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16.03.21  Lungenfische – Genome und ihre Interpretation

Lungenfische sind – darauf weist bereits ihr Name hin – Fische mit ungewöhnlichen Eigenschaften, z. B. der Fähigkeit, mit lungenähnlichen Organen Luft zu atmen. Ihr bisher unzugängliches Erbgut wurde jetzt von zwei verschiedenen Arbeitsgruppen an zwei verschiedenen Arten mit Hilfe modernster Sequenzierungsmethoden analysiert. Die Autoren interpretieren ihre Resultate in auffälliger Weise als Bestätigung etablierter Evolutionsvorstellungen für den Übergang vom Leben im Wasser zum Festland. Hier werden die Ergebnisse vorgestellt und ihre Interpretationen kritisch gewürdigt.

Lungenfische und ihre vermutete Bedeutung in der Stammesgeschichte (Phylogenese)

Die Lungenfische (Dipnoi)1 weisen neben den für Fische typischen Kiemen, die ihnen die Sauerstoffaufnahme aus dem Wasser ermöglichen, vergleichsweise einfach gebaute Lungen auf. Diese erlauben ihnen z.B. bei extremer Sauerstoffarmut im Wasser, auch an der Wasseroberfläche zu atmen. Fossil sind Lungenfische in erstaunlicher Vielfalt aus Süß- und Meerwasser seit dem Devon (Paläozoikum) überliefert. Derzeit sind verschiedene heute lebende Lungenfischarten aus Südamerika (Lepidosiren paradoxa), Afrika (Protopterus aethiopicus, P. amphibius, P. annectens und P. dolloi) und Australien (Neoceratodus forsteri) bekannt. Sie werden als träge Tiere beschrieben, die in stehenden oder langsam fließenden Gewässern andere Wasserlebewesen erbeuten und als Nahrung nutzen. Der Südamerikanische und die Afrikanischen Lungenfische können in Trockenzeiten, wenn der Wasserspiegel ihrer Gewässer sinkt und diese evtl. sogar ganz austrocknen, röhrenförmige Löcher in den Untergrund graben. Mit dem Kopf zur Öffnung begeben sie sich dort hinein, und wenn der Wasserspiegel weiter sinkt, scheiden sie große Mengen an Schleim aus, der fest wird und sie wie ein Kokon in der Röhre umgibt; so können sie sich vor dem kompletten Austrocknen schützen. Diese Lungenfische können durch kleine Öffnungen in ihrem Schleimkokon Luft atmen und so Wochen und Monate, ja sogar bis zu einigen Jahren überleben.

Lungenfische werden taxonomisch der Klasse der Fleischflosser (Sarcopterygii) zugeordnet (wie auch die Quastenflosser, Coelacanthiformes). Das für diese Zuordnung maßgebliche Merkmal sind die fleischigen Flossen, die an den paarigen Flossen (bei den Quastenflossern auch bei der 2.  Rücken- und Afterflosse) Skelettstrukturen aufweisen, die bei Landwirbeltieren dem Oberarm- (Humerus) bzw. dem Oberschenkelknochen (Femur) entsprechen und durch diese Beziehung als homolog bezeichnet werden. In der Systematik und vergleichenden Anatomie wird Homologie bereits mit evolutionären Vorstellungen verknüpft. Das heißt: Die Homologie ähnlicher Strukturen wird auf vermutete evolutionäre Zusammenhänge zurückgeführt. So wird die mutmaßliche Homologie der Skelettstrukturen in den Flossen der Lungenfische mit derjenigen der Extremitäten von Tetrapoden (=Vierbeiner) in evolutionären Betrachtungsweisen als bedeutungsvoller Hinweis für einen Übergang vom Wasserlebewesen zur vierbeinigen Fortbewegung an Land bewertet. Da nun Lungenfische darüber hinaus auch noch einfach gebaute Lungen besitzen, ist leicht nachzuvollziehen, dass diesen Organismen in evolutionärer Perspektive eine bedeutende Schlüsselstellung bei der Eroberung des Festlandes zugesprochen wird.

