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10.06.15  Hühnchen mit Dinosaurier-Schnauze?

Durch eine Manipulation von Hühnerembryonen ist es Wissenschaftlern gelungen, die Schnäbel in ihrer Entwicklung im Hühnerei so zu verändern, dass sie in mancher Hinsicht Schnauzen von manchen Dinosauriern ähneln. Für eine mutmaßliche evolutive Abstammung der Vögel von Dinosauriern gibt dieses Experiment aber keine nennenswerten Anhaltspunkte.

„Kiefer statt Schnäbel: Forscher erschaffen ‚Dino-Hühner‘ im Labor“; „Rückbau der Vögel zu Dinos“; „Forscher züchten Hühner-Embryos mit Dino-Schnauzen“ – das eine kleine Auswahl von Überschriften der Tages- und Wissenschaftspresse1, mit denen kürzlich auf ein interessantes Experiment aufmerksam gemacht wurde. Was haben die Wissenschaftler herausgefunden?

Mit den enormen Fortschritten in der Erforschung des Erbguts verschiedenster Arten von Lebewesen sind Wissenschaftler heute in der Lage, zunehmend die genetischen Grundlagen von Organen und ihrer korrekten Ausformung herauszufinden. Es muss aber beachtet werden, dass es bei den dabei genutzten Genen nur um einen notwendigen Teilaspekt, aber nicht um hinreichende Erklärung der Formbildung in der Embryonalentwicklung handelt: Wann werden welche Gene aktiviert? Das Genom (=das gesamte Erbgut einer Art) ist nicht der Bauplan, wie man heute weiß. Dennoch verhilft die Erforschung genetischer Zusammenhänge zunehmend zu einem besseren Verständnis der Entwicklungszusammenhänge während der Ontogenese (=Entwicklung bis zum ausgewachsenen Organismus). Das gilt auch für die Erforschung der bei der Schnabelbildung bei Vögeln beteiligten Gene. Hier konnten Wissenschaftler um Bhart-Anjan Bhullar von der Yale University zeigen, dass in der zukünftigen Gesichtsregion von Vögeln zwei Proteine, Fgf8 (Fibroblast growth factor 8) und Lef1 (das zum Wnt-Signalweg gehört) sowie die nachgeschalteten Kaskaden eine wichtige Rolle bei der Ausbildung des Schnabels spielen. Diese beiden Proteine werden im Vergleich zu Reptilien in einer sehr viel größeren Region im Kopfbereich produziert. Das hat zur Folge, dass zwei Knochen, die bei anderen Wirbeltieren paarig ausgebildet sind, nämlich die Praemaxillarknochen, miteinander zu einem einzigen Knochen verwachsen, die den Schnabel bilden. Dieser Befund motivierte die Idee, dass eine Änderung in der Produktion dieser Proteine zur Bildung des Vogelschnabels beigetragen haben könnte.

Bhart-Anjan Bhullar und Mitarbeiter führten nun folgendes Experiment an Hühnerembryonen durch (Bhullar et al. 2015): Sie unterdrückten die Expression (=Ablesung, „Übersetzung“) der die beiden Proteine codierenden Gene in der Mitte des sich entwickelnden Gesichts mithilfe von Chemikalien, womit sie gleichsam einen mutmaßlichen Evolutionsschritt zurückgingen. Diese Prozedur führte tatsächlich dazu, dass der Bereich des Gesichtes seine Form änderte, so dass anstelle des typischen Vogelschnabels ein Gebilde entstand, das teilweise eher der Schnauze eines Alligators oder eines Dinosauriers mit langer Schnauze ähnelte. Die Praemaxillarknochen wuchsen nicht zusammen und auch die Form des Gaumens änderte sich in einer Weise, die den Gaumenknochen von Dinosauriern ähnelte (vgl. Pennisi 20152). Dazu verglichen die Forscher die Ausformung der betreffenden Knochen der manipulierten Hühnerembryonen mit den entsprechenden Knochen verschiedener Reptilienarten.

Ist damit ein Schritt zurück in der Evolution gelungen? Die Details des Experiments sprechen dagegen. So weist der Entwicklungsbiologe Ralph S. Marcucio darauf hin, dass die eingesetzte Gen-unterdrückende Substanz schädliche Nebenwirkungen hat und meint, sie führe lediglich zum Absterben von Gewebe.3 Außerdem gehe die Produktion von Fgf8 im Bereich des Gesichts schon zurück, bevor überhaupt die Praemaxillarknochen gebildet werden, womit die Bedeutung von Fgf8 für die Schnabelbildung in Frage gestellt sei. Die genetischen Grundlagen der Schnabelbildung seien viel komplizierter.

