News auf genesisnet

 

02.11.12  Rätselhafter Ursprung des Linsenauges der Wirbeltiere

Vergleichende genetische Studien am sehr einfach gebauten Frontalauge des Lanzettfischchens erweisen eine Reihe von Gemeinsamkeiten mit Linsenaugen der Wirbeltiere. Die Augentypen sind aber morphologisch (=den Aufbau betreffend) weit voneinander entfernt. Das Linsenauge der Wirbeltiere erscheint im Fossilbericht in fertiger Form.

Die evolutionäre Entstehung des Auges gilt in populären Darstellungen häufig als im Wesentlichen geklärt. Meist wird auf eine Reihe verschiedener Augentypen verwiesen (Flachauge – Grubenauge – Lochkameraauge – verschiedene Typen von Linsenaugen), um die schrittweise Entstehung beispielsweise unseres Linsenauges als plausibel erscheinen zu lassen. Wie schon an anderer Stelle dargestellt, sind diese Reihen aus mindestens zwei Gründen bei weitem nicht beweiskräftig für Evolution: 1. Die Unterschiede zwischen den einzelnen (mutmaßlichen) Stufen sind teilweise so enorm, dass die Übergänge völlig neue Konzepte erfordern würden. 2. Diese Serien sind nur modellhaft und nicht gleichbedeutend mit phylogenetischen Abfolgen (vgl. Ullrich et al. 2006, http://www.wort-und-wissen.de/sij/sij131/sij131-1.html).

Im Fossilbericht tauchen zudem die Komplexaugentypen bereits sehr früh auf (vgl. „Moderne Optik“ im frühen Kambrium), aber auch die Linsenaugen sind – gemessen am Fossilbericht – von Anfang an fertig. Daher beginnen die Autoren einer aktuellen Studie ihren Artikel über das „Frontalauge“ (Pigmentbecherauge) des Lanzettfischchens (Amphioxus) mit der Feststellung, dass der Ursprung der Wirbeltieraugen immer noch rätselhaft sei (Vopalensky et al. 2012). Das klingt überraschend, wenn man sich die eingangs genannten Behauptungen vor Augen hält. Weiter stellen die Autoren fest, dass ein Teil des Problems im Mangel heutiger Tierstämme mit brauchbaren Abstufungen liege, die ein Szenario zur Entstehung des Wirbeltierauges ermöglichen könnten. So sei beispielsweise das Auge ausgewachsener Neunaugen (Petromyzontidae, die als ursprüngliche Vertreter der Wirbeltiere gelten) den Augen von kiefertragenden Wirbeltieren im Gesamtaufbau, den Zelltypen der Netzhaut und in vielen Klassen der Opsine (Proteinanteil eines Sehpigments) bemerkenswert ähnlich. Eine Serie von Augentypen zunehmender Komplexität zum Linsenauge der Wirbeltiere hin ist also bloße Hypothese.

Eine Hypothese zur Entstehung der Linsenaugen der Wirbeltiere besagt, dass das Pigmentbecherauge am vorderen Ende von Amphioxus ein Vorläufer dafür gewesen sein könnte. Allerdings ist es vergleichsweise sehr einfach gebaut und besteht aus einfachen bewimperten Zellen, unähnlich den Zapfen und Stäbchen der Wirbeltieraugen, die ausgefeiltere Cilien über der Oberfläche besitzen. Der einzige Hinweis darauf, dass die Becheraugen lichtempfindlich sind, bestand bisher darin, dass die bewimperten mutmaßlichen Sinneszellen in unmittelbarer Nähe zu dunklen Pigmentzellen angeordnet sind (Vopalensky et al. 2012).

In ihrer Studie verglichen Vopalensky et al. (2012) das Pigmentbecherauge von Amphioxus in Bezug auf Gemeinsamkeiten mit Linsenaugen von Wirbeltieren in molekularer Hinsicht und fanden viele Gemeinsamkeiten bei Transkriptionsfaktoren (=Proteine, die bei der Regulation wichtig sind), Opsinen (s. o.) und Proteinen der Phototransduktionskaskade (Umwandlung eines äußeren Lichtreizes in ein physiologisches Signal). Außerdem fanden sie molekulare Gemeinsamkeiten zwischen den Pigmentzellen von Amphioxus und dem retinalen Pigment-Epithel1 der Wirbeltieraugen (Melaningehalt, Regulationsgene). Und schließlich ähneln  Nervenfortsätze des Frontalauges Strukturen im Vorderhirn der Wirbeltiere.

Damit können die Autoren eine (vor allem molekular begründete) Homologie zwischen dem Frontalauge von Amphioxus und dem Wirbeltier-Linsenauge begründen. Ein stammesgeschichtlicher Zusammenhang kann daraus jedoch nicht abgeleitet werden; die verglichenen Strukturen sind, trotz der erstaunlichen Ähnlichkeiten auf biochemischer bzw. molekularbiologischen Ebene, morphologisch weit voneinander entfernt. Zur Klärung der Frage nach den Mechanismen der stufenweisen Entstehung und Abwandlung des Wirbeltierauges sind  bloße Vergleiche überfordert (das war allerdings auch nicht das Ziel der Untersuchungen). Die Studie von Vopalensky et al. steuert jedoch ein weiteres interessantes Beispiel dafür bei, dass der ontogenetischen Entwicklung morphologisch verschiedener Organe unterschiedlicher Tierstämme oder -klassen auf der Basis ähnlicher molekularer Grundlagen erfolgt – ein Befund, der bei vielen anderen Organsystemen verschiedener Tierstämme bekannt ist.
Aus den Befunden kann geschlossen werden, dass bereits im hypothetischen Ausgangsindividuum die molekularen Grundlagen des Sehens in Form funktionierender hochkomplexer biochemischer Kaskaden existiert haben müssen. Wie diese entstanden sind, liegt ebenso weiterhin im Dunkeln wie der Ursprung der Sehorgane, die sich ihrer zur Lichtwahrnehmung bedienen.

Anmerkung

1 Zum retinalen Pigment-Epithel vgl. die Ausführungen in Ullrich et al. (2006) (http://www.wort-und-wissen.de/sij/sij131/sij131-1.html)

Literatur

Vopalensky P, Pergner J, Liegertova M, Benito-Gutierrez E, Arendt D & Kozmik Z (2012) Molecular analysis of the amphioxus frontal eye unravels the evolutionary origin of the retina and pigment cells of the vertebrate eye. Proc. Natl. Acad. Sci. USA, early ed., doi: 10.1073/pnas.1207580109.

Ullrich H, Winkler N & Junker R (2006) Zankapfel Auge. Stud. Int. J. 13, 3-14, http://www.wort-und-wissen.de/sij/sij131/sij131-1.html

Autor dieser News: Reinhard Junker

Informationen über den Autor

E-Mail an den Autor


Druckerfreundliche Version dieser Seite anzeigen   

 
© 2012, http://www.genesisnet.info/schoepfung_evolution/n188.php


Über unseren Newsletter-Service werden Ihnen neue Nachrichten auch automatisch per E-Mail zugesandt.

 
News-Übersicht