Das Erbgut der Lungenfische

Der molekularbiologischen Erforschung dieses evolutionären Übergangs stand bisher die schiere Größe des Genoms (=gesamtes Erbgut) der Lungenfische entgegen. In bisherigen Untersuchungen war gezeigt worden, dass das Erbgut der Lungenfische einen riesigen Umfang hat und mehrfach so groß ist wie das Humangenom. Mit bisherig verfügbaren Methoden war es deshalb nicht analysierbar. Jetzt haben ein internationales und ein chinesisches Forscherteam das Genom des Australischen Lungenfisches (Neoceratodus forsteri) bzw. das eines afrikanischen Lungenfisches (Protopterus annectens) veröffentlicht. Sowohl Meyer et al. (2021) als auch Wang et al. (2021) heben bereits in den Titelformulierungen ihrer Veröffentlichung die Bedeutung des von ihnen ermittelten Genoms für den Übergang der Wirbeltiere vom Wasser ans Land hervor. In beiden Projekten wurde zur Analyse des Erbguts von Lungenfischen modernste Sequenzierungstechnologie eingesetzt wie z. B. die Nanopore-Sequenzierung. Dabei wird an einer technischen Membran mit einer minimalen Öffnung (Nanopore) ein Potenzial angelegt, das einen konstanten Ionenstrom durch die Membran bewirkt. Vor der Pore wird der zu analysierende DNA-Doppelstrang durch eine dort fixierte Helicase aufgetrennt und ein Einzelstrang in die Pore eingeführt. Jede der vier DNA-Basen verändert den Ionenstrom spezifisch und so kann mit dieser Technologie während der DNA-Strang durch die Pore gefädelt wird, dessen Sequenz aufgrund der sich ändernden Stromsignale bestimmt werden. Mit dieser Technik können sehr lange DNA-Stränge sequenziert werden. Beide Autorenteams präsentieren ein Genom der Lungenfische von bisher nicht sequenziertem Umfang von 43 Gb (Gigabasen) (Meyer et al.) und 40 Gb (Wang et al.), was etwa dem 13-Fachen der Menge an Basen im Humangenom (ca. 3,2 x 109) entspricht. Das größte bisher sequenzierte Genom war das des Axolotls (Ambystoma mexicanum) mit 32 Gb.

Das Genom von Neoceratodus forsteri

In der Arbeit über das Genom des Australischen Lungenfischs (N. forsteri) beschreiben Meyer et al. zunächst die Sequenzierungsarbeit und die Zusammenstellung (assembly) des Genoms. Mit den Sequenzbereichen, die 30 x gelesen worden waren (30 x coverage), konnten sie 37 Gb und damit 88,2 % des Genoms aufklären. Der Verteilung des Genoms auf die 17 Makro- und 10 Mikrochromosomen widmeten Meyer et al. viel Aufmerksamkeit und verglichen die Resultate mit denjenigen von Knochenhecht (Lepisosteus oculatus), Küken (Gallus gallus) und einer Eidechse (Rotkehlanolis, Anolis carolinensis). Die Resultate werden dahingehend interpretiert, dass die Mikrochromosomen bereits auf die ersten Wirbeltiere zurückgehen, wohingegen die Makrochromosomen sich im Verlauf des unterstellten Evolutionsgeschehens stark vergrößert haben. Im Genom finden sich Hinweise darauf, dass dieser Größenzuwachs vor allem auf dem Einbau von großen DNA-Abschnitten basiert, sogenannten LINEs (Long Interspersed Nuclear Elements) zurückgeht. Diese enthalten Gene, die es den Abschnitten erlauben, sich im Genom selbstständig an verschiedenen Stellen einzubauen (Transposons). Die Autoren vermuten eine ausgedehnte Wirksamkeit eines Kopier- und Einfüge- (copy-and-paste) Mechanismus im Verlauf der Stammesgeschichte.

Nach diesen eher allgemeinen und grundsätzlichen Untersuchungen widmen sich Meyer et al. in ihrer Studie intensiv speziellen Aspekten der mutmaßlichen Evolutionsverlaufs, nämlich der Lungenatmung, dem Geruchssinn und der Entwicklung von Gliedmaßen. Aus den Daten geht hervor, dass die Zahl der Gene, die für lungenspezifische Oberflächenproteine kodieren, in der typischen Größenordnung für Tetrapoden (vierbeinige Landwirbeltiere) und im Vergleich zu Knorpel- und Knochenfischen zwei- bis dreimal höher sind. Ein Gen zur Steuerung der Lungenentwicklung (shh) wird während der Embryonalentwicklung von N. forsteri im Gewebe der sich entwickelnden, einflügeligen Lunge sehr stark ausgeprägt. Die Autoren bewerten dies als notwendige Entwicklung zur Eroberung des Festlandes. Gene für Rezeptoren von in der Luft enthaltenen Geruchsstoffen gibt es in Fischen nur wenige, in Tetrapoden dagegen sind sie vielfältig. Auch die Anzahl dieser Genklasse ist im Vergleich zu anderen Fischen beträchtlich erhöht, was aus Sicht der Autoren wieder den Übergang vom Wasser ans Land anbahnt und begünstigt.

