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28.01.14  Geheimnisvolle DNA – überlagernde Codes im Genom

Die Hinweise mehren sich, dass in der DNA, in der das Genom (=gesamtes Erbgut eines Individuums) niedergelegt ist, dem „universellen“ genetischen Code für die Biosynthese von Proteinen  verschiedene weitere Codes überlagert sind. Jüngst wurden experimentelle Befunde veröffentlicht, die zeigen, dass die Bindung von bestimmten Proteinen (sog. Transkriptionsfaktoren) an die DNA einen Einfluss darauf hat, welche Nukleotide in den Codons (=Abfolge von drei Nukleobasen (= Triplett), die eine Aminosäure codiert) verwendet werden.1 Ein und dieselbe DNA-Sequenz wird in diesen Fällen also auf mindestens zwei ganz verschiedene Weisen genutzt.

Nachdem Watson & Crick (1953) die Struktur der Doppelhelix für die DNA veröffentlicht hatten, wurde in den folgenden Jahren viel Forschung in die Entschlüsselung des genetischen Codes investiert. Das Schlüsselexperiment gelang Heinrich Matthaei im Labor von Marshall Nirenberg am 27. Mai 1961. Die vollständige Zuordnung der 64 Nukleotidtripletts zu den 20 Aminosäuren, die für Proteine als Baustein verwendet werden, gelang bis 1966 vor allem auch durch die Beiträge aus der Arbeitsgruppe von Khorana. Die vor allem in den letzten Jahren mit der Erforschung des menschlichen Genoms gesammelte Erfahrung, dass nur ein vergleichsweise kleiner Teil des Genoms für Proteine codiert, verstärkte die Fragen nach weiteren Funktionen des Genoms.

Inzwischen ist klar, dass manche Proteine spezifisch an DNA binden und dadurch die Verfügbarkeit der dort codierten Information regulieren. Auch die Wechselwirkung von DNA-Sequenzen mit verschiedenen RNA-Molekülen beeinflusst die Aktivität von Genen. Weateritt & Babu (2013) sind der Meinung, dass die Bindungen von Proteinen und RNA an bestimmte genomische DNA-Sequenzen als unabhängige zusätzliche Codes betrachtet werden können. Beispielsweise untersuchten Sterachis et al. (2013) die Bindung eines bestimmten Typs von Proteinen, sogenannten Transkriptionsfaktoren, an die DNA des menschlichen Genoms in 81 verschiedenen Zelltypen.  Sie konnten zeigen, dass etwa  15 % der Codons eines Gens (also den Basentripletts, die sonst für eine Aminosäure codieren) in rund 87 % der menschlichen Gene auch in die Bindung mit Transkriptionsfaktoren einbezogen werden. Die Autoren bezeichnen diese Genbereiche als „Duone“ und bringen damit zum Ausdruck, dass sie Information auf zwei Weisen codieren: einmal „klassisch“ für Proteine und zusätzlich durch die Bindung der Transkriptionsfaktoren für Regulation der Gene.

Die Wechselwirkung eines Proteins mit einer DNA-Sequenz, die gleichzeitig ein Protein codiert, stellt besondere Anforderungen an die genutzten Codons und die dadurch festgelegten Aminosäuren. Sterachis et al. untersuchten die Auswirkung des Austausches einzelner Nukleotide in Duonen auf die Fähigkeit, Transkriptionsfaktoren zu binden. Zunächst stellten sie dazu die bekannten genetischen Varianten zusammen, die mit Krankheiten oder mit einer veränderten Funktion der Duonen in Zusammenhang gebracht werden. Mehr als 17 % der Duonen, in denen einzelne Nukleotide ausgetauscht waren, zeigten eine veränderte Bindung der Transkriptionsfaktoren. Der Austausch von synonymen Codons, die also für dieselbe Aminosäure in den Proteinen codieren, führt zwar zum selben funktionsfähigen Protein, jedoch zu einer Veränderung der Bindung der Transkriptionsfaktoren. Dieser Befund deutet darauf hin, dass einige Änderungen in Duonen hauptsächlich ihre Transkriptionsfaktor-Bindung beeinflussen. Änderungen in der DNA-Sequenz können somit offensichtlich auch dann Krankheiten verursachen, wenn sie gar nicht zu Modifikationen in Proteinen führen. Der Austausch einzelner Nukleotide (single nucleotide polymorphism; snp) im Genom kann also auf vielfältige Weise einen Organismus beeinflussen; das gesamte Spektrum von regulatorischen Codes muss somit in Betracht gezogen werden.

Die Erkenntnis, dass im Genom verschiedene Codes enthalten sind und genutzt werden, eröffnet Einblicke in eine „Vieldimensionalität“ des Genoms. Diese erst ansatzweise verstandene Komplexität des Erbguts kann zum Staunen führen und eröffnet völlig neue Fragestellungen. Bisherige Vorstellungen zur Entstehung der im Genom abgespeicherten Information müssen neu überdacht werden, da die DNA-Sequenzen mit einer bisher ungeahnten Vielfalt an Codes abgelesen werden (s. z. B. auch Fellner et al. 2014).

Literatur

Fellner L, Bechtel N, Witting MA, Sion S, Schmitt-Kopplin P, Keim D, Scherer S & Neuhaus K (2014) Phenotype of htgA (mbiA), a recently evolved orphan gene Escherichia coli and Shigella, completely overlapping in antisense to yaaW. FEMS Microbiol. Lett. 350, 57-64.

Stergachis AB, Haugen E, Shafer A, Fu W, Vernot B, Reynold A, Raubitschek A, Ziegler S, LeProusr EM, Akey JM & Stamatoyannopoulos JA (2013) Exonic transcription factor binding directs codon choice and affects protein evolution. Science 342, 1367-1372.

Weatheritt RJ & Babu MM (2013) The hidden codes that shape protein evolution. Science 342, 1325-1326.

Watson JD & Crick FHC (1953) Molecular structure of nucleic acids. Nature 171, 737-738.

Anmerkung

1 Aufgrund der Degeneration des genetischen Codes werden dieselben Aminosäuren durch verschiedene Codons codiert. Die Bindung von Transkriptionsfaktoren an die DNA hat aber einen Einfluss auf die Wahl der verwendeten Codons für eine bestimmte Aminosäure.

Autor dieser News: Harald Binder

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