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22.02.19  Archaeopteryx albersdoerferi – ein weiterentwickelter Urvogel?

Die genauere Untersuchung des achten Exemplars des berühmten Urvogels Archaeopteryx erwies so viele Unterschiede zu den anderen Funden, dass eine neue Art Archaeopteryx albersdoerferi aufgestellt wurde. Sie erscheint „fortschrittlicher“ als Archaeopteryx lithographica, wird evolutiv jedoch als blinder Seitenzweig gedeutet und nicht als Übergangsform zu anderen Vögeln.

Der berühmte fränkische „Urvogel“ Archaeopteryx lithographica aus Schichten des Oberjura gilt als gut passende Übergangsform zwischen Dinosauriern und Vögeln und hat diesbezüglich geradezu ikonenhaften Charakter. Allerdings sind einige Merkmale z. B. des Schädels oder der Beine zu spezialisiert für eine Übergangsstellung (z. B. Shipman 1998, 116; Hou 2001, 7; Xu & Pol 2013, 331), weshalb Archaeopteryx eher als übergangsformnah oder als modellhaft für eine Übergangsform angesehen wird.

Nun wurde das Exemplar 8 von Archaeopteryx, das im Gemeindegebiet von Daiting gefunden worden war, genauer untersucht (Kundrát et al. 2019). Dieses Exemplar wird um 400.000 radiometrische Jahre jünger datiert als die anderen Archaeopteryx-Funde. Und es weist eine Reihe von Merkmalsausprägungen auf, die als fortschrittlicher gewertet werden als die entsprechenden Ausprägungen bei den anderen Funden: Es sind weniger Zähne ausgebildet, die Schädelknochen sind stärker verschmolzen, die Furkula (Gabelbein, mutmaßlich verschmolzene Schlüsselbeine) besitzt eine größere Ansatzstelle für die Flugmuskeln, die Handgelenksknochen sind verstärkt und die Knochen sind mehr pneumatisiert (Ausbildung von Hohlräumen) und dadurch vermutlich leichter. Aufgrund dieser Unterschiede wurde Exemplar 8 nun in eine eigene Art Archaeopteryx albersdoerferi gestellt (nach dem Fossilienhändler Raimund Albersdörfer, der das Exemplar der Öffentlichkeit präsentierte). Die Merkmalsausprägungen von A. albersdoerferi könnten eine verbesserte Flugfähigkeit ermöglicht haben.

Auf den ersten Blick scheint A. albersdoerferi einen evolutiven Wandel in Richtung moderner Vögel zu belegen. Doch auch Kundrát et al. (2019) sehen die Gattung Archaeopteryx auf einem Seitenzweig, der letztlich nicht zu den heutigen Vögeln führte. Die Änderungen von A. albersdoerferi gegenüber Archaeopteryx lithographica seien als Konvergenzen zu werten, also als unabhängige gleichsinnige Änderungen, so die Forscher. Sie sprechen von einer „Mosaikevolution“ und mutmaßen, dass sich wiederholende „Erkundungen“ typisch seien für große Übergänge1 – eine fragwürdige Deutung im Rahmen der Evolutionstheorie, weil sie eine Zielorientierung beinhaltet („Erkundungen“). Werden dagegen evolutionstheoretische Voraussetzungen einer ungerichteten Entwicklung konsequent zugrunde gelegt, sind Konvergenzen grundsätzlich unwahrscheinlich und umso unwahrscheinlicher, je häufiger sie auftreten und je komplexer sie sind. Denn ohne Zielorientierung sind ähnliche neuartige komplexe Konstruktionen, die auf unabhängigen Wegen erreicht werden, nicht zu erwarten und auch nicht durch Selektionsdrücke oder Konstruktionszwänge zu erklären (vgl. Braun 2012). Die Option auf einen Flugerwerb (Selektionsdruck) erklärt schließlich nicht dessen Realisierung.

Befindet sich also Archaeopteryx in evolutionstheoretischer Interpretation auf einem blinden Seitenzweig, würde das auch für A. albersdoerferi gelten.

Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass es sich bei manchen Archaeopteryx-Funden um Jungtiere handeln könnte. Vielleicht ist auch A. albersdoerferi ein ontogenetisches Stadium (z. B. ein Jugendstadium). Denkbar ist auch innerartliche Variation, die nicht evolutionäre Tendenzen wiederspiegelt. Die Gattung Archaeopteryx kann auf der Grundlage ihres gesamten Merkmalskomplexes als variabler Grundtyp2 gewertet werden, der zur gestaltlichen Verschiedenartigkeit der mesozoischen Vögel beigetragen hat.

Literatur

Braun HB (2012) Warten auf einen neuen Einstein. Stud. Integr. J. 12, 12-19.

Hou L (2001) Mesozoic Birds of China. Institute of Vertebrate Paleontology and Paleoanthropology. Phoenix Valley Provincial Aviary of Taiwan.

Kundrát M, Nudds J, Kear BP, Lüe J & Ahlberg P (2019) The first specimen of Archaeopteryx from the Upper Jurassic Mörnsheim Formation of Germany. Hist. Biol. 31, 3-63.

Shipman P (1998) Taking Wing: Archaeopteryx and the evolution of bird flight. New York: Simon and Schuster.

Xu X & Pol D (2013) Archaeopteryx, paravian phylogenetic analyses, and the use of probability-based methods for palaeontological datasets. J. Syst. Paleol. 12, 323–334.

Anmerkungen
1 „These innovations appear to be convergent on those of more crownward avialans, suggesting that Bavarian archaeopterygids independently acquired increasingly bird-like traits over time. Such mosaic evolution and iterative exploration of adaptive space may be typical for major functional transitions like the origin of flight“ (Kundrát et al. 2019, 3).

2 Zu Grundtypen werden alle Biospezies zusammengefasst, die durch Kreuzungen direkt und indirekt miteinander verbunden sind, wobei die Mischlinge nicht fruchtbar sein müssen. So gehören z. B. alle Entenartigen oder Hundeartigen zu einem Grundtyp. Bei nur fossil bekannten Formen kann das Grundtypkriterium zwar nicht angewendet werden, doch geben heutige Grundtypen eine gute Orientierung, welche Vielfalt innerhalb eines  Grundtypen ausgeprägt sein kann.

Autor dieser News: Reinhard Junker

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