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Schöpfung: Theologie, Biblische Apologetik

Experten: Modell für einen Umbruch in der Schöpfung

Inhalt

In diesem Artikel wird ein Modell vorgestellt, wie ein abrupter Übergang von einer ursprünglichen Schöpfung ohne destruktive („fallsgestaltige") Räuber-Beute-Beziehungen und ohne Tod in die heutige Ökologie des Fressens und Gefressenwerdens denkbar sein könnte.

Problemstellung

Was muss sich bei einem Umbruch in der Schöpfung geändert haben?

Entwicklung zur fallsgestaltigen Lebensweise?

Sprunghafte Veränderungen?

Die Gestalt der Lebewesen: Wer ist der Steuermann?

Physikalische Rahmenbedingungen

Die zwei Gesichter der Schöpfung – Widerspiegelung des Menschen

Zusammenfassung

Literatur

Weitere Fragen zu diesem Thema

Problemstellung

Im Artikel Biblische Aussagen zur Existenzweise der Lebewesen wurde die biblische Sicht von den destruktiven Seiten der Schöpfung dargelegt. Die Bibel charakterisiert diese Seite der Schöpfung als Ausdruck eines kräftigen Missklangs, nicht als Selbstverständlichkeit. Dieser Missklang gehört aber nicht zur ursprünglichen, „sehr guten" Schöpfung, sondern ist erst nachträglich in die Schöpfung eingedrungen. Da der Sündenfall des Menschen das Einfallstor für den Tod in der Schöpfung war, kann man die Strukturen in der Schöpfung, die mit dem Fressen und Gefressenwerden von Tieren zu tun haben, auch als „fallsgestaltig" bezeichnen, um den Ausdruck „destruktiv" zu vermeiden, der zu kurz greift. Mit „fallsgestaltig" sind also Lebensstrukturen gemeint, die zum Erbeuten und Verzehr von Tieren benötigt werden, ferner Einrichtungen für Parasitismus, aber auch Mechanismen der Feindabwehr. Fallsgestaltige Strukturen werden detailliert im Artikel Todesstrukturen in der Schöpfung beschrieben.

Vor dem biblischen Hintergrund stellt sich die Frage, wie man sich einen Umbruch von der ursprünglichen in die jetztzeitliche Schöpfung biologisch denken kann, wenn man nicht annehmen will, dass in der „sehr guten" Schöpfung bereits die fallsgestaltigen Kennzeichen angelegt waren. Wie kamen die fallsgestaltigen Strukturen in die Schöpfung? Da 1. Mose 1-11 ein historisches Geschehen schildert (vgl. Die Bindung der Erdgeschichte an den Sündenfall des Menschen), hat es einen Umbruch von einer ursprünglich „sehr guten" (1. Mose 1,31) zu einer „völlig verderbten" (1. Mose 6,12) Schöpfung gegeben. Was hat zu diesem Umbruch geführt? Welche Veränderungen haben ihn herbeigeführt? Was ist im einzelnen dabei geschehen? Sind solche Fragen überhaupt beantwortbar?

Diese Fragen stellen sich im Rahmen der Evolutionslehre nicht. Während einer allgemeinen Evolution der Lebewesen kann es keinen Umbruch zwischen den Lebensbedingungen vor und nach einem Sündenfall gegeben haben. Eine allgemeine Evolution (vom Urknall zum Menschen) kennt, was Destruktivität, Krankheit, Missbildung, Leiden und Tod in der belebten Welt betrifft, keine prinzipiellen Umbrüche, seit es vielzelliges Leben gibt. Nur Einzeller sind potentiell unsterblich.

Die Evolutionslehre bietet durchaus eine Antwort auf Leiden und Tod in der Natur: beides sind notwendige Voraussetzungen für die Entfaltung der Lebensvielfalt und letztlich dafür, dass der Mensch entstehen konnte. Doch diese Antwort steht im Widerspruch zur biblischen Sicht von der Schöpfung (vgl. Die biblische Urgeschichte im Neuen Testament und Biblische Aussagen zur Existenzweise der Lebewesen. Daher wird hier eine andere Lösung verfolgt.

Was muss sich bei einem Umbruch in der Schöpfung geändert haben?

