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30.10.25 Alte fossile Echse entspricht nicht den ErwartungenEin bereits im Jahr 2015 entdecktes und kürzlich neu untersuchtes Echsen-Fossil aus der Gruppe der Rhynchocephalier (Verwandte der Brückenechsen) wird an die Basis der Schuppenechsen (Lepidosauria) gestellt. Die Beschreiber stellen fest, dass ein großer Teil der Merkmale der neuen Art Agriodontosaurus helsbypetrae nicht den Vorhersagen und Erwartungen entspricht. Einmal mehr weist somit ein Fossil ein Merkmalsmosaik auf, das evolutionären Hypothesen nicht entspricht. Echsen (Lacertilia) und Schlangen (Serpentes) kennt jedes Kind. Sie gehören zur Ordnung der Schuppenkriechtiere (Squamata); in neuer Zeit werden die Doppelschleichen (Amphisbaenia) als eigene Unterordnung ausgegliedert. Die Schuppenkriechtiere bilden mit ca. 11.000–12.000 Arten neben den Vögeln die artenreichste Gruppe der Landwirbeltiere (Simões et al. 2018). Zusammen mit den fast vollständig ausgestorbenen Rhynchocephalia („Schnabelköpfe“) bilden sie die Überordnung der Schuppenechsen (Lepidosauria) (zur Systematik vgl. Schuppenkriechtiere und Rhynchocephalia unterscheiden sich in einigen Merkmalen deutlich; vor allem haben die ersteren einen viel beweglicheren Schädel als die letzteren. Die Brückenechse und ihre ausgestorbenen Verwandten besitzen einen unteren Schläfenbalken, den die Schuppenkriechtiere nicht besitzen ( Vor kurzem wurde über den Fossilfund des bislang ältesten bekannten vermeintlichen Vorfahren der Schuppenechsen berichtet, der aus der Gruppe der Rhynchocephalier stammen soll. Das im Südwesten Englands gefundene Reptilienfossil wurde auf ca. 242 Millionen radiometrische Jahre (MrJ) datiert (mittlere Trias) und ist damit etwa 3–7 MrJ älter als das bisher älteste Fossil dieser Gruppe (Marke et al. 2025). Der fast komplette Schädel, große Teile der Wirbelsäule, Brust- und Beckengürtel und einige Knochen der hinteren Gliedmaßen sind erhalten und erlauben die Rekonstruktion eines kleinen Tieres, das ohne Weiteres in eine Handfläche passt. Das Fossil ist bereits vor zehn Jahren gefunden worden. Es war im Gestein verbacken und wurde erst jetzt röntgenanalytisch untersucht, sodass die Details des Körperbaus erkennbar wurden. Es erhielt den Namen Agriodontosaurus helsbypetrae, nach der Helsby-Sandsteinformation, in der es entdeckt wurde, und wird zu den Rhynchocephaliern gestellt ( Die fossilen Zeugnisse der frühen Phase der angenommenen Evolution der Schuppenechsen sind spärlich, aber es wurden aufgrund von vergleichenden Studien heutiger Arten und von einigen Fossilien Vorhersagen formuliert, wie ein Vorfahre der Schuppenkriechtiere aussehen sollte. Der Schädel sollte wenig beweglich sein und einen offenen unteren Schläfenbalken sowie viele Gaumenzähne besitzen (Marke et al. 2025).[2] Daher war es spannend zu prüfen, ob das neu beschriebene Fossil den Erwartungen entspricht. Das ist in einem nennenswerten Ausmaß jedoch nicht der Fall. Während der Schädel wie erwartet wenig Beweglichkeit zeigt, fehlen überraschenderweise die Gaumenzähne. Unerwartet sind auch die ungewöhnlich großen Zähne an Ober- und Unterkiefer. Nicht umsonst erhielt Agriodontosaurus seinen Namen, der „gefürchtete Zahn-Echse“ bedeutet. Ein unvollständiger unterer Schläfenbalken entspricht den Vorhersagen, jedoch sind speziell geformte Randzähne bei Agriodontosaurus eher im vorderen Bereich als im hinteren Bereich zu finden – wie auch bei anderen basalen fossilen Rhynchocephaliern (Marke et al. 2025, 8).[3] Die Autoren bezeichnen das Gebiss als „einzigartig“ („unique“); es lasse darauf schließen, „dass es sich um ein aktives Raubtier handelte, das große Insekten jagte – eine Strategie zum Beutefang, die bei anderen Lepidosauriern aus der Trias weder bei den Stamm- noch bei den Kronenarten zu beobachten ist“ (Marke et al. 2025, 8). Kommentar Die Merkmalskonstellation von Agriodontosaurus reiht sich in die lange Liste unerwarteter mosaikartiger Merkmalsverteilungen ein, die im Rahmen evolutionärer Modellierungen neue Hypothesen erzwingen. Dan Marke, der die Forschung zu diesem Reptil im Rahmen seines Masterstudiums an der Universität Bristol leitete, meinte, dass Agriodontosaurus „mit nichts bisher Entdecktem vergleichbar“ sei und dazu nötige, die Evolution von Eidechsen, Schlangen und Brückenechsen neu zu überdenken.