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08.12.10  Noch besser als schon bekannt: das Linsenauge

Eines der beliebtesten Beispiele von vermeintlichen Konstruktionsfehlern der Lebewesen ist das Linsenauge der Wirbeltiere. Trotz atemberaubender Fortschritte im Verständnis des Aufbaus der Funktionsweise der Retina (Netzhaut) hält sich die Meinung der Fehlerhaftigkeit hartnäckig – mittlerweile gegen besseres Wissen! Hintergrund ist die inverse Lage der Netzhaut, die dazu führt, dass das Licht vor dem Auftreffen auf die lichtempfindliche Seite der Netzhaut einige Nervenfasern durchqueren muss, die von den Netzhautzellen in Richtung Glaskörper abgehen. Die abgehenden Nervenendigungen werden am blinden Fleck zum Sehnerv gebündelt, was dazu führt, dass ein kleiner Teil des Augenhintergrunds kein Licht aufnehmen kann (und daher ein „blinder Fleck“ ist). Hätte man das nicht besser konstruieren können? So wird oft gefragt und es werden entsprechende Behauptungen aufgestellt.

Es ist aber schon sehr lange bekannt, dass es gute funktionelle Gründe für die inverse Lage der Retina gibt, vor allem kann die Netzhaut dadurch sehr effektiv versorgt und Stoffwechselabfälle können entsorgt werden (vgl. Ullrich et al. 2006). Seit einigen Jahren ist aber auch bekannt, warum die der Netzhaut vorgelagerten Schichten keine Beeinträchtigung des optischen Apparats bewirken. Im Jahr 2007 war es einem Leipziger Forscherteam um K. Franze gelungen zu zeigen, dass sogenannte Müller-Zellen über Zellfortsätze verfügen, die senkrecht die Netzhaut von der Oberfläche bis zu den Sinneszellen durchlaufen und als Lichtleitkabel verlustfrei das ankommende Licht zu den Stäbchen und Zapfen führen (Franze et al. 2007; vgl. Ullrich 2008). Das Rätsel der scheinbar falsch herum liegenden Netzhaut (inverse Retina) und ihrer unerwarteten perfekten Funktionalität erhielt eine unerwartete Antwort, die weltweit Begeisterung hervorrief.

Diese Befunde wurden Anfang dieses Jahres durch Studien von A. M. Labin und E. N. Ribak, Physiker vom Israel Institute of Technology in Haifa unterstützt. Die Forscher berichteten von experimentellen Untersuchungen mit Müller-Zellen aus der Netzhaut des Menschen. Und zwar untersuchten die Forscher, wie das Licht in den Nervenfortsätzen der Müller-Zellen weitergeleitet wird. Geschieht dies unspezifisch, verlustbehaftet oder trägt der Aufbau der dünnen Kanälchen bzw. Zellfortsätze zur Optimierung der Sehfähigkeit des Auges bei? Ihr Resümee ist im wahrsten Sinne des Wortes erhellend: „Die grundlegenden Eigenschaften in der Anordnung der Glia-Zellen müssen als eine optimale Struktur betrachtet werden, die designt wurde, um die Schärfe der Bilder in der menschlichen Retina zu garantieren. Diese Tatsache besitzt eine Schlüsselrolle für die Qualität des Sehens bei Menschen und anderen Arten“ (Labin & Ribak 2010, 1).

Die Messergebnisse von Labin und Ribak dokumentieren also: Durchmesser, Länge oder die Verjüngung der Lichtleiter sind so gestaltet, dass auf der Netzhaut ankommende Lichtstrahlen optimal gesammelt (durch becherförmige Erweiterung des oberen Kabelschachtes), gefiltert (z. B. durch Ausblenden von Streulicht und von Wellenlängen außerhalb des sichtbaren Spektrums) und refokussiert (Ausgleich der Streuung des Lichtes durch Aberration der Linse) zu den Stäbchen und Zapfen gelangen. Im Ergebnis tragen alle diese Konstruktionsdetails dazu bei, die Bildinformationen verlustfrei, die resultierenden Bilder klarer und die Farben schärfer zu präsentieren. Damit liefern Labin und Ribak eine wunderbare Bestätigung und feine Ergänzung der Entdeckungen von Franzes Team. In einem kürzlich auf der Seite der International Society for Optics and Photonics („SPIE“, http://spie.org/x42206.xml?ArticleID=x42206) veröffentlichten Beitrags schreiben die beiden Autoren: „Die Retina hat ihre inverse Form ausgebildet, um die Bündelung aufgefangener Lichtstrahlen und die Sehschärfe zu verbessern, die Empfindlichkeit gegen Streulicht und Störungen herabzusetzen, um mehr Licht auf die Zapfen zu konzentrieren und um die chromatische Aberration auszuschalten.“ (Chromatische Aberration ist die unterschiedliche Brechung von verschiedenfarbigem Licht.)

Dennoch lebt das Argument von der Fehlerhaftigkeit des Linsenauges munter weiter. Um es zu „retten“ wird einfach behauptet, diese genialen Fähigkeiten seien als Ausgleich der vorhandenen Mängel entstanden (so z. B. McAlpine 2010). Zunächst seien in der Evolution fehlerbehaftete Lösungen entstanden, die anschließend erstaunlich kreativ und perfekt ausgeglichen worden seien. Es gibt angesichts des heutigen Wissens eine sehr viel einfachere und überzeugendere Erklärung, sie hat nur den „Nachteil“, dass sie die Möglichkeit einer Schöpfung ernsthaft in Betracht zieht.

Quellen

Franze K et al. (2007) Müller cells are living optical fibers in the vertebrate retina. Proc. Natl. Acad. Sci. 104, 8287-8292. (online: http://www.pnas.org/cgi/reprint/104/20/8287)

Labin AM & Ribak EN (2010) Retinal Glial Cells Enhance Human Vision Acuity. Phys. Rev. Lett. 104, 158102.

McAlpine K (2010) Evolution gave flaved eye better vision. New Scientist (2759: 6 May 2010) (http://www.newscientist.com/article/mg20627594.000-evolution-gave-flawed-eye-better-vision.html)

Ullrich H, Winkler N & Junker R (2006) Zankapfel Auge. Ein Paradebeispiel für „Intelligent Design“ in der Kritik. Stud. Int. J. 13, 3-14. (online: http://www.wort-und-wissen.de/sij/sij131/sij131-1.html)

Ullrich H (2008) Augenblicke – raffiniertes Design der Linsenaugen. Stud. Int. J. 15, 32-35. (online: http://www.wort-und-wissen.de/sij/sij151/sij151-4.html)

Autor dieser News: Henrik Ullrich

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