Hinsichtlich der für Tetrapoden typischen Gliedmaßen weisen Meyer et al. auf das erstmalige Auftreten von 31 dafür typischen Verstärker-Genen (Enhancer) in Fleischflossern hin. Einige davon werden in Embryonen von Lungenfisch in einem Muster ausgeprägt, das mit dem in Tetrapoden vergleichbar ist. Auch von den vier in N. forsteri vorkommenden Hox-Gencluster (Steuer- und Regulationsgene) werden einzelne (z.B. hoxc13) in auffälliger Weise am äußeren Ende der paarigen Flossen ausgeprägt, was dann in den Worten von Meyer et al. von den Tetrapoden für die Ausbildung von Nägeln, Hufen und Klauen übernommen wurde (man spricht in solchen Fällen von Kooption). Die Autoren verwenden interessanterweise bei der Interpretation ihrer Resultate die Formulierung, dass es sich bei den jeweils genannten genetischen Besonderheiten um „genomische Vor-Anpassungen im Lungenfisch für den Übergang der Wirbeltiere vom Wasser ans Land“2 handle. Die Autoren bemerken abschließend, dass diese Neuheiten die Fleischflosser auf die Eroberung des Festlandes vorbereitet hätten. Dies zeige, wie die Kenntnis des Genoms des Lungenfischs dazu beitragen kann, diesen Hauptübergang in der Evolution der Wirbeltiere besser zu verstehen.

Das Genom von Protopterus annectens

Wang et al. haben das Erbgut eines der Afrikanischen Lungenfischen (Protopterus annectens) sequenziert und auf chromosomaler Ebene ein Genom mit ca. 40 Gb in hoher Qualität (50 x coverage) und mit nur wenigen Lücken veröffentlicht (Wang et al. 2021). Sie konnten DNA-Stränge von 862 Megabasen (Mb) bis 5,28 Gb auf 17 Chromosomen bestimmen und 12 640 Fragmente, die nicht lokalisiert werden konnten, mit 126 Mb. Auch die Studie an diesem Lungenfischgenom ergab, dass die enorme Größe des Genoms wohl vor allem auf Transposons zurückzuführen ist. Die Autoren bezeichnen 15 Gb des Genoms als funktionslos (aufgrund von mutmaßlichen Degenerationsphasen in der Evolution; Wang et al. zitieren hier eine andere Arbeit, in der diese Befunde als „Friedhof der transponierbaren Elemente“3 bezeichnet worden war). Als auffällig wird in der Veröffentlichung auch vermerkt, dass das Erbgut des Lungenfischs sehr lange Gene (18 Mb) einhält. Während das Erbgut des Menschen nur 91 Gene enthält, die umfangreicher als 1 Mb sind enthält das Erbgut des Lungenfisches davon mehr als 5 000. Da auch die langen Gene mit vergleichbarer Effektivität wie die kleinen Gene ausgeprägt werden, muss dieser Prozess im Lungenfisch sehr fein austariert sein; da der Aufwand, umfangreiche Gene korrekt und zuverlässig zu nutzen, deutlich höher ist.

Auch Wang et al. legen beim ihrer Studie über das Erbgut des Afrikanischen Lungenfisches (P. annectens) das Hauptaugenmerk auf stammesgeschichtliche Aspekte. Im Blick auf die namengebende Lunge finden die Autoren vier Gene, die im Lungengewebe von P. annectens wie auch im Krallenfrosch und der Maus stark ausgeprägt werden, dagegen nicht in der Schwimmblase von Flössel- und Alligatorhecht. Diese vier Gene stehen im Zusammenhang mit Oberflächenkomponenten der Lunge; sie sind an der Steuerung und Regulation der Eigenschaften der Lungenoberfläche beteiligt. Wang et al. stellen sich die Evolution der Lungenatmung aufgrund ihrer Ergebnisse wie folgt vor: Die ersten Ansätze zur Luftatmung sind bereits beim Vorläufer der Knochenfische angelegt, denn bei allen ist ein spezielles Gen (Sftpc) bereits vorhanden. Der zweite Schritt erfolgt durch weitere in der Lunge wirksame Gene, die bei den Fleischflossern auftreten, und im dritten Schritt erlangen dann die Tetrapoden durch weitere Gene eine leistungsfähige Lunge. Auch die Entwicklung zur Fünffingrigkeit der Gliedmaßen und der Übergang von Flossen zu den Gliedmaßen der Tetrapoden bringen Wang et al. mit dem Expressionsmuster von Hox-Genen in Verbindung. Verschiedene Hoxa- und Hoxd-Gene werden bei Tetrapoden ausschließlich in den Gliedmaßen ausgeprägt, während sie bei der Entwicklung der Flossen nach einem zeitlichen Muster an unterschiedlichen Orten ausgeprägt werden. Auch anhand anderer Genabschnitte, die nicht für Proteine kodieren und in verschiedenen Organismen dieselbe Sequenz aufweisen, was in evolutionärer Perspektive als „konserviert“ interpretiert wird, lassen sich ähnliche Zusammenhänge aufzeigen. Die Autoren werten das als weiteren Beleg für ihre Sicht der großen Zusammenhänge; sie sind aufgrund ihrer genetischen Analysen davon überzeugt, dass der Übergang von Flossen zu Gliedmaßen in drei Schritten verlaufen sei, diese sollen von proximal nach distal verlaufen sein, d. h. zunächst sollen die Gliedmaßenabschnitte in unmittelbarer Körpernähe verändert worden sein und danach die weiter vom Körperstamm entfernten Abschnitte.