Ein Vergleich des manipulierten Hühnchenschädels mit dem Schädel eines Alligators (siehe Abbildung bei Pennisi 2015, online z. B. hier: www.nature.com/news/dino-chickens-reveal-how-the-beak-was-born-1.17507) unterstreicht den Eindruck, dass durch die Manipulation der Forscher dem Vogelschädel notwendiges Material vorenthalten wird: Insgesamt sieht er nach wie vor deutlich vogelähnlicher als reptilähnlich aus und ist viel komplexer als der Reptilschädel. Der Vergleich des normalen Vogelschnabels mit dem manipulierten erweckt gleichsam den Eindruck, als versuche der Organismus, mit dem unzureichenden Material zum bestmöglichen Ergebnis zu gelangen. Im Bild gesprochen: Die Grundstruktur der „Baustelle“ Vogelschnabel ist dieselbe und deutlich verschieden von der Baustelle „Reptilschnauze“, doch es fehlt teilweise am nötigen Baumaterial. In diesem Sinne äußert sich auch Bhullar: „The altered chicks still had a flap of skin over their would-be beaks, so the difference is not obvious, … Looking at these animals externally, you would still think it’s a beak. But if you saw the skeleton, you’d just be very confused,… I would not say we gave birds snouts“ (Callaway 2015; Hervorhebung nicht im Original). Außerdem ist das Versuchsergebnis nicht einheitlich: manche manipulierten Embryonen haben deutlich geteilte und verkürzte Praemaxillarknochen, bei anderen sind sie teilweise verwachsen, wieder andere zeigen gar keine besonderen Unterschiede zur normalen Situation (Callaway 2015).

Anders ist die Situation beim veränderten Gaumenknochen, der in den manipulierten Embryonen stärker mit Nachbarknochen verwachsen ist als in den normalen Individuen. In diesem Fall könnte eher von einem Rückschlag in die hypothetische evolutionäre Vergangenheit gesprochen werden. Hier ist eine vogeltypische Differenzierung gestört, die sonst einen Beitrag zur Beweglichkeit des Schnabels leisten würde (vgl. Pennisi 2015).

Die Situation ist ähnlich wie bei Atavismen (Als Atavismen bezeichnet man Rückschläge in mutmaßliche frühere stammesgeschichtliche Stadien): Es gibt eine enorme Anzahl verschiedener Missbildungen, doch nur ganz wenigen davon könnte evolutionsbiologische Aussagekraft zugestanden werden, nämlich denjenigen, die mehr oder weniger zufällig auch einmal an Strukturen der angenommenen Vorfahren erinnern; in diesem Beispiel ausgelöst durch eine experimentelle Manipulation. Pro Evolution kann hier somit nur sehr selektiv argumentiert werden.

Spektrum der Wissenschaft bemerkt, dass „noch offen sei“, „welche genetischen Mechanismen einstmals die veränderte Genaktivität bewirkten“.4 Aus evolutionsbiologischer Sicht ist das die entscheidende Frage. Aber nicht nur das ist kritisch anzumerken. Es sei an die von Marcucio geäußerten Einwänden erinnert (s. o.). Es ist klar, dass mit den beiden Genen fgf8 und lef1 nur einige Elemente der gesamten genetischen Grundlagen erfasst sein können, die zur korrekten Ausformung des Vogelschnabels notwendig sind. Das Ausschalten oder die Manipulationen einzelner Gene bringen Erkenntnisse über deren Rolle im komplexen Ganzen. Aber es wäre angesichts der Komplexität der Formbildungsprozesse unsachgemäß, allein daran wesentliche evolutionäre Schritte zur Umbildung von Reptilienschnauen zu Vögeln festmachen zu wollen.

Angesichts der Details der Forschungsergebnisse und der genannten kritischen Anmerkungen, die die Bearbeiter zum Teil selber äußern, ist auch klar: Die eingangs zitierten reißerischen Überschriften sind nicht seriös und geben auch nicht wieder, was die Wissenschaftler selber behaupten. Sie sind eher geeignet, an Forschung interessierte Zeitgenossen irrezuführen, womit der Wissenschaft letztlich ein Bärendienst erwiesen wird.

Literatur

Bhullar BA, Morris ZS et al. (2015) A molecular mechanism for the origin of a key evolutionary innovation, the bird beak and palate, revealed by an integrative approach to major transitions in vertebrate history. Evolution, doi: 10.1111/evo.12684

Callaway E (2015) 'Dino-chickens' reveal how the beak was born Chicken embryos have been altered so that the birds grow dinosaur-like snouts. Nature News, doi:10.1038/nature.2015.17507

Pennisi E (2015) How birds got their beaks. Science 348, 744.

Anmerkungen

1 http://derstandard.at/2000015769961/Kiefer-statt-Schnaebel-Forscher-erschaffen-Dino-Huehner-im-Labor; diepresse.com/home/science/4730284/Ruckbau-der-Vogel-zu-Dinos; http://www.nachrichten.de/panorama/Zurueckdrehen-der-Evolution-Forscher-zuechten-Huehner-Embryos-mit-Dino-Schnauzen-aid_5821237407263981857.html (Zugriff jeweils 5. 6. 15)

2 „In many vertebrates, this bone is flat and fused to surrounding bones. But in birds, it’s reduced and disconnected, which frees the top part of the bill to move upward, expanding birds’ gape. In the treated chick embryos, the palate looked more like it does in other vertebrates: flat and seemingly reconnected to the jaw bones.“

3 http://www.nytimes.com/2015/05/12/science/reverse-engineering-birds-beaks-into-dinosaur-bones.html (Zugriff 5. 6. 15)

4 http://www.spektrum.de/alias/bilder-der-woche/ein-huehnchen-mit-dino-schnabel/1346081

Autor dieser News: Reinhard Junker

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