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08.12.15  Alte Vögel mit moderner Flugkunst

Eines der ältesten Fossilien aus der nur in der Kreide überlieferten Gruppe der „Gegenvögel“ (Enantiornithes) weist eine Reihe von Merkmalen auf, die für eine sehr gute Flugfähigkeit sprechen – trotz deutlich verschiedener Anatomie im Vergleich mit heutigen Vögeln. Gemessen am Fossilbericht sind die Gegenvögel somit gute Flieger von Anfang an.

Die fossile Überlieferung der Vögel zeigt zwei Phasen eines plötzlichen Erscheinens vielfältiger Formen. Die eine liegt am Beginn des Tertiärs (wo die auch heute vorkommenden Vogelordnungen explosiv im Fossilbericht auftauchen), die andere in der Unterkreide, in deren geologischen Schichten ebenfalls ziemlich abrupt eine große Vielfalt von Vögeln mit anderer Anatomie als den heutigen überliefert ist. Der berühmte „Urvogel“  Archaeopteryx aus dem Oberjura datiert noch ca. 20 Millionen radiometrische Jahre älter; es ist aber nach wie vor umstritten, ob er aktiv fliegen konnte oder eher ein Gleiter war (Archaeopteryx – Gleitflieger und Bindeglied?). Andere eindeutig befiederte Formen aus dem Oberjura (z. B. Anchiornis) gelten als flugunfähig (Vierflügelige Vögel am Anfang?).

Die Kreidevögel unterscheiden sich anatomisch mehr oder weniger deutlich von den tertiären Vögeln und zeigen manche Gemeinsamkeiten mit zeitgleich lebenden Theropoden-Dinosauriern (zweibeinige Raubdinosaurier), die als ihre stammesgeschichtlichen Vorfahren gelten. Sie werden in zwei Gruppen unterteilt, die Enantiornithes („Gegenvögel“1; sind am Ende der Kreide ausgestorben) und die Ornithurae („Vogel-Schwänze“2), zu denen u. a. auch die heutigen Vögel gehören.

Eine Forschergruppe hat nun herausgefunden, dass die Enantiornithes trotz deutlich verschiedener Anatomie im Vergleich zu heutigen Vögeln überraschenderweise vergleichbare Fähigkeiten zu einem versierten Flug besaßen. Nachgewiesen wurde dies anhand eines sehr gut erhaltenen vorderen Teils einer Vorderextremität aus einem Kalkstein von Las Hoyas, Spanien (datiert auf 125 Millionen radiometrische Jahre), die aufgrund ihres Baus von einem enantiornithinen Vogel stammt (Navalón et al. 2015). Erhalten sind auch Hand- und Armschwingen. Das Besondere an dem Fund: Es sind Details von Muskeln, Bändern und Follikeln (in der Haut befindliche Basis der Federn) aus den Bereichen zwischen den Flügelteilen und Fingern (Propatagium, Postpatagium und Patagium der Alula3) in Form von Abdrücken erhalten. Der Fund aus Las Hoyas lässt auch Verbindungen von Bindegewebsstrukturen mit den Ansätzen der Flugfedern erkennen; das gesamte komplizierte Netzwerk weist große Ähnlichkeiten mit den anatomischen Verhältnissen heutiger Vögel auf. Ein solch komplexes System aus Sehnen, Bändern, Bindegewebe und Muskeln ermöglicht eine ausgefeilte Manövrierbarkeit während des Fluges. Aus ihren Beobachtungen schließen die Autoren, dass die „Gegenvögel“ der Kreidezeit ebenso gut wie viele moderne Vögel „über den Köpfen der Dinosaurier“ fliegen konnten, wie der Leiter der Forschergruppe, L. M. Chiappe, es formuliert.4 „The anatomical match between the muscle network preserved in the fossil and those that characterize the wings of living birds strongly indicates that some of the earliest birds were capable of aerodynamic prowess like many present-day birds“ (Chiappe5). Bislang war man davon ausgegangen, dass die Gegenvögel der Unterkreide eher schlechte Flieger waren; das kann in dieser Pauschalität mit diesem Fund als widerlegt gelten. Die Gegenvögel starten gleichsam als gut ausgebildete Flieger; eine Evolution der Flugfähigkeit ist innerhalb dieser Gruppe somit nicht dokumentiert. Das Beispiel zeigt auch, dass es zu Fehlschlüssen kommen kann, wenn man die Funktionalität nur anhand von Knochenüberresten erschließen möchte (bzw. kann).

Navalón et al. (2015) stellen allgemein über die Gegenvögel am Schluss ihres Artikels fest, dass obwohl die Enantiornithinen eine Anzahl von primitiven Skelettelementen aufwiesen, bereits die frühesten unter ihnen (Protopteryx fengningensis) Vorderextremitäten mit modernen Proportionen besaßen, außerdem ein gekieltes Brustbein, einen „fortschrittlichen“ Schultergürtel mit einem Kanal für die Passage der Flugmuskeln (triosseal canal), was alles auf die Fähigkeit zu aktivem Flug und Flügelschlag ähnlich dem heutiger Vögel hinweise. Auch Ähnlichkeiten der Körperbedeckung mit heutigen Vögeln mit identischer Federanordnung würden in diese Richtung weisen.

Es sei noch angemerkt, dass auch unter den Ornithurae eine der ältesten Formen als guter Flieger angesehen wird (vgl. Der älteste „echte“ Vogel: überraschend modern).

Literatur

Navalón G, Marugán-Lobón J, Chiappe LM, Sanz JL & Buscalioni A (2015) Soft-tissue and dermal arrangement in the wing of an Early Cretaceous bird: Implications for the evolution of avian flight. Sci. Rep. 5:14864.

Anmerkungen

1 Es gibt in der Fachliteratur keine einheitliche Begründung für die Bezeichnung „Gegenvögel“. Es wird auf zwei anatomische Besonderheiten hingewiesen, die die Enantiornithes von anderen Vögeln unterscheiden: Zum einen die Art der Verwachsung einiger Fußknochen, zum anderen der Bau des Gelenks zwischen Schulterblattund Rabenbein. Bei den Gegenvögeln sind Gelenkkopf und Gelenkpfanne im Vergleich zu allen anderen Vögeln sozusagen vertauscht. Es ist schwer denkbar, wie die eine anatomische Ausprägung in die andere evolutiv überführt werden könnte.

2 Es gibt keine eingebürgerte deutsche Bezeichnung, der Name bezieht sich auf den kurzen knöchernen Schwanz, wie er auch für die heutigen Vögel typisch ist.

3 Daumenfittich, wichtig z. B. für Manöver beim Landen.

4 http://www.sciencenutshell.com/the-bird-who-flew-above-dinosaurs-heads/

5 http://www.eurekalert.org/pub_releases/2015-10/nhmo-taf100615.php

Autor dieser News: Reinhard Junker

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