittlung der Divergenzzeiten der Tierstämme, die im Kambrium fossil plötzlich in Erscheinung treten. Diese (hypothetischen) Zeiten werden durch Anwendung der sogenannten Molekularen Uhr ermittelt. Diese wiederum beruht auf einem Vergleich von DNA-Sequenzen und einer Kalibrierung mit Hilfe geeigneter Fossilien. Unter evolutionstheoretischen Voraussetzungen – also nicht alleine anhand der Sequenzdaten und Fossilfunde – kann auf eine Ganggeschwindigkeit des evolutiven Wandels geschlossen werden, und damit wiederum können Aufspaltungszeitpunkte verschiedener Linien von Organismengruppen bestimmt werden. In der Vergangenheit hatten verschiedene Studien sehr unterschiedliche Zeiten z. B. für die Existenz des letzten gemeinsamen Vorfahren aller Bilaterier (Zweiseitentiere) ergeben, wobei sich ein Trend abzeichnete, dass dieser hypothetische gemeinsame Vorfahr mindestens 100 Millionen radiometrische Jahre vor der kambrischen Explosion existierte. Die neue Studie, auf die sich die NZZ bezieht, bringt diesbezüglich nichts grundsätzlich Neues; sie ist jedoch sehr viel detaillierter und differenzierter als bisherige Arbeiten (Reis et al. 2015). Ein Ergebnis dieser Arbeit ist, dass – Evolution vorausgesetzt – die kambrische Explosion ein Erhaltungsartefakt sein müsste – sprich: Die kambrischen Tierstämme sollten bereits vor 833-650 Millionen radiometrischen Jahren entstanden sein (eine genauere Bestimmung geben die Daten trotz aller Fülle nicht her); entsprechende Fossilien werden aber viel später gefunden. Folgt man dieser Deutung der molekularen Daten, ergibt sich das Problem, warum die Fossilisierung so stark verspätet und eben damit doch plötzlich eintritt. So oder so: Der Fossilbericht bezeugt ein abruptes Erscheinen vielgestaltiger Organismengruppen und voll funktionsfähiger Organismen (die „Explosion“); daran ändern die neuen Daten nichts. Erschwerend kommt hinzu, dass die neuen Daten kaum auf evolutionäre Aufzweigungsabfolgen schließen lassen, so dass die Autoren es für verfrüht ansehen, evolutionäre Abfolgen der kambrischen Tierstämme auf der Basis der molekularen Uhr zu rekonstruieren. Nebenbei: Wenn die kambrischen Stämme wirklich vor mindestens 650 Millionen radiometrischen Jahren entstanden wären, wären alle Überlegungen zu Sauerstoffgehalten im Ediacarium und Kambrium bedeutungslos.

Literatur

Erwin DH & Valentine JW (2013) The Cambrian explosion. Austin: Roberts & Company Publishers.

Fox D (2016) What sparked the Cambrian explosion? Nature 530, 528-530.

Reis DM, Thawornwattana Y, Angelis K, Telford MJ, Donoghue PC & Yang Z (2015) Uncertainty in the timing of origin of animals and the limits of precision in molecular timescales. Curr Biol. 2015 Oct 20. pii: S0960-9822(15)01177-X. doi: 10.1016/j.cub.2015.09.066.

Sperling EA, Wolock CJ et al. (2015) Statistical analysis of iron geochemical data suggests limited late Proterozoic oxygenation. Nature 523, 451-454.


Autor dieser News: Reinhard Junker, 02.03.16

 
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