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14.06.06  Das Kreuz mit dem „Kreuz“ – Was man mit Evolution alles erklären kann!

In der ZDF-Fernsehsendung „Joachim Bublath“ am 7. 12. 2005 wurde der Traum kurz zur virtuellen Wirklichkeit. Der Mensch wurde in seinem Bauplan so „optimiert“, dass ein Großteil seiner körperlichen Mängel oder besser seiner „evolutionären Altlasten“ durch ein neues Design überwunden werden. Insbesondere unsere Wirbelsäule sei, so die Autoren, dafür ein lohnendes Objekt:

„Auch andere Bereiche des menschlichen Körpers sind in ihrer Vergänglichkeit voller Mängel. Am Computer ließe sich das Design des Menschen ohne Schwierigkeiten verbessern – unsere zahlreichen körperlichen Beschwerden könnten so gemildert werden. Denn viele Probleme kamen erst mit der Entwicklung des aufrechten Ganges. Die Kräfte der Evolution haben uns dabei radikal umgebaut: Unser Becken wurde zu einer Art Schüssel für die inneren Organe, unser Hängeschädel wurde zum erhobenen Haupt und thronte fortan auf senkrechten Halswirbeln. Am Ende waren wir bereit für den aufrechten Gang – allerdings zu einem hohen Preis. Unsere Bandscheiben zum Beispiel, die weichen Puffer zwischen unseren Wirbeln, rutschen oft heraus. Eine unausgereifte Körperhaltung hat so ihre schmerzhaften Folgen.“ (www.zdf.de/ZDFde/inhalt/19/0,1872,3019859,00.html)

Es wirkte schon etwas eigenartig, was durch Bublath als Alternative konstruiert wurde: Die Verlängerung der Wirbelsäule zu einem kräftigen Schwanz, eine nach vorn in der Beckenregion abgewinkelte Körperhaltung gepaart mit kräftiger geformten Beinen und einem verstärkten, nach vorn überstehenden Unterkiefer. Dieses Design hätte zumindest theoretisch die Chance, den Pfusch des „Intelligenten Designers" zu überwinden, erzählen die Macher der Sendung dem verdutzten Zuschauer. Evolution eignet sich als Erklärung also wesentlich besser als der Verweis auf einen Schöpfer bzw. auf einen Intelligenten Designer, warum wir als Menschen Mangelwesen sind.

Aber – und das dürfte sehr schmerzlich sein für das neu entworfene Rückgrat von Bublath – Reinhard Putz, Leiter am Anatomischen Institut der Ludwig-Maximilians-Universität in München, ist davon überzeugt, dass die Wirbelsäule keine Fehlentwicklung, sondern ein „Meisterstück“ der Evolution darstellt (FAZ 5. 4. 2006). Putz fällt dieses völlig anders lautende Urteil nach jahrzehntelanger Erforschung der Biomechanik des menschlichen Skeletts und räumt mit zahlreichen Irrtümern auf.

So besteht zum Beispiel kein wesentlicher Unterschied hinsichtlich der Beanspruchung der Wirbelkörper in der Längsachse bei einem Vierbeiner und dem aufrecht gehenden Menschen. Denn auch bei den vierbeinigen, auf dem Land lebenden Wirbeltieren ist der Körper so konstruiert, dass auf die Wirbelsäule entlang ihrer Längsachse Druck ausgeübt und sie gewissermaßen zusammengestaucht wird. An der Beanspruchung der Wirbelsäule vom Hals in Richtung Becken hat sich also vom Vierbeiner zum aufrecht schreitenden Zweibeiner nichts grundsätzlich geändert.

Ein besonderes Kennzeichen des Menschen liegt in der enormen Beweglichkeit der oberen Extremität, in der Wendigkeit der Arme, des Schultergürtels und des Rumpfes. Das ist nach Putz deshalb so bemerkenswert, da dies einen Kompromiss zwischen ausreichender Stabilität einerseits und größtmöglicher Mobilität andererseits erfordert. Und dieser Kompromiss gelingt durch ein ausgeklügeltes Zusammenspiel zwischen den Modulen unserer Wirbelsäule: den Wirbelkörpern, Bandscheiben, Wirbelgelenken und Bändern.

Jeder Wirbel kommuniziert über Gelenkfortsätze mit dem über und unter ihm gelegenen Nachbarwirbel. Diese sind anatomisch hochspezialisiert im Hinblick auf die jeweils individuelle Beanspruchung. Deutlich wird dies beim Vergleich mit der Situation beim Steinbock oder beim Wal. Beim Steinbock zum Beispiel sichern die umgreifend hakenförmig ausgebildeten Gelenke die impulsartigen Verbiegungen des Rumpfes bei den extremen Sprüngen im steilen Gelände. Wale dagegen benötigen derartige Gelenke überhaupt nicht, da bei ihnen ohnehin sämtliche Bewegungen durch das umgebende Wasser hinreichend abgebremst werden. Beim Menschen schränken die Gelenke vor allem im Bereich der Lendenwirbelsäule die Rotation um die Längsachse ein und beugen damit einem Überdrehen vor. Außerdem schützen sie die Bandscheibe vor zu großer Verschiebung.