Wird 1. Mose 1-11 also historisch-faktisch verstanden, erhebt sich die Frage, wie ein Umbruch von der Ursprungsökologie (ohne Tod) in die heutige Ökologie (mit Tod) vonstatten gegangen sein könnte. Es soll ausgeschlossen werden, dass Gott Fallsgestaltiges am Anfang geschaffen und damit von vornherein gewollt hat, denn dies bedeutete, dass es zur Schöpfung wesensmäßig gehörte. Wenn also das Zeugnis von 1. Mose 1,30 (Tiere und der Mensch haben nur Pflanzennahrung zu sich genommen) im Sinne einer realen Phase in der Geschichte der Erde verstanden wird, so muss man sich zunächst vor Augen halten, welche heute existierenden Strukturen und Verhaltensweisen und ökologischen Beziehungen in eine Ursprungswelt ohne Tiernahrung nicht passen. Welche Unterschiede müssen zwischen der ursprünglichen und heutigen Tier- und Pflanzengestalt und Ökologie aufgrund des biblischen Zeugnisses angenommen werden?

Die Antwort darauf lautet in einer allgemeinen Form: Alle Strukturen und Verhaltensweisen, die ausschließlich zum Finden, Erbeuten, Verzehren und Verdauen lebendiger tierischer Nahrung benötigt werden, haben in der ursprünglichen Schöpfung keinen Platz (fallsgestaltige Strukturen).

Lassen wir dazu einige Beispiele Revue passieren, die in einer „sehr guten" Schöpfung größtenteils keinen Platz gehabt hätten (Details im Artikel Todesstrukturen in der Schöpfung: Die Nahrungsketten bzw. -netze mussten viel einfacher gewesen sein; zum Erwerb tierischer Nahrung erforderliche Strukturen und Verhaltensweisen waren nicht ausgebildet, ebensowenig Strukturen und Verhaltensweisen der Feindabwehr (Tarnung, Mimese, Mimikry, Täuschungsmanöver, zur Abwehr geeignete Körperteile usw.). Krankheiten und Missbildungen – der Tribut, den eine Höherentwicklung „zahlen" muss – gab es nicht. Folglich gab es entweder keine Mutationen oder nur neutrale oder konstruktive, sozusagen „vorgeplante" Erbänderungen, die keine Nachteile für ihre Träger mit sich brachten. Das heißt, dass das Genom (und der Stoffwechsel) nicht störungsanfällig war, was unter den gegenwärtigen Umweltbedingungen und auf der Grundlage der heutigen chemischen und biologischen Abläufe undenkbar erscheint.

Damit einher geht die Abwesenheit von Mechanismen der Krankheitsabwehr; ein Immunsystem war also nicht notwendig oder hatte eventuell andere Aufgaben zu erfüllen. Es konnte keine Parasiten gegeben haben, keine Viren, keine Rückbildungserscheinungen, keinen Artentod, und mindestens der Mensch sollte auch nicht individuell sterben.

Angesichts dieser Unterschiede zwischen einer Ursprungs- und der Rezent-Ökologie erscheint es unmöglich, den Aufbau und die Gesetze der Biosphäre vor dem Sündenfall anschaulich zu beschreiben. Wir können uns keine Begriffe von einem Ökosystem machen, in dem die in 1. Mose 1,30 angedeuteten Zustände herrschen. Da die Heilige Schrift uns hierüber nicht näher informiert und uns die Möglichkeit einer Untersuchung ursprünglicher ökologischer Zusammenhänge verwehrt ist, muss der sogenannte „Urstand" ganz im Dunkeln bleiben. Die ursprüngliche Schöpfung vor dem Fall ist und bleibt ein echtes Geheimnis. Daher ist es auch nicht möglich, einen Übergang von der ursprünglichen zur heutigen Ökologie auszumalen. Es können lediglich unhaltbare Vorstellungen abgewiesen werden, ohne eine positive Antwort („so war es") dagegenstellen zu können. Dennoch soll ein spekulativer Deutungsversuch vorgestellt werden, der jedoch nur als Denkhilfe zu verstehen ist und nicht als Versuch, etwas gedanklich in den Griff zu bekommen, was jenseits des Begreifens und der Begriffsmöglichkeiten des Menschen liegt. Im folgenden sollen einige Antwortversuche skizziert und kommentiert werden.

Entwicklung zur fallsgestaltigen Lebensweise?