Auch in Bezug auf die Innervierung der Gliedmaßen führen Wang et al. Hox-Gene an, die vor allem für die Motoneuronen bedeutend erscheinen, also die Nerven, durch die die Muskeln angeregt werden können. Diese Hox-Gene waren bei den Fleischflossern nachweisbar, nicht jedoch bei anderen Fischen. Zwei neue Gene, die für Neurotransmitterproteine kodieren, treten bei Fleischflossern auf und werden in deren Gehirn und Rückenmark ausgeprägt. Bei Tetrapoden werden diese Neuroproteine im Zusammenhang mit Stressmanagement und Angstauflösung diskutiert; und so passt dies aus Sicht der Autoren zur Stellung, die sie den Lungenfischen bei der Eroberung des Festlandes zugedacht haben.

Zusammenfassend skizzieren Wang et al. ihre Vorstellung vom Übergang der Lebewesen vom Wasser ans Land in drei Stufen: der Vorläufer der Knochenfische entwickelte die ersten Anlagen zur Luftatmung, in einem zweiten Schritt konnten Lungenfische und Tetrapoden durch weitere Anpassungen das Wasser zeitweise verlassen, um dann in einem dritten Schritt Atmung und Fortbewegung für ein Leben an Land zu verbessern.

Dasselbe chinesische Autorenteam hat in derselben Ausgabe des Journals Cell „die genetischen Spuren des Landgangs“4 noch weiter bis zu den Strahlenfischen zurückverfolgt (Bi et al. 2021). Sie konzentrieren sich dabei auf den Geruchssinn, die Brustflossen, die Lunge und das Herz. In dieser Studie werden vier neue Genome von Strahlenflossern beschrieben, nämlich von Flösselhecht (Polypterus senegalus), Löffelstör (Polyodon spathula), Kahlhecht (Amia calva) und Alligatorhecht (Atractosteus spatula). Die Resultate der vergleichenden und bioinformatischen Genanalysen werden nach demselben Muster wie oben präsentiert und die Argumentation verläuft analog. Die Autoren behaupten aufgrund von vergleichenden Analysen des Transkriptoms verschiedener Organgewebe von Vertretern von Fleischflossern, Strahlenflossern und Knochenfischen, dass dadurch Darwins Hypothese bestätigt würde, dass Schwimmblase und Lunge homologe Organe seien. Nun lässt sich die Auffälligkeit, dass viele gleichartige Gene im Gewebe von Schwimmblase und Lunge ausgeprägt werden auch gut durch deren ähnliche Funktion erklären. Tatsumi et al. (2017) sehen das differenzierter und erklären, dass es „schwierig sei Lunge und Schwimmblase auf der aufgrund der Gene, die ausgeprägt werden und der Luftatmung zu definieren.“5

Kritische Würdigung der vorgestellten Studien

Zunächst einmal sei gewürdigt, dass in den hier vorgestellten Studien die Leistungsfähigkeit der modernsten Technologie zur Genomsequenzierung demonstriert und für das Studium der bislang umfangreichsten Genome angewendet wird. Es wird erwartet, dass es mit diesen Methoden (Nanopore-Sequenzierung) noch in diesem Jahr gelingen könnte, das Humangenom tatsächlich lückenlos von Anfang bis Ende zu sequenzieren (Eisenstein 2021).