[4] Auf sci.news wird Dan Marke gar mit dem Satz zitiert: „Das neue Fossil zeigt fast nichts von dem, was wir erwartet haben“[5], was im Originalartikel aber so deutlich nicht gesagt wird. Evolutionäre Hypothesen über Abstammungszusammenhänge kann man immer anpassen, aber diese Anpassung wird damit erkauft, dass weitere Konvergenzen postuliert werden müssen, d. h. das unabhängige, nicht abstammungsbedingte Auftreten baulich gleicher oder ähnlicher Merkmale. So muss aufgrund des Fehlens von Gaumenzähnen bei Agriodontosaurus angenommen werden, dass diese sowohl bei den Squamaten als auch bei den Rhynchocephaliern erneut evolvierten. Außerdem zwingt das Fehlen des unteren Schläfenbalkens bei frühen Lepidosauriern und Squamaten ein erneutes Auftreten („re-evolve“) bei den Gattungen der Rhynchocephaliern wie Priosphenodon and Sphenodon (Marke et al. 2025, 8). Schließlich passt auch die insektenfressende Lebensweise nicht ins bisherige evolutionäre Bild. Alles in Allem spricht damit vieles gegen eine Interpretation auch dieses neuen Fundes als evolutive Übergangsform. Literatur Marke D, Whiteside DI et al. (2025) The oldest known lepidosaur and origins of lepidosaur feeding adaptations. Nature, doi:10.1038/s41586-025-09496-9. Simões TR, Caldwell MW et al. (2018) The origin of squamates revealed by a Middle Triassic lizard from the Italian Alps. Nature 557, 706–709. Villa A et al. (2021) Sphenofontis velserae gen. et sp. nov., a new rhynchocephalian from the Late Jurassic of Brunn (Solnhofen Archipelago, southern Germany). PeerJ 9, e11363, https://doi.org/10.7717/peerj.11363. Anmerkungen [1] „is a gap between the jugal and the quadrate bones of the skull that is essential for cranial kinesis“ (Marke et al. 2025, 1). [2] „It was suggested that the skull would have shown some metakinesis but was otherwise akinetic, and probably had an open lower temporal bar and abundant palatal teeth. In this case, rhynchocephalians retained akinesis and closed the lower temporal bar by extending and suturing the posterior process of the jugal to the quadratojugal and squamosal, as seen in modern Sphenodon. By contrast, squamates retained the open lower temporal bar and evolved varying degrees of cranial kinesis through bone loss, bone fusion and the formation of new joints. Fossil squamates then might show varying steps along the way to full kinesis, as in many modern lizards and in snakes. All the early forms should show palatal teeth, an inheritance from earlier reptiles” (Marke et al. 2025, 1). [3] Weitere Details: „Agriodontosaurus differs from the previous predictions in the following ways: lack of contact between jugal and squamosal (but similar to Paliguana); a robust, not long and thin, dentary; and the squamosal, although quadriradiate, is more gracile than predicted. Moreover, although the maxilla contacts the orbital margin, it is less extensive than envisaged, with the jugal positioned well above the maxilla and extending a long way anteriorly (more akin to the squamate condition). Furthermore, there is no evidence of a supratemporal, the pterygoids probably did not contact the vomers (we considered that the palatines contacted in the midline) and, most notably, there is little evidence of a palatal dentition“ (Marke et al. 2025, 8). [4] https://www.nhm.ac.uk/discover/news/2025/september/newly-found-fossils-lizard-like-animal-oldest-ever-discovered.html [5] „The new fossil shows almost none of what we expected.”
Diese News kann man auch auf der neuen Website Genesis-net.de lesen: https://genesis-net.de/n/366-0/ Autor dieser News: Reinhard Junker
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