Ein aus biologischen Gründen nur in manchen Fällen vertretbarer Deutungsversuch ist die Annahme einer allmählichen Entstehung der Raubtiergestalt bzw. der räuberischen Lebensweise durch mikroevolutive, empirisch bekannte Prozesse nach dem Sündenfall. (Zum Begriff „Mikroevolution" siehe Artikel Mikro- und Makroevolution.) Schon bei der Erklärung des Raubtiergebisses (Abb. 124) stößt man hier aber auf kaum überwindbare Erklärungsschwierigkeiten, wenn man davon ausgehen wollte, dass es ein umgebildetes Pflanzenfressergebiss und durch bekannte Variationsprozesse entstanden sei.

Viel deutlicher wird die Problematik in anderen Fällen, etwa bei fleischfressenden Pflanzen. Stellvertretend für die vielen anderen soll dieses Beispiel diskutiert werden: Die Strukturen, die (etwa bei der Venusfliegenfalle) das Fangen und Verdauen tierischer Nahrung ermöglichen, müssen vollständig ausgebildet sein, damit sie ihren Dienst erfüllen können. Im Artikel Todesstrukturen in der Schöpfung wird als Beispiel die Kannenpflanze (Abb. 128) beschrieben. Eine andere nicht-destruktive Funktion dieser Fallen ist in den meisten Fällen kaum denkbar. Die Notwendigkeit des Abgestimmtseins aller Fallenteile aufeinander wird auf der einen Seite zurecht als Argument gegen eine allmähliche evolutive Entstehung dieser Strukturen während einer Stammesgeschichte ins Feld geführt. Damit schließt man aber gleichzeitig eine sündenfallbedingte allmähliche Bildung aus. Da eine separate Neuschöpfung aus biblischen Gründen ebenfalls auszuschließen ist, muss nach anderen Ursachen gefragt werden.

Die Vorstellungen eines allmählichen Umbruchs scheitert außerdem an der Tatsache, dass alle Lebewesen ökologisch durch Fressen und Gefressenwerden miteinander verbunden sind. Ein allmählicher Übergang von einem ganz anders organisierten Ökosystem in heutige komplizierte Bedingungen entzieht sich ebenfalls einer Erklärung durch bekannte biologische Prozesse.

Es soll und kann damit nicht ausgeschlossen werden, dass ein allmählicher Übergang von einem nicht-fallsgestaltigen Stadium aus in einzelnen Fällen denkbar ist oder wahrscheinlich gemacht werden kann. Die heute empirisch bekannten Phänomene im Bereich des Lebendigen liefern jedoch in der Regel keine Analogien für einen Umbruch der ursprünglichen in die heutige Ökologie. Es handelt sich offenbar um ein Geschehen, das jenseits aller Erfahrung und Vorstellbarkeit liegt. Die anstehende Frage ist damit naturwissenschaftlich vermutlich nicht lösbar.

Polyfunktionalität. Ein interessantes Phänomen ist in diesem Zusammenhang Polyfunktionalität: Organe haben gewöhnlich mehrere Funktionen. Beispielsweise dienen Stacheln und Dornen nicht nur als Hindernisse gegen Verzehrer, sondern sind auch Kondensationskerne für Tau. Sie helfen also bei der Wasserversorgung der Pflanzen.

Im Kannenblatt der Kannenpflanze (#BILD 128 Abb. 128]) werden nicht nur Insekten verdaut, sondern die Flüssigkeit dient vielen anderen Insekten als Nährsubstanz für ihre Larven, die dort ihre Entwicklung unbeschadet durchmachen.

Spinnennetze sind auch geeignet, Pollen zu fangen, und es gibt auch pollenfressende Spinnen.

Interessant ist in unter diesem Aspekt auch der Daumen des Iguanodon. Dieser Dinosaurier besaß eine einzigartige Hand (Abb. 133), „die im gesamten Tierreich ihresgleichen sucht" (D. Norman). Der spitze Daumen konnte wohl als Waffe gegen Beute oder Feinde eingesetzt werden, war aber gleichzeitig auch für das Bearbeiten von Früchten geeignet.

