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17.04.20  Proteom-basierter Stammbaum mit interessanten Resultaten

Stammbäume prägen evolutionäres Denken nachhaltig. Ein neues Modell zur Erstellung von Stammbäumen liefert eine Baumstruktur, bei der sich die Bereiche der Mikroorganismen, Pilze, Pflanzen und Tiere bereits sehr früh und in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum aufspalten.

Song-Hou Kim, ein in Berkeley, CA (USA) forschender Biophysiker, hatte 2009 eine Methode zum Vergleich von Sequenzdaten ganzer Genome (Nukleotidabfolgen des kompletten Erbguts) veröffentlicht, bei der auf die Ausrichtung der Sequenzen vor dem Vergleich (Alignment) verzichtet wird (Sim et al. 2009). Im Alignment werden Sequenzen entsprechend zugrundgelegter Modelle so angeordnet, dass sie maximale Ähnlichkeit aufweisen bzw. die Passung der Abfolgen bei verschiedenen Genomen maximal ist. In der von Sim et al. etablierten Methode wird dagegen die Häufigkeit bestimmter Muster in den Sequenzen zum Vergleich genutzt. Dies erlaubt auch Sequenzen ungleicher Länge miteinander zu vergleichen; diese müssen auch keine auffällige Ähnlichkeit aufweisen.
Die Arbeitsgruppe von Kim hat inzwischen die Leistungsfähigkeit dieser Methode an zellkernlosen Einzellern, also Prokaryonten (Jun et al. 2010) und an Pilzen (Choi et al. 2017) demonstriert. Jetzt haben Choi & Kim (2020) anhand des Proteoms von 4.023 Organismen einen Stammbaum des Lebens errechnet. Als Proteom wird die Gesamtheit aller im Genom codierter Proteine bezeichnet. Die Proteinsequenzen stammen aus entsprechenden Datenbanken (vor allem vom National Center for Biotechnology Information, NCBI).
Die Einführung der Autoren in ihrer Veröffentlichung ist erfreulich nüchtern, wenn sie schreiben: „Der Stammbaum des Lebens von Organismen ist ein konzeptioneller und bildhafter Baum, in dem eine einfache Erzählung des evolutionären Verlaufs und der Verwandtschaft unter den heutigen Lebewesen dargestellt wird. Ein solcher Baum kann nicht experimentell bestätigt werden, sondern wird aus Eigenschaften der Organismen rekonstruiert.“1 Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass ein Ähnlichkeitsbaum nicht mit einem Abstammungsbaum gleichzusetzen ist, sondern dass Letzterer eine Interpretation ist.
Der von Choi et al. (2020) präsentierte Stammbaum des Lebens auf der Basis des Proteoms unterscheidet sich in seiner Grundstruktur von den typischen Bäumen, die auf der Basis einzelner Gene errechnet werden (Abb. 407). Die Unterschiede betreffen sowohl die Gruppierungen als auch deren Verknüpfung. Die Knoten (Verzweigungspunkte) haben aufgrund der Besonderheit der neu entwickelten Methode eine andere Bedeutung als in den etablierten Stammbaumdarstellungen. Der Knoten repräsentiert nicht einen hypothetisch gemeinsamen Vorfahren aller im weiteren Astverlauf dargestellten Organismen, wie das in üblichen Stammbäumen interpretiert wird. Die Knoten in dem von Choi & Kim (2020) präsentierten Stammbaum sind nach den Worten der Autoren eine Gruppe von Gründungsvorläufern mit stark unterschiedlichem Proteom; als bildhaften Vergleich führen sie einen mit Mosaiksteinen gefüllten Beutel an.
In dem von Choi & Kim (2020) errechneten Stammbaum des Lebens wird der Abstand der Knoten, also der Verzweigungen der Baumäste durch die aufsummierten genomischen Informationsdifferenzen bestimmt. Der so errechnete Baum weist sehr tief im Baum, also nahe dem Wurzelbereich, fünf Hauptgruppen, die in der systematischen Biologie den Reichen entsprechen. Das heißt, der Stammbaum weist keinen nennenswerten Stamm auf. Zuerst spalten sich die Prokarya (die Autoren bezeichnen sie auch als Akarya) und Eukarya auf, die dann jeweils in Archaea und Bakteria bzw. Pilze, Pflanzen und Tiere aufspalten. Dies verleiht dem Baum eine Form, in der ein sehr kurzer Stamm sehr schnell buschförmig breit wird. Die Autoren bezeichnen das als „deep burst“, also eine Explosion, die in einem sehr frühen Stadium lokalisiert ist.    
Das Modell von Choi & Kim (2020) führt also zu dem Schluss, dass die spezifischen Eigenheiten der Proteome von Archaeen, Bakterien, Pilzen, Pflanzen und Tieren sehr früh und in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum auftauchen.

Quellen

Choi J & Kim S-H (2017) A genome Tree of Life for the Fungi kingdom. Proc. Natl. Acad. Sci. USA 114, 9391–9396.

Choi J & Kim S-H (2020) Whole-proteom tree of life suggest a deep burst of organism diversity. Proc. Nat. Acad. Sci USA, doi: 10.1073/pnas.1915766117

Jun S-R, Sims GE, Wu GA & Kim S-H (2010) Whole-proteome phylogeny of prokaryotes by feature frequency profiles: An alignment-free method with optimal feature resolution. Proc. Natl. Acad. Sci. USA 107, 133–138.

Sim GE, Jun S-R, Wu GA, Kim S-H (2009) Alignment-free genome comparison with feature frequency profiles (FFP) and optimal resolutions. Proc. Nat. Acad. Sci. USA 106, 2677-2682.

Anmerkung

1 An organism tree of life (organism ToL) is a conceptual and metaphorical tree to capture a simplified narrative of the evolutionary course and Kinship among the extant organisms. Such a tree cannot be experimentally validated but may be reconstructed based on characteristics associated with the organisms.

Autor dieser News: Harald Binder

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