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24.03.11  Millers Simulationsexperimente erneut unter der Lupe

Stanley L. Miller, Chemiker, der die berühmten Ursuppen-Experimente durchgeführt hat um zu demonstrieren, wie chemische Bestandteile von biologischen Zellen entstanden sein könnten, hat mit weiteren Simulationen experimentiert, die er sorgfältig protokolliert, aber nicht veröffentlicht hat. Nun haben Chemiker die Originalproben aus Millers Experimenten mit modernen Analysenmethoden untersucht und deren Ergebnisse veröffentlicht. Dabei werden die bekannten Ergebnisse bestätigt, aber auch die Probleme, die die synthetisierten Produktgemische für nachfolgende Peptidsynthesen hervorrufen.

Stanley S. Miller gilt als der Chemiker, der als Pionier Mitte des 20. Jahrhunderts erste experimentelle Untersuchungen zur Chemie der Lebensentstehung angestellt hat. Er veröffentlichte 1953 eine Aufsehen erregende und bis heute unverändert populäre Arbeit, in der er in eindrucksvoller Weise demonstrierte, dass man im Labor aus einem einfachen Gasgemisch Aminosäuren, die Bausteine für Proteine synthetisieren kann. Miller, der im Mai 2007 im Alter von 77 Jahren gestorben ist, hat sich lebenslang mit den Fragen des chemischen Ursprungs von Leben beschäftigt. Auch wenn er hinsichtlich einer naturwissenschaftlichen Klärung dieser Frage optimistisch war, so hat er doch gleichzeitig nüchtern und kritisch die bislang vorgeschlagenen Szenarien analysiert und kommentiert.

Jeffrey L. Bada – ehemaliger Schüler von Miller und heute Professor für Marine Chemie an der Scripps Institution of Oceanography der University of San Diego – beschäftigt sich ebenfalls mit Aminosäuren und deren Beiträgen in Modellen zur Lebensentstehung.

Nach dem Tod von Miller fanden Bada und Mitarbeiter Probengefäße aus dessen Ursuppen-Experimenten. Anhand von Millers Protokollen konnten sie die Proben entsprechenden Experimenten zuordnen und haben diese mit modernen Analysenmethoden erneut untersucht. Aus Experimenten aus den Jahren 1953-54 hatte Miller (1955) fünf Aminosäuren und verschiedene Substanzen, die er nicht identifiziert hatte (Papierchromatographie), beschrieben. 

Johnson et al. (2008) identifizierten in Proben 22 Aminosäuren (neben vielen nicht proteinogenen (=in heutigen Proteinen vorkommenden) Aminosäuren auch Glycin, Alanin, Serin, Asparaginsäure, Valin, Glutaminsäure und Phenylalanin) und fünf Aminoverbindungen. Sie zeigten damit, dass die klassischen Ursuppen-Experimente hinsichtlich der Vielfalt an gebildeten Aminosäuren ergiebiger waren, als Miller dies erkennen konnte, aber auch, dass viele Verbindungen entstehen, die hinsichtlich biologischer Funktionen keine erkennbare Bedeutung haben oder für die Bildung von Peptiden hinderlich sind.

Bada und ein Team von Mitarbeitern veröffentlichten nun erneut Analysenergebnisse von Proben aus Millers Simulationsexperimenten, die dieser 1958 durchgeführt, aber nie veröffentlicht hatte (Parker et al. 2011). Aus einem Gasgemisch bestehend aus Methan (CH4), Ammoniak (NH3), Schwefelwasserstoff (H2S) und Kohlendioxid (CO2) hatte Miller in einer modifizierten Miller-Apparatur (im Vergleich zur Originalapparatur war eine konisch zulaufende Glasspitze als Düse vor dem eigentlichen Reaktionsraum eingebaut: Glaskolben mit eingeschmolzenen Elektroden) Simulationsexperimente unter besonderer Berücksichtigung von Vulkanausbrüchen durchgeführt.