Ein Übergang in die Bedingungen nach dem Sündenfall könnte in solchen Fällen wenigstens teilweise durch Entartung verstehbar sein. Beispielsweise könnte das Kannenblatt schon immer der Fürsorge für manche Larven gedient und erst nach dem Fall auch destruktive Merkmale ausgeprägt haben. Das muss natürlich spekulativ bleiben, doch zeigen solche Beispiele, dass manche fallsgestaltige Strukturen auch in einer Welt ohne Fressen und Gefressenwerden von Tieren einen konstruktiven Platz eingenommen haben können.

Sprunghafte Veränderungen?

Im weiteren soll nun ein Denkansatz vorgestellt werden, in dem bewusst der Argumentationsspielraum der Erfahrungswissenschaften verlassen wird. Dabei soll der Spekulation jedoch nicht freier Lauf gelassen werden, sondern einerseits die biblisch bezeugte Realität einer unsichtbaren Wirklichkeit in Rechnung gestellt und andererseits auf das heute verfügbare biologische Wissen zurückgegriffen werden.

Fremdbestimmung der Lebewesen. Dieser Deutungsversuch nimmt auf die Erkenntnis der Biologie Bezug, dass die Lebensprozesse hierarchisch organisierten Steuerungen unterliegen. Schon im Erbgut muss zwischen Strukturgenen und Regulatorgenen unterschieden werden. Die Strukturgene stehen für Eiweiße (Bau- oder Stoffwechselproteine), die Regulatorgene für solche Proteine, die beim kontrollierten Ablesen der Strukturgene benötigt werden. Doch die Regulatorgene steuern selber nicht. Sie sind lediglich eine notwendige Voraussetzung dafür, dass die Information auf den Strukturgenen kontrolliert abgelesen und für den Zellstoffwechsel nutzbar gemacht werden kann. Die Regulatorgene bedürfen ihrerseits der Regulation. Dies geschieht z. B. durch Hormone, das sind Botenstoffe, die über die Blutbahn zirkulieren. Diese aber wiederum müssen selber von einer noch höheren Instanz reguliert werden und so weiter. Man kann also festzuhalten, dass man nach bisherigen Forschungsergebnissen davon ausgehen muss, dass das Erbgut und die vorgeschalteten Steuerungen hierarchisch strukturiert sind. (Das ist stark vereinfacht dargestellt; die tatsächliche Situation ist durch Rückkopplungen und vernetzte Beziehungen viel komplizierter, doch tut das für die hier verfolgte Fragestellung nichts zur Sache.)

Jede Hierarchiestufe (Strukturgen – Regulatorgen – Hormon – Gehirn - ...) kann auf ihrer eigenen Ebene nicht verstanden werden. Vielmehr wird eine Art Sollwertgeber von „außen" benötigt, womit immer wieder auf eine höhere Ebene verwiesen wird. Was aber ist die höchste Instanz? Kann sie überhaupt materiell in den Lebewesen gefasst werden? Es stellte sich dann sofort die Frage, was diese Instanz wiederum in Aktion versetzt.

Anwendung: Wie entstanden die fallsgestaltigen Strukturen? Man könnte sich in der anstehenden Frage nach dem Übergang in die Bedingungen und Strukturen nach dem Fall folgendes denken: Die genetischen Grundlagen (die Bausteine als solche) wurden im Gefolge des Sündenfalls nicht geändert, die Instanz aber, die ihren Zusammenbau regelt, reagiert auf die veränderten Lebensbedingungen nach dem Fall. Mit demselben „Baumaterial", also auf derselben genetischen Grundlage, werden verschiedenartige „Gebilde" errichtet. Die höchste Instanz also, die die individuelle Entwicklung, den Bau und die Funktionsweisen der Lebensäußerungen regelt, könnte eine Wandlung erfahren haben, so dass unter den neuen Bedingungen nach dem Sündenfall bei vielen Lebewesen neue – fallsgestaltige – Strukturen zum Vorschein kommen.

Dies ist damit vergleichbar, dass man aus demselben Baumaterial ein Rathaus, eine Kirche oder ein Gefängnis bauen kann.

