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04.05.06  Wissenschaftliche Kontroverse über irreduzible Komplexität

In der aktuellen Diskussion um „Intelligent Design“ (ID) ist eine der Standardbehauptungen, dass es zu diesem Thema keine wissenschaftliche Diskussion gebe, weil es nichts zu diskutieren gebe. Nun ist ausgerechnet in der angesehenen Wissenschaftszeitschrift Science ein Artikel erschienen (Bridgham et al. 2006), der sich anhand naturwissenschaftlicher Befunde mit einem Hauptargument für ID auseinandersetzt, nämlich dem Konzept von „irreduzibler Komplexität“ (IC). Ein biologisches System ist irreduzibel komplex, wenn es notwendigerweise aus mehreren fein aufeinander abgestimmten, interagierenden Teilen besteht, die für eine bestimmte Funktion benötigt werden, so dass die Entfernung eines beliebigen Teils die Funktion restlos zerstört (Behe 1996; 2001). Ein solches System wird als IC-System bezeichnet. Darauf kann ein sog. IC-Argument wie folgt aufgebaut werden: Es ist nicht möglich, ein IC-System schrittweise durch ungerichtete graduelle Prozesse aufzubauen.

Die Arbeit von Bridgham et al. wurde als so bedeutsam eingestuft, dass in derselben Science-Ausgabe auch ein Kommentar dazu von Christoph Adami erschien. Nachdem dieser Kommentator die Ergebnisse von Bridgham et al. erläutert hatte, kam er paradoxerweise zum Schluss: „Consequently, whatever debate remains must be characterized as purely political.“ Sein eigener Kommentar widerlegt dies jedoch, denn er geht auf das IC-Konzept und das IC-Argument mit ausschließlich naturwissenschaftlichen Argumenten ein.

Zur Sache: Adami behauptet, die Arbeit von Bridgham et al. habe gezeigt, wie ein IC-System durch evolutive Prozesse entstehen kann, nämlich durch eine Genduplikation und wenige Punktmutationen. Das IC-Argument wäre damit widerlegt. Bevor im folgenden darauf eingegangen wird, sei darauf hingewiesen, dass damit bestätigt wird, dass ID-Argumente widerlegbar sind, und dass dies nichts mit „Politik“, sondern nur mit „Wissenschaft“ zu tun hat.

Was haben Bridgham et al. gezeigt? Es geht um die Bindung von Hormonen an Rezeptorproteine. Solche Rezeptoren triggern Signalkaskaden in der Zelle, die durch die Bindung der Hormone an Rezeptoren in Gang gesetzt werden. Dadurch werden spezifische physiologische Vorgänge ausgelöst. Die Ergebnisse der Experimente von Bridgham können in wenigen Sätzen beschrieben werden (nach Behe 2006): Die Autoren starteten ihre Experimente mit einem Rezeptorprotein, welches die Fähigkeit besaß, mit drei verschiedenen Steroidhormonen (Aldosteron, Cortisol and 11-Deoxycorticosteron [DOC]) stark zu interagieren. Durch Punktmutationen interagierte dieses Protein viel schwächer mit diesen drei Steroiden. Eine bereits vorhandene Fähigkeit wurde also abgeschwächt. Soweit der nackte experimentelle Befund. Er belegt offenkundig in keiner Weise die Entstehung von IC und es stellt sich angesichts dieses Befundes die Frage, weshalb die Autoren und der Kommentator die evolutive Entstehung eines IC-Systems gezeigt haben wollen. Dazu muss etwas ausgeholt werden.

Die Autoren rekonstruierten einen hypothetischen Vorläufer-Rezeptor (VR), von dem zwei heute vorkommende Rezeptor-Typen evolviert sein sollen, nämlich der Glucocorticoid-Rezeptor (GR) und der Mineralocorticoid-Rezeptor (MR). MR und GR üben verschiedene Signalfunktionen aus (Bridgham et al. 2006, 97). Die heutigen Rezeptoren sollen durch eine Genduplikation (ein hypothetisches Ereignis; das Vorkommen von Genduplikationen ist aber grundsätzlich experimentell belegt) und durch Punktmutationen aus dem VR entstanden sein. Der künstlich hergestellte hypothetische VR kann wie das heutige MR die strukturell ähnlichen Hormone Aldosteron, Cortisol and DOC (s.o.) stark binden (vgl. Abb. 276). Zur Zeit, als der VR (auf unbekannte Weise) entstand (nämlich nach evolutionstheoretischen Vorstellungen vor 450 Millionen Jahren), gab es aber noch kein Aldosteron (dies wird indirekt durch vergleichende Studien an heutigen Organismen erschlossen und soll hier zugunsten des evolutionstheoretischen Arguments nicht problematisiert werden). Damit muss die Aldosteron-Affinität des VR damals ein Nebenprodukt der Affinität zu den anderen Steroidhormonen gewesen sein.

