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22.04.10  Wie ähnlich sind Mensch und Schimpanse?

Neue Daten zum Y-Chromosom des Schimpansen

Molekularbiologische Forschung produziert mit einer ungeheuren und sich steigernden Geschwindigkeit neue Daten. Diese beeinflussen und prägen unser naturwissenschaftliches Verständnis und Bild vom Menschen. In der öffentlichen Wahrnehmung hat die Ähnlichkeit des Genoms zwischen Mensch und Schimpansen (ca. 98 %) etablierte Vorstellungen von deren Abstammungsverhältnissen weitgehend bestätigt. Jüngste Daten zeigen allerdings ein Bild, das eine differenzierte Betrachtung und Interpretation bedarf. Die Genomanalysen hatten zunächst  vergleichsweise grobe und lückenhafte Datensätze geliefert.

Inzwischen wurden das Chromosom 21 und das Y-Chromosom des Menschen sehr viel sorgfältiger untersucht und ein Team unter der Leitung von David Page legte kürzlich eine sehr genaue Analyse des Y-Chromosoms von Schimpansen vor (Hughes et al. 2010). Dieses Geschlechtschromosom enthält u. a. Gene, die für die Entwicklung von Spermien von Bedeutung sind. Der Aufbau dieses Chromosoms weist Besonderheiten (z. B. gespiegelte Bereiche, inkl. Palindrome) auf, die eine DNA-Sequenzierung deutlich erschweren.

Zur evolutionären Geschichte des Y-Chromosoms wird üblicherweise davon ausgegangen, dass es seinen Ursprung in Autosomen (paarweise auftretenden Chromosomen) hat. Hauptsächlich durch Genverlust soll aus einem ursprünglichen Chromosomenpaar (mit Ähnlichkeiten zum X-Chromosom) das Y-Chromosom entstanden sein. Dabei gehen  Theorien vom abklingenden Gen-Zerfall davon aus, dass mit zunehmender Zeitdauer die Geschwindigkeit des Genverlusts immer langsamer wurde.

Page und seine Mitarbeiter haben die DNA des Geschlechtschromosoms mit einer Genauigkeit von einem Nukleotid pro einer Million Basenpaare analysiert. Beim Genvergleich auf der Basis der aktuellsten bekannten Sequenzdaten des Y-Chromosoms von Mensch und Schimpanse können nach Aussagen der Autoren ca. 30 % der DNA-Sequenzen überhaupt nicht direkt  miteinander verglichen werden, d. h. manche Abschnitte fehlen beim Schimpansen oder sind durch andere ersetzt, sodass kein Alignment möglich ist.

Das Y-Chromosom des Schimpansen weist eine komplexere Struktur auf (z. B. mehr Palindrome) und enthält dabei weniger funktionsfähige Gene (diese sind durch Mutation inaktiviert).

Nach gängigen Vorstellungen haben sich die Entwicklungslinien von Mensch und Schimpansen von einem hypothetischen gemeinsamen Vorfahren vor ca. 6 Millionen Jahren getrennt. Bisherige Genomvergleiche mit geringen Unterschieden (ca. 2 %) scheinen dies zu bestätigen. Die jetzt bei Y-Chromosomen dokumentierten Unterschiede entsprechen dagegen einer unabhängigen Entwicklung seit ca. 310 Millionen Jahren.

In einem Gespräch benutzt Page einen bildhaften Vergleich: wenn man das Chromosom 21 vom Menschen mit dem des Schimpansen vergleicht, dann erscheint das wie wenn man ein Spiegelbild vor sich hätte. Beim Vergleich der Y-Chromosomen dagegen sei der Spiegel zersplittert.

Die heute bekannten DNA-Sequenzen von Mensch und Schimpansen verlangen eine sehr differenzierte Erklärung und unterstützen nicht einfach ein etabliertes Bild von der gemeinsamen Abstammung von einem gemeinsamen Vorfahren. Die Datenlage ist komplexer geworden und es ist interessant, dass das Genom gerade dort, wo die Fortpflanzung betroffen ist, eine auffällige Spezifität aufweist. Die mittlerweile ermittelten Daten von Y-Chromosomen sperren sich somit gegen eine Vereinnahmung für eine klassische Vorstellung der Abstammung von Mensch und Schimpanse von einem hypothetischen gemeinsamen Vorfahren. Die gravierenden Unterschiede in der Struktur des Y-Chromosoms werfen neue Fragen nach deren Ursprung auf; die bekannten und üblicherweise angenommenen Mechanismen würden eine deutlichere Ähnlichkeit erwarten lassen.

Man kann darauf gespannt sein, was zukünftige Untersuchungen zum komplexer werdenden Bild der Ähnlichkeit des Menschen mit anderen Lebewesen beitragen werden.

Literatur

Hughes JF, Skaletsky H, Pyntikova T, Graves TA, van Daalen SKM, Minix PJ, Fulton RS, McGrath SD, Locke DP, Friedman C, Trask BJ, Mardis ER, Warren WC, Repping S, Rozen S, Wilson RK & Page DC (2010) Chimpanzee and human Y chromosomes are remarkably divergent in structure and gene content. Nature doi:10.1038/nature08700

Hinweis: Ein ausführlicherer Artikel zu diesen Befunden wird in der kommenden Ausgabe von „Studium Integrale Journal“ erscheinen. (Zum Journal siehe: http://www.wort-und-wissen.de/sij)

 


Autor dieser News: Harald Binder, 22.04.10

 
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