Auffällig ist, dass beide Autorenteams ihre Studien zum Genom von Lungenfischen unter den Leitgedanken evolutionärer Konzepte stellen und nicht den naheliegenden ersten Schritt gehen, die neu gewonnene Einsicht in das Genom zu einem vertieften Verständnis der Lungenfische und deren Lebensweisen zu nutzen. Dabei ist es für den kritischen Leser auffällig und befremdlich, dass der Eindruck erweckt wird, als bestätigten die Resultate etablierte Evolutionsvorstellungen, was aber gar nicht der Fall ist.

Genomdaten geben zunächst einfach Auskunft über die genetische Ausstattung eines Lebewesens. Es ist noch viel Arbeit zu leisten, um zu verstehen, wie diese Ausstattung durch heutige Lebewesen genutzt wird und welches Potential darin für den Organismus liegt. Anhaltspunkte für Interpretationen genetischer Daten hinsichtlich dynamischer Entwicklungsprozesse oder gar zur Rekonstruktion vermuteter historischer Prozesse bietet das Genom nicht. Dieser Umgang mit den Daten entspringt einem „Voreingenommensein“, das nicht unüblich ist, aber in den oben vorgestellten Fällen zu einer starken Verzerrung führt, wenn der Eindruck erweckt wird, dass hier starke Bestätigungen für einen Übergang von Wasser- zum Landleben vorliegen. Die Genomdaten sagen im Blick auf ihr Gewordensein zunächst einmal gar nichts aus. Evolution, hier konkret der Übergang vom Leben im Wasser zum Festland, wird vorausgesetzt und isolierte genetische Befunde aus der Genomsequenz werden in diesen Zusammenhang eingefügt und dann die etablierte Geschichte neu erzählt. Die Genomdaten dokumentieren zunächst einmal einfach den molekulargenetischen Hintergrund der Lungenfische; inwieweit diese Daten dann in einem weiteren Schritt evolutionsbiologisch plausibel interpretiert werden können, steht auf einem anderen Blatt. Vergleichende bioinformatische Analysen basieren auf Modellen, die bereits Evolutionskonzepte beinhalten und sind daher keine unabhängigen Belege für evolutionäre Prozesse.

Die von Meyer et al. (2021) und Wang et al. (2021) dargestellten Befunde und ihre Interpretation als Beleg für einen Übergang vom Leben im Wasser ans Festland greifen einzelne Gene bzw. Genklassen heraus und stellen sie in besagten Zusammenhang. Für einen Übergang vom Wasser- zum Landleben reichen sie aber bei weitem nicht aus; dafür ist noch sehr viel mehr nötig. Vor allem wird von diesen Autoren – wie auch von vielen anderen – die grundlegende Frage nicht gesehen und bedacht, was denn Lebewesen wie die Lungenfische, die für ein Leben in ihrem Lebensraum hervorragend ausgestattet sind, veranlassen sollte, ihre Anlagen für die Eroberung eines neuen Ökosystems zu erweitern. Die Autoren gehen davon aus, dass es zunächst ausschließlich Leben im Wasser gab und Landlebewesen sich aus diesen Lebensformen entwickelt haben müssen. Sie können zeigen, dass eine kleine Auswahl der Daten sich in ein solches Szenario einfügen lässt. Sie vernachlässigen aber, dass die Daten an sich einen solchen Prozess nicht erforderlich erscheinen lassen und dass andere, alternative Szenarien denkbar sind.

Anmerkungen

1 Das griechische Wort dipnos könnte man etwa Doppelatmer wiedergeben.

2 “Genomic preadaptions in lungfish for the water-to-land transition of vertebrates”

3„cemetery of TEs“

4 So die Titelformulierung der Autoren: Tracing the genetic footprints of vertebrate landing in non-teleost ray-finned fishes.

5 „Therefore, it is difficult to define the lung and gas bladder based on the genes that are expressed and the air-breathing function“ (Tatsumi et al. 2016,  6).

Literatur

Bi X et al. (2021) Tracing the genetic footprints of vertebrate landing in non-teleost ray-finned fishes. Cell 184, 1–15; https://doi.org/10.1016/j.cell.2021.01.046

Einsenstein M (2021) Closing in on a complete human genome. Nature 590, 679–681.

Meyer A et al. (2021) Giant lungfish genome elucidates the conquest of land by vertebrates. Nature 590, 284–289.

Tatsumi N et al. (2016) Molecular developmental mechanism in polypterid fish provides insight into the origin of vertebrate lung. Sci. Rep. 6, 30680; doi:10.1038/srep30580

Wang W et al. (2021) African lungfish genome sheds light on the vertebrate water-to-land transition. Cell 184, 1–15. https://doi.org/10.1016/j.cell.2021.01.047

Autor dieser News: Harald Binder

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