Modell aus der heutigen Biologie. Für diese Vorstellung gibt es ein interessantes Modell aus der heutigen, uns bekannten Biologie: die fremddienliche Zweckmäßigkeit, wie sie in bestechendster Form bei Pflanzengallen zu beobachten ist. Gallen sind spezifisch geformte Gebilde, die vor allem auf Blattoberflächen durch Einwirkung fremder Stoffe (von Bakterien, Pilzen oder Tieren) entstehen. So bildet beispielsweise die Rose nach einem Stich und der Eiablage der Rosengallwespe sog. „Rösenäpfel" (Abb. 134), büschelige Gebilde, in deren Innern sich einige Kammern für die darin sich entwickelnden Larven befinden (Abb. 135). Es gibt eine reiche Formenvielfalt unter den Gallen. Manche gleichen spitze Hörnern, andere länglichen Zwiebeln, kugelrunden Murmeln, flachen Sonnenhüten, goldglänzenden Münzen oder Knöpfen (Abb. 136). Wichtig ist: Es werden Formen gebildet, die die Wirtspflanze sonst nicht erzeugt. Am gleichen Blatt können sogar verschiedene „Galltiere" Gallen völlig unterschiedlicher Gestalt hervorrufen. Die neuen Entwicklungswege werden oft mit äußerster Präzision beschritten. Der Stoffwechsel wird zugunsten der Produktion bestimmter Inhaltsstoffe (z. B. Gerbstoffe) umgestellt, manche Wege werden intensiviert, andere verschlossen oder Seitenwege eingeschaltet.

Als Auslöser für die Gallbildung dient den verschiedenen Schmarotzerarten ein Wuchsstoff. Erbsubstanz (DNS) wird jedoch nicht übertragen. I. a. sind die Gallen in komplizierter Weise den Bedürfnissen des Gastes angepasst. Dazu gehören ein passender Hohlraum, ein widerstandsfähiges Gehäuse, zartwandige, der Ernährung dienende Zellen im Innern der Gallen, die Erzeugung bitterer Stoffe, die Vögel oder Raupen vom Fressen abhalten, sowie z. T. die Ausbildung einer Trennschicht, die das Öffnen der Galle ermöglicht, sobald die Insassen zum Ausschwärmen alt genug sind (vgl. Abb. 137).

Wer hat hier das Sagen? Was geschieht hier? Unter dem Einfluss auslösender Substanzen wird das Baumaterial der Wirtspflanze zum Bau artfremder Strukturen verwendet. Die Gallen ähneln in ihrer Form gewöhnlich irgendwelchen normalen Pflanzenstrukturen nicht im entferntesten. Aber die genetische Grundlage der Pflanzen ist nicht verändert worden. Es werden keine Gene in die Pflanzen injiziert, es erfolgt keine Gentransplantation. Die Gene und der Zellstoffwechsel geraten offenbar unter „fremde Herrschaft" und werden entsprechend genutzt.

Diesen Beispielen entsprechend könnte man sich denken, dass die geschaffenen Organismen durch den Sündenfall unter eine neue „Herrschaft", unter eine Art Anpassungstrieb an die Bedingungen „dieses Äons" gerieten und dadurch ihre Lebensweise änderten. Dieser „Herrschaftswechsel" muss synchron und bei den verschiedenen Arten aufeinander abgestimmt erfolgt sein, so dass ein nahtloser Übergang in die Ökologie nach dem Sündenfall möglich war. Wichtig ist bei diesem Lösungsversuch, dass die Identität der Arten und Individuen gewahrt bleibt. Zugleich wird so verstehbar, dass das neue komplizierte ökologische Gefüge in seiner Fallsgestaltigkeit koordiniert „zusammengesetzt" wurde.

Zur Vermeidung eines möglichen Missverständnisses soll noch erwähnt werden, dass Gallenbildung selber nicht als fallsgestaltiges Phänomen zu werten ist, sondern eine Symbiose (=Zusammenleben ohne einseitige Schädigung) darstellt. Das Beispiel soll nur als Illustration dienen, wie sich unter dem Einfluss einer fremden „Größe" die Gestalt wandeln kann.

Die Theodizee-Frage im Rahmen dieses Erklärungsversuchs. Im Rahmen dieses Lösungsversuchs muss nicht angenommen werden, Gott habe (unmittelbar oder latent) fallsgestaltige Anlagen erschaffen. Das „sogenannte Böse" (K. Lorenz) musste in keiner Weise „vorgebildet" gewesen sein. Außerdem bleiben die Individualitäten erhalten; es erfolgt keine Neuschöpfung. So gesehen ist dieser Versuch theologisch befriedigend.

