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19.05.15  Buntes Merkmalsmosaik: Ein „Schnabeltier“ unter den Raubdinosauriern

Als „Schnabeltier der Dinosaurier“ wird eine neu beschriebene Theropoden-Gattung aus Chile beschrieben. Denn wie das Schnabeltier mit Haaren, Milchdrüsen, Eierlegen und einem Hornschnabel eine ungewöhnliche Merkmalskombination aufweist, so vereinigt auch Chilesaurus eine „bizarre“ Mischung von Merkmalen. Einmal mehr entspricht dies nicht evolutionstheoretischen Erwartungen und wirft die Frage auf, inwiefern Merkmale des Körperbaus verlässliche Indizien für Verwandtschaftsverhältnisse sein können, aber auch, wie ein solcher Merkmalsmix auf evolutionärem Wege entstehen kann.

Die „eierlegende Wollmilchsau“ gibt es zwar nur sprichwörtlich, aber manche Geschöpfe verbinden durchaus recht unterschiedliche Merkmale zu einem kuriosen Mix. Relativ bekannt ist das heute lebende Schnabeltier, ein Säugetier mit Haarkleid und Milchdrüsen, aber auch mit einer eierlegenden Fortpflanzungsweise, einem eigenartigen Hornschnabel, einem Ruderschwanz und mit Giftspornen an den Hinterbeinen; Merkmale, die sonst verschiedenen Tiergruppen zugeordnet werden.

Kürzlich ist nun bekannt geworden, dass auch die Dinosaurier eine Art „Schnabeltier“ in ihren Reihen haben: ein pflanzenfressender Theropode – eigentlich ein Widerspruch in sich, da es bislang zum Kennzeichen dieser zweibeinigen Dinosaurier gehört, räuberisch zu leben. Populär wurden die Theropoden nicht zuletzt durch den Science-Fiction-Film Jurassic Park, vor allem aber auch, weil aus ihren Reihen eine evolutionäre Linie zu den Vögeln führen soll.

Die Art, um die es geht, wurde schon vor einigen Jahren von einem Jungen namens Diego Suarez in Chile in Schichten des oberen Jura entdeckt. Neuerdings wurde sie anhand weiterer, gut erhaltener Funde genauer untersucht und zu Ehren des Finders Chilesaurus diegosuarezi genannt (Novak et al. 2015; Rekonstruktion hier: http://tinyurl.com/nzypu94). Die Fundschicht entspricht altersmäßig etwa den Solnhofener Plattenkalken, in denen der „Urvogel“ Archaeopteryx gefunden wurde.

Wie bei allen Theropoden handelt es sich bei Chilesaurus um einen Zweibeiner; er lief aufrecht auf kräftigen Hinterbeinen. Ungewöhnlich ist zunächst sein Pflanzenfressergebiss; die Zähne waren klein und spatelförmig; aber Chilesaurus hatte noch weitere Überraschungen parat. Eine phylogenetische Analyse (basierend auf Merkmalsvergleichen) ergab einerseits, dass Chilesaurus an die Basis der Gruppe der Tetanurae1 zu stellen ist, andererseits erscheinen die einzelnen Merkmale gleichsam aus ganz verschiedenen Gruppen zusammengesetzt. Novas et al. (2015) verglichen einzelne Körperregionen von Chilesaurus gesondert mit den entsprechenden Ausprägungen verschiedener Dinosauriergruppen. Dabei stellte sich heraus: Die kräftigen Beine samt Fuß und Fußgelenk waren wie bei Sauropoden ausgebildet (Sauropoden sind große vierbeinige Dinosaurier mit langem Hals und langem Schwanz, z. B. Brontosaurus), dazu passt auch der relativ kleine Kopf. Das Achsenskelett gleicht dem von Ceratosauriern (zweibeinig laufende Fleischfresser, die häufig Kopfornamente besaßen); die Vorderbeine, der Schultergürtel und Hinterbeine passen zu den Tetanuren; das Becken wiederum ist typisch für Coelurosaurier2; der Bau der Wirbel ist theropodenartig. Die Vorderextremitäten wurden als Arme benutzt; allerdings hatte Chilesaurus statt der für Theropoden üblichen Klauen nur zwei stumpfe Finger.