Insgesamt konnten Parker et al. 23 Aminosäuren und vier Aminoverbindungen identifizieren. Dabei enthielten 6 der Aminosäuren Schwefel (S) ebenso wie eine der Aminoverbindungen. Bei den nachgewiesenen 6 S-haltigen Aminosäuren handelt es sich nicht um solche, die am Aufbau von Proteinen beteiligt sind. Die Aminosäuren waren aus 2 bis 6 C-Atomen aufgebaut und alle, sowohl die proteinogenen als auch die anderen Aminosäuren waren racemisch, d. h., die spiegelbildlichen Isomere waren innerhalb der Messgenauigkeit im Verhältnis 1:1 vorhanden (D/L = 1 ± 10%). Diesen Befund werten die Autoren auch als Hinweis darauf, dass die Proben während der Lagerung nicht oder höchstens in Spuren verunreinigt wurden (zumindest nicht durch Verunreinigungen biologischen Ursprungs). Cystein, die einzige S-enthaltende Aminosäure, die in Proteinen vorkommt, konnte nicht nachgewiesen werden, oxidierte verwandte Verbindungen dagegen sehr wohl. Die Autoren spekulieren deshalb darüber, dass Cystein möglicherweise ursprünglich bei diesen Experimenten produziert worden war, aber während der Lagerung (ohne Schutz vor Oxidation) chemisch verändert worden ist.   

Die Autoren diskutieren die mögliche Bedeutung von Vulkanen, die in der Erdgeschichte zumindest lokal und für gewisse Zeit reduzierende Gasmischungen einschließlich Schwefelwasserstoff produziert haben könnten.

Im Vergleich zu den anderen klassischen Simulationsexperimenten von Miller ist die Vielfalt an Aminosäuren größer (die proteinogenen Aminosäuren Threonin, Leucin und Isoleucin werden dort nicht beschrieben). Die Ausbeute an Aminosäuren ist in dem Experiment mit Schwefelwasserstoff (H2S) – vor allem bei den nicht proteinogenen Aminosäuren – im Vergleich zu den anderen Experimenten größer.

Parker et al. (2011) vergleichen die Verteilung der Aminosäuren und deren relative Häufigkeit in den von ihnen untersuchten Proben mit Analysendaten von kohligen Chondriten, der häufigsten Klasse von Meteoriten, die – wie die Bezeichnung andeutet – C-haltige Verbindungen aufweisen.

Solche Vergleiche hatte bereits Miller (Wolman et al. 1972) angestellt. Die zumindest teilweise vorhandene Ähnlichkeit nehmen die Autoren zu Anlass über vergleichbare Synthesebedingungen im interstellaren Raum bzw. an den Herkunftsorten der Meteoriten und  in den Simulationsexperimenten, sowie über die Bedeutung der Gegenwart von H2S bei der Synthese von Aminosäuren zu spekulieren.

Mit dieser späten Analyse, Auswertung und Publikation von Millers Simulationsexperimenten ist dokumentiert, dass Stanley Miller dabei erstmals die Synthese von S-haltigen Aminosäuren gelungen ist.

Damit ist die Vielfalt an Aminosäuren, die in Simulationsexperimenten zur präbiotischen Chemie größer als bisher bekannt. Sie weicht aber auch deutlicher vom Spektrum der proteinogenen Aminosäuren ab. Die Untersuchungen bestätigen gleichzeitig die Probleme auf dem Weg zu biologisch aktiven Peptiden und Proteinen (Junker & Scherer 2006, Kapitel IV.7; Binder 2003). Im Blick auf deren Synthese stellen die bisher bekannten Resultate der Simulationsexperimente nach wie vor eine Sackgasse dar. Mit anderen Worten, die Herkunft biologisch aktiver Peptide für erste biologische Systeme (Zellen) ist bisher unbekannt.

Literatur

Binder H (2003) Miller-Experimente zur Chemie der Lebensentstehung - 50 Jahre danach. Stud. Int. J. 10, 65-73.

Johnson AP, Cleaves HJ, Dworkin JP, Glavin DP, Lazcano A & Bada JL (2008) The Miller vulcanic spark discharge experiment. Science 322, 404.

Junker R & Scherer S (2006) Evolution ein kritisches Lehrbuch. Gießen.

Miller SL (1955) Production of some organic compounds under possible primitive earth conditions. J. Am. Chem. Soc. 77, 2351-2361.

Parker ET, Cleaves HJ, Dworkin JP, Glavin DP, Callahan M, Aubrey A, Lazcano A & Bada JL (2011) Primordial synthesis of amines and amino acids in a 1958 Miller H2S-rich spark discharge experiment. Proc. Nat. Acad. Sci. USA; doi/10.1073/pnas.1019191108

Wolman Y, Haverland WJ, Miller SL (1972) Nonprotein amino acids from spark discharges and their comparison with the Murchison meteorite amino acids. Proc. Natl. Acad. Sci. USA 69, 809-811.


Autor dieser News: Harald Binder, 24.03.11

 
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