Durch zwei Aminosäureaustausche gelangte man nun vom VR ausgehend zum GR, der Cortisol und DOC, nicht aber Aldosteron binden kann. Treten die beiden dazu erforderlichen Mutationen nacheinander auf, so führt dies entweder über eine Zwischenstation, in der der Rezeptor die drei Hormone gar nicht oder nur ganz schwach binden kann oder auf der er DOC und die anderen beiden Hormone nur schwach binden kann (in Abb. 276 rechts oben bzw. links unten). Die jeweils zweite Mutation führte dann zum heutigen GR, das die (in diesem Szenario erneute!) Fähigkeit besitzt, Cortisol (stärker) zu binden (während Aldosteron nach wie vor nicht mehr gebunden wird) (in Abb. 276 die Schritte nach rechts unten). Das andere Duplikat des VR wurde zum heutigen MR, das wie der VR alle drei Hormone binden kann.

Bridgham et al. heben hervor, dass die Aldosteron-Sensitivität des MR schon in seinem VR-Vorläufer vorhanden war, bevor es das Aldosteron überhaupt gab (s. o.). Der VR und seine Nachfolger waren also präadaptiert für eine Sensitivität für Aldosteron. Dieser (nur indirekt erschlossene!) Vorgang ist es, der von Bridgham et al. und Adami als Beleg für die Evolution einer IC-Struktur gewertet wird: „This evolutionary scenario – recruiting an ancient receptor into partnership with a novel ligand ...“ (Bridgham et al. 2006, 100).

Aus den vorstehenden Beschreibungen geht hervor (wie oben kurz dargestellt), dass die einzigen Vorgänge dieses Szenarios, die experimentell belegt sind, die Folgen der beiden beschriebenen Punktmutationen sind (wie in Abb. 276 dargestellt).

Gegen die Interpretation dieser Vorgänge als Belege für die evolutive Entstehung von IC gibt es schwerwiegende Einwände (die meisten Einwände im folgenden nach Behe 2006):

1. Selbst wenn der Erwerb der Affinität zu Aldosteron der VR (bzw. späteren MR) ein zufällig passendes Nebenprodukt war (wie oben beschrieben), handelt es sich doch ein ein strukturell ähnliches Molekül im Vergleich zu Cortisol und DOC.

2. Es handelt sich nach der Definition von Behe (s. o.) gar nicht um ein IC-System, da es nur aus einem einzigen Protein (Rezeptor) und seinem Liganden (dem Hormon) besteht. Das Rezeptor-Hormon-Paar ist dabei nur ein kleiner Teil einer Signalübertragskaskade, die andere komplexe physiologische Prozesse reguliert. Rezeptor-Liganden-Paare besitzen für sich alleine selektierbare Funktionen (vgl. dazu auch Nelson 2006). Es wird also nur ein für sich alleine funktionsloser Teil eines IC-Systems betrachtet.

3. Im Experiment wurden weder neue Komponenten hinzugefügt noch alte entfernt.

4. Es wurde die schon vorhandene Fähigkeit eines Proteins, bestimmte (ähnliche) Moleküle zu binden, lediglich geschwächt. Die Experimente starteten mit einem Protein,welches mehrere strukturell sehr ähnliche Steroide stark binden kann und hatten als Ergebnis ein Protein, das zwei der Steroide höchstens 10malschwächer binden konnte.

Stephen C. Meyer vom Discovery Institut (Seattle) kommentiert diese Ergebnisse wie folgt: Wenn diese Experimente das Beste sind, das Michael Behes Kritiker nach zehn Jahren Widerlegungsbemühungen vorweisen können, dann ist der Neodarwinismus in großen Schwierigkeiten. Ob Science die Größe haben wird, eine Stellungnahme von Michael Behe zu publizieren?

Quellen

Adami C (2006) Reducible Complexity. Science 312, 61-63.

Behe MJ (1996) Darwin’s Black Box: the Biochemical Challenge to Evolution. New York.

Behe MJ (2001) Reply to my critics: A response to reviews of Darwin’s Black Box: the Biochemical Challenge to Evolution. Biol. Philos. 16, 685-709.

Behe M (2006) The Lamest Attempt Yet to Answer the Challenge Irreducible Complexity Poses for Darwinian Evolution. www.idthefuture.com/2006/04/the_lamest_attempt_yet_to_answ.html

Bridgham JT, Carroll SM & Thornton JW (2006) Evolution of Hormone-Receptor Complexity by Molecular Exploitation. Science 312, 97-100.

Nelson P (2006) How to Explain Irreducible Complexity – A Lab Manual (Step One; to be continued). www.idthefuture.com/2006/04/how_to_explain_irreducible_com_1.html

Meyer SC (2006) Responds to Research on Irreducible Complexity. www.discovery.org/scripts/viewDB/index.php?command=view&id=3406

Autor dieser News: Reinhard Junker

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