Zur Frage, wer für den beschriebenen „Herrschaftswechsel" und das neue ökologische Gefüge verantwortlich zeichnet, sei an die Diskussion zum 8. Kapitel des Römerbriefs im Artikel Biblische Aussagen zur Existenzweise der Lebewesen verwiesen. Die geschilderte Deutung kann die „Unterwerfung" der Schöpfung veranschaulichen, von der in Römer 8,19ff. die Rede ist.

Die Gestalt der Lebewesen: Wer ist der Steuermann?

Der geschilderte Deutungsversuch wirft im weiteren die Frage auf: Was ist der Garant für die Erhaltung der Individualität der Lebewesen beim Übergang in die fallsgestaltige Lebensweise? Zur Antwort ziehen wir nochmals den Vergleich mit der Gallenbildung heran. Die aufgeworfene Frage stellt sich nämlich sehr ähnlich angesichts der Gallenbildung oder auch der Metamorphosen von Lebewesen (z. B. Verwandlung von Larve zum erwachsenen Insekt): Was garantiert bei der „Umschmelzung" einer Raupe in eine geflügelte Form die Individualität? Die empirischen Wissenschaften können hierzu nur negative Antworten geben: Etwa: Die Erbfaktoren sind es nicht, denn sie reagieren nur auf Impulse von „außen"; oder: Hormone (im Körper zirkulierende Botenstoffe) sind es nicht, denn auch sie bedürfen ihrerseits einer Steuerung usw.

Für den Menschen hat der Embryologe Erich Blechschmidt ein „Gesetz der Erhaltung der Individualität" aufgestellt. „Nur was in seinem Wesen bereits ist, kann sich entwickeln." Aufgrund seiner ausgiebigen Studien gelangt er zur Sichtweise, dass nicht Stoffe (etwa DNS), sondern Gestaltungskräfte die unmittelbaren Motoren der Formbildung der Lebewesen sind. Der menschliche Embryo entwickelt sich – wie Blechschmidt formulierte – durch Arbeit gegen Widerstand.

Es bietet sich an, dieses „Gesetz der Erhaltung der Individualität" auf Tiere und Pflanzen auszudehnen und auf die o. g. Beispiele anzuwenden. Allerdings entzieht sich in allen Fällen das steuernde, die Individualität garantierende Agens (=steuernde Größe, handelnde Instanz) der wissenschaftlichen Verobjektivierung, d. h. sie kann nicht in exakten Gesetzmäßigkeiten eingefangen werden. Doch um die Lebensäußerungen der Organismen verstehen zu können, ist das Postulat (=Forderung) eines steuernden Agens sinnvoll. Man könnte es die „Ganzheit" oder die „Steuerinstanz" eines Organismus nennen oder vom „handelnden Organismus" sprechen. Noch einmal: Es ist nicht möglich, unter Reduktion auf Teilsystemebenen der organismischen Ganzheiten die Organismen zu verstehen. Das „Gesetz von der Erhaltung der Individualität" ist nur durch einen Negativbeweis begründbar. Die „steuernde Instanz" (die gestaltende Kraft) kann nicht vorgezeigt, sondern nur an ihren Wirkungen erkannt werden.

Kommen wir auf die aufgeworfene Frage zurück: Als Denkhilfe zum Verständnis des Übergangs von der ursprünglichen in die heutige Ökologie kann man mit dieser Terminologie (=Begrifflichkeit) sagen: Unter den neuen Bedingungen nach dem Fall verwirklichen die Ganzheiten der Organismen angepasste Gestalten – und zwar „geknechtete Gestalten" (Röm 8,19ff.), die dem „Schema dieser Welt" (1. Kor 7,31), der gefallenen Schöpfung angepasst sind.

Physikalische Rahmenbedingungen

Ein ursprünglich wesensmäßig anderes Ökosystem bedurfte auch anderer physikalischer Rahmenbedingungen als der heutigen. Ohne Tod konnte es auch keine Todesgefahren gegeben haben. Beispielhaft soll das am Los der Frau beim Gebären (1. Mose 3,16) kurz angedeutet werden.