Angesichts dieser völlig unerwarteten Merkmalskombination wundert es nicht, dass die Bearbeiter (Novas et al. 2015) Chilesaurus als „bizarr“ bezeichnen; er repräsentiere einen extremen Fall einer „Mosaik-Evolution“ unter den Dinosauriern. Koautor Martin Ezcurra von der Universität Birmingham hält ihn für einen „der interessantesten Fälle von konvergenter Evolution in der gesamten Geschichte des Lebens“.3 Und ein weiterer Mitautor, Alexander Vargas, lässt verlauten: „Ich denke, er hat es verdient, als das Schnabeltier der Dinosaurier bezeichnet zu werden.4

Kommentar

Der bunte Merkmalsmix von Chilesaurus erfordert im Rahmen des Evolutionsmodells die Annahme mehrerer Konvergenzen oder Rückentwicklungen (Letzteres im Bereich des Fußes [Novas et al. 2015, 4]). Das heißt: Eine Reihe von Merkmalen müsste sich unabhängig in verschiedenen Linien evolutionär herausgebildet haben, z. B. die pflanzenfressende Ernährungsweise. Auf wissenschaft.de3 wird Martin Ezcurra mit dem Satz zitiert, Chilesaurus liefere ein gutes Beispiel dafür, wie Evolution funktioniert. Das ist eigentlich ein überraschendes Statement. Denn ein solcher Merkmalsmix war nicht erwartet worden, und zwar gerade deshalb, weil man von einer Evolution der Lebewesen ausgeht. Die Tatsache, dass man Arten und größere Gruppen problemlos in ein hierarchisches, eingeschachteltes System einordnen kann, ist (oder war nur noch?) eines der klassischen Argumente für Evolution. Das scheint, je mehr man über die Lebewesen weiß, desto weniger möglich zu sein, was folglich das Argument für Evolution schwächt. Chilesaurus ist diesbezüglich ein besonders eindrucksvolles Beispiel. Dass Evolution so funktionieren soll, dass es viele Konvergenzen gibt, stellt lang vertretene Überzeugungen auf den Kopf. Und wenn Evolution wirklich so funktionieren würde, wie könnte man dann überhaupt noch auf der Basis von Merkmalsvergleichen Abstammungsverhältnisse ermitteln? Wenn ähnliche Merkmale gleichermaßen durch Abstammung von einem gemeinsamen Vorfahren wie auf unabhängigen Wegen entstehen können (ohne Abstamungsbeziehung), wie könnten sie dann noch Marker für Abstammungsverwandtschaft sein?

Das Statement von Ezcurra ist auch aus einem zweiten Grund fragwürdig: Der unerwartete Merkmalsmix mit den anzunehmenden Konvergenzen sagt an sich gar nichts darüber aus, wie Evolution funktioniert. Auf galileo.tv heißt es dazu: „Grund für die Ausprägung so verschiedener Merkmale ist wohl konvergente Evolution.5 Das ist natürlich keine Erklärung – kein Grund –, sondern nur eine Beschreibung bzw. Benennung bzw. Zuschreibung. Wie es dazu kommen kann, dass vielfach in einer Art konvergente Merkmalsausprägungen auftreten, ist nicht Gegenstand der Arbeit von Novak et al., aber für evolutionäre Hypothesen ist das eine Herausforderung.

Das Beispiel Chilesaurus mahnt abgesehen von diesen grundsätzlichen Fragen auch zur Vorsicht bei der Deutung unvollständig erhaltener Fossilien: Die Ähnlichkeit verschiedener Arten in einem Teil des Bauplans lässt nicht sicher schließen, dass auch die restlichen Teile bauplanähnlich sind. Der gut erhaltene Chilesaurus zeigt, dass das nicht so sein muss.

Literatur

Novas FE, Salgado L, Suárez M, Agnolín FL, Ezcurra MND, Chimento NSR, de la Cruz R, Isasi MP, Vargas AO & Rubilar-Rogers D (2015) An enigmatic plant-eating theropod from the Late Jurassic period of Chile. Nature, doi: 10.1038/nature14307

Video

http://www.faz.net/aktuell/wissen/chilesaurus-diegosuarezi-t-rex-hatte-einen-vegetarischen-cousin-13565820.html

Anmerkungen

1 Ein  Taxon, das eine Reihe von Untergruppen der Theropoden umfasst; der Name bedeutet "starre Schwänze".

2 Novas wird bei nationalgeographic.com jedoch so zitiert: „Pelvic bones from the fossils, which dated to about 150 million years ago, at first appeared to be from the ornithischian group, which includes Stegosaurus and Triceratops“ (http://news.nationalgeographic.com/2015/04/150427-theropod-dinosaur-vegetarian-rex-science/).

3 http://www.wissenschaft.de/home/-/journal_content/56/12054/6454192/Skurril:-Ein-vegetarischer-Raubsaurier/

4 https://www.wired.de/collection/latest/das-schnabeltier-unter-den-dinosauriern

5 http://www.galileo.tv/science/das-schnabeltier-der-urzeit-der-kleine-bruder-von-t-rex-war-vegetarier/


Autor dieser News: Reinhard Junker, 19.05.15

 
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