Weiter konnte gezeigt werden, dass sich selbst im Mineralisierungsmuster des Knochens unmittelbar unter dem Knorpel der Wirbelgelenke die fein abgestimmte Anpassung an die auftretenden Schwerkräfte wiederfinden lässt.

Der Bandapparat der Wirbelsäule stellt keineswegs nur ein passives Gurtsystem dar, dessen Funktion sich darauf beschränkt, die Wirbelkörper durch Zug miteinander zu verbinden. Die meisten Anteile des Bandapparates sind so angebracht, dass sie bei Bewegungen allmählich immer mehr Widerstand entwickeln. Das garantiert, dass Belastungsspitzen vom Knochen abgewendet und Verletzungen vermieden werden. Dabei zeigen manche Bänder – so die Münchner Arbeitsgruppe um Putz – eine derart raffinierte Anordnung, dass sie diese Funktion sowohl beim Bücken nach vorne als auch beim Strecken nach hinten zu erfüllen vermögen. Stabilisierend unterstützt wird der Bandapparat zusätzlich durch die tiefen Rückenmuskeln.

Die Bandscheiben quellen bei der Ruhe in der Nacht auf und garantieren für die bewegungsintensivere Phase am Tag einen günstigen Ausgangszustand, weil dadurch unter anderem der Bänderapparat in eine Art Vorspannung versetzt wird. Zudem sind die Bandscheiben je nach Höhe der Wirbelsäule unterschiedlich gebaut. Auch dies belegt die optimale funktionelle Anpassung der Module der Wirbelsäule an ihre Beanspruchung.

Und wie schätzt Putz die allgegenwärtigen Rückenbeschwerden ein? Der Anatom vertritt die Ansicht, der evolutionäre Optimierungsprozess beschränke sich auf die Reproduktionsperiode. Demnach wären die Gewebe des Bewegungsapparates – Knochen, Knorpel, Bänder, Menisken – darauf ausgelegt, etwa dreißig bis vierzig Jahre lang die bestmögliche Leistung zu erbringen.

Aber selbst im Alter zeigt die Wirbelsäule noch erstaunlich angemessene Reaktionen auf die Erfordernisse eines Wirbelsäulenlebens zwischen Sicherung von Stabilität und Gewährung von Mobilität. Wenn allerdings der Alltag immer häufiger fast ausschließlich im Bürostuhl und Fernsehsessel stattfinde oder das Rückgrat infolge überzogener sportlicher Ambitionen übermäßig beansprucht würde, dann sei dem auch ein noch so „erstklassiges biomechanisches Fabrikat der Evolution“ nicht immer gewachsen.

Welche Schlüsse können aus dieser evolutionär dialektischen Darstellung von Sinn und Unsinn der Konstruktion unserer Wirbelsäule gezogen werden?

Mit dem Prinzip Evolution lässt sich erstens wirklich alles „erklären“. Die Wirbelsäule ist eine unausgereifte Konstruktion und gleichzeitig ein erstklassiges Meisterstück.

Zweitens ist das Naturphänomen Evolution in der Lage, für jeden Organismus eine den Umweltbedingungen und seinen funktionellen Erfordernissen entsprechende optimale Justierung und Ausformung der Module der Wirbelsäule zu liefern – rein zufällig und ohne Plan. Irgendetwas in der Evolution schafft es, den verschiedenen Erfordernissen durch einen optimalen Designkompromiss zu entsprechen.

Der Schöpfungslehre und dem „Intelligent Design" wird vorgeworfen, unwissenschaftlich zu sein, weil mit Zirkelschlüssen argumentiert werde und einem überirdischen Schöpfer Raum zum Eingreifen und Gestalten zugestanden wird. So war es in einer kürzlich ausgestrahlten Radiosendung des SWR2 („Der Versuch, Gott zu beweisen“ – Aus der Reihe: „Gottes Bilder – Warum wir glauben“ vom 27. 5. 2006) zu hören: „Das ist das Problem der Kreationisten. Sie können vorhandene Fakten nicht unvoreingenommen interpretieren. Die Ergebnisse ihrer Denkprozesse sind durch Texte der biblischen Genesis vorab festgelegt. Sie suchen einen haltbaren Argumentationsstrang hin zum ersten Buch Mose.“

Meines Erachtens ist es berechtigt, darauf folgendes zu antworten: „Das ist das Problem der Evolution. Sie kann vorhandene Fakten nicht unvoreingenommen interpretieren. Die Ergebnisse der von ihr bestimmten Denkprozesse sind vorab festgelegt. Sie sucht einen haltbaren Argumentationsstrang um sich stets selbst zu bestätigen, wie gegensätzlich die Wege dahin auch erscheinen mögen.“

Autor dieser News: Henrik Ullrich

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