Was war anders, als das Gebären noch nicht schmerzvoll war? Man könnte sich denken, dass die Eigenschaften der Materie von den heutigen Eigenschaften verschieden waren, sodass die anatomischen Merkmale sich nicht schmerzhaft und gefahrvoll auswirkten. Denkbar wäre auch, dass die körperliche Konstitution anders war, so dass die Schmerzen und Gefahren ausgeschlossen waren. Doch wäre der Anatom kaum in der Lage, eine andere Konstruktion anzugeben, die (unter den heutigen Lebensbedingungen des Menschen) besser wäre als die tatsächlich realisierte. Ein breiterer Beckenring hätte vermutlich anderweitige Nachteile; so wäre es wohl schwieriger, aufrecht gehend die Last des Kindes im Mutterleib zu tragen. Bis zum Beweis des Gegenteils wird man davon ausgehen müssen, dass die körperliche Konstitution des Menschen unter den gegebenen Umständen der Lebensbedingungen nach dem Fall(!) der beste Kompromiss ist, jedoch kein Kompromiss der Evolution, sondern ein Kompromiss im Rahmen einer „Notordnung" Gottes nach dem Fall.

Der Auferstehungsleib Jesu. Eine Gedankenhilfe dafür, dass eine andere Leiblichkeit als die uns bekannte möglich ist, bieten die neutestamentlichen Berichte von der Auferstehung Jesu. Einerseits wird in diesen Schilderungen großen Wert darauf gelegt, dass Jesus leiblich auferstand (er konnte angefasst werden, er aß etwas), andererseits wird bezeugt, dass Jesus durch geschlossene Türen gehen konnte. Wenn wir das versuchen würden, gäbe es mindestens blaue Flecken. Jesu Auferstehungsleiblichkeit war offenbar eine andere, wie auch der Auferstehungsleib der Gläubigen von anderer Qualität sein wird (vgl. 1. Kor 15,42+43). So kann man sich denken, dass die Leiblichkeit des Menschen, die noch nicht durch die Sünde betroffen war, von der heutigen Beschaffenheit verschieden war. Dabei kann jedoch nichts Sicheres darüber gesagt werden, inwiefern die ursprüngliche Leiblichkeit vor dem Sündenfall der künftigen Auferstehungsleiblichkeit gleicht.

Die zwei Gesichter der Schöpfung – Widerspiegelung des Menschen

„Dieser Zustand der Natur ist die notwendige Widerspiegelung des Zustandes der Menschenwelt: ihrer Gier, ihrer Zertrennung, ihres Kampfes der falschen Absolutheiten, ihrer Dämonisierung und Satanisierung" (L. Ragaz).

Weshalb ist die ganze Schöpfung in den Fall des Menschen mit hineingerissen worden? Eine letztgültige Antwort auf diese Frage soll nicht gegeben werden und ist wohl auch nicht möglich. Römer 8,19ff. hebt diesen Zusammenhang nur hervor, ohne ihn näher zu begründen. Im Artikel Biblische Aussagen zur Existenzweise der Lebewesen wurde bereits auf die schöpfungsgemäße Sonderstellung des Menschen hingewiesen. Wenn das wichtigste Schöpfungswerk „verdorben" ist, ist alles verdorben, was mit ihm verbunden ist – eben die ganze Schöpfung.

Aus der Verbundenheit zwischen der außermenschlichen Schöpfung und dem Menschen folgt: Die Schöpfung ist eine Widerspiegelung des Menschen und seiner Situation. Die Schöpfung kann sich nicht selber aus der Knechtschaft der Vergänglichkeit befreien, sondern wartet auf den Befreier. Genauso ist es um den Menschen bestellt. Er ist nicht aufgrund eigener Möglichkeiten in der Lage, die Lebensverhältnisse grundlegend zu wandeln, auch er ist von der Vergänglichkeit geknechtet. Alle durchaus notwendigen und richtigen Bemühungen um Verbesserungen der menschlichen Existenz stehen letztlich unter dieser Feststellung. Sie soll nicht zur Resignation führen, sondern zu einem Realismus. Denn in Römer 8,19-22 wird nicht nur eine ernüchternde Diagnose gegeben, sondern auf eine Therapiemöglichkeit hingewiesen. Gott selber, der Unterwerfer, wird auch befreien. Es kann also nur darum gehen, sich dem Schöpfer und seiner Führung anzuvertrauen. Darauf soll uns das „verkehrte" Gesicht der Schöpfung hinweisen: dass wir ohne Gott auf dem verkehrten Weg sind und seine Befreiung benötigen. Warum seufzt die ganze Schöpfung? „Nicht freiwillig", sondern „um des willen, der ihre Unterwerfung bewirkt hat". Damit sind wir gemeint.
Wenn wir uns über das Seufzen der ganzen Schöpfung wundern, soll das zum Nachdenken über uns selber und letztlich zur Sündenerkenntnis führen, d. h. zur Einsicht, dass es der Grundfehler schlechthin ist, nicht nach Gott und seinem Willen zu fragen.

Für unser Denken und unser Handeln gibt es Grenzen, die unübersteigbar sind: der Cherub steht vor der Tür (1. Mose 3,24). Es kann nicht anders sein, als dass Fragen über die Anfänge offen bleiben müssen. Der Weg zu Gott führt über den Weg der Umkehr des Herzens. „Das Schwert des Cherubs trifft jeden, der eigenmächtig in das Paradies zurück will, – sei es denkend, sei es handelnd, sei es mystisch – denn sie alle verkennen Schuld und Sühne; sie wollen anders zu Gott als auf dem Weg totaler Buße" (H. Echternach).

Der Zugang zum Schöpfer ist offen, weil Jesus Christus durch sein Sterben und seine Auferstehung diesen Weg eröffnet hat. Jesu Auferstehung bedeutet die Überwindung

Zusammenfassung

Nach dem Zeugnis der Bibel ist die Welt gefallene Schöpfung und die Daseinsweise der Lebewesen nicht einfach das Ergebnis natürlicher Prozesse. Es wird ein wesensmäßiger Unterschied zwischen der Ursprungswelt bzw. der zukünftigen Schöpfung und der Jetztgestalt der Schöpfung bezeugt. Ökologische Stabilität ist unter den Bedingungen der Jetztzeit („dieses Äons") nur mit dem Beiklang des Seufzens (Rom 8,19ff.) möglich. Die Frage nach dem Übergang von einer ursprünglichen in die heutige Ökologie ist auf der biologischen Ebene nicht zu beantworten, da es keine entsprechende Erfahrungen aus dem heutigen, uns zugänglichen Bereich gibt. Ein allmählicher Übergang von der ursprünglichen in die heutige Lebensweise der Organismen kommt in der Regel nicht in Frage; es ist meist nur ein abrupter Umbruch denkbar, der die Bedingungen des jetzigen Daseins umfassend ändert. Aus der heutigen Biologie können vage Modelle für diesen Umbruch entnommen werden. Nach einer theologisch befriedigenden Modellvorstellung gerieten die Lebewesen im Gefolge des Sündenfalls unter „Steuerungsinstanzen", die dem Ursprungsdasein „fremd", dem jetzigen Dasein ausdrucksgemäß sind.

Diese Deutung beruht auf der Einsicht, dass Organismen letztlich willensgesteuert sind, wobei das agierende Subjekt naturkundlich zwar nicht fassbar, jedoch aufgrund empirischer (=auf Erfahrung beruhend) Phänomene postuliert (=gefordert) werden muss. Durch diesen Deutungsansatz sind tiefgreifende Organisationsänderungen und Änderungen der Lebewesen verstehbar, ohne die Notwendigkeit einer zusätzlichen Schöpfung und ohne die Annahme, dass den Lebewesen schon ursprünglich, in der „sehr guten" Schöpfung bereits genetische Grundlagen für eine andere Lebensweise „eingebaut" waren. Damit kann der Schluss vermieden werden, dass der Schöpfer ursprünglich bereits fallsgestaltige Merkmale (bzw. genetische Grundlagen dafür) geschaffen habe, was dem Urteil „sehr gut" (1. Mose 1,31) widersprechen würde. Letztlich stehen also steuernde Instanzen hinter dem nur in Teilaspekten verobjektivierbaren Lebensgeschehen, deren Wirken Gott in der gesamten Schöpfung im Gefolge des Sündenfalls zugelassen hat.

Literatur

Junker R (1994) Leben durch Sterben? Schöpfung, Heilsgeschichte und Evolution. Neuhausen-Stuttgart.

Junker R (2001) Sündenfall und Biologie. Schönheit und Schrecken der Schöpfung. Neuhausen-Stuttgart.

Weitere Fragen zum Thema

Hat Gott krankmachende Viren erschaffen?


Autor: Reinhard Junker, 16.04.2004

 
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