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26.03.09  Von wegen Schrott – immer wieder neue Befunde aus dem Genom

Projekte zur Sequenzierung von Genomen haben gezeigt, dass ein erheblicher Anteil des Erbmoleküls DNA nicht in Proteine (=Eiweißverbindungen) übersetzt wird, in diesem Sinne also nicht codiert. Beim menschlichen Genom (=Erbgut) umfasst nicht-codierende DNA mehr als 95 % des Genoms. Die nicht-codierende DNA wurde von verschiedenen Autoren als „junk DNA“ bezeichnet, d. h. als Abfall der Evolution; eine Sichtweise, die sich zunehmend als voreilig und nicht zutreffend herausstellt.

In Genomprojekten wurden auch Methoden entwickelt, die es ermöglichen diejenigen DNA-Abschnitte zu bestimmen, die in RNA umgeschrieben (transkribiert) werden (Transkriptom). Dadurch rückten DNA-Abschnitte ins Blickfeld, die man als nicht-codierend bezeichnet, weil sie wie eingangs bereits erwähnt nicht durch Transkription und Translation in Peptidpolymere (=aus Aminosäuren gebildete kettenförmige Moleküle) übersetzt werden.

So wurden aus Bereichen nicht codierender DNA z.B. verschiedene Formen von microRNA (miRNA) beschrieben – kurze RNA Stränge (19-23 Nukleotide (=Einzelbausteine der DNA)) –, die durch Bindung an die mRNA die Genexpression (=Ablesen der Gen-Information) regulieren.

Als 1999 die komplette DNA-Sequenz vom Chromoson 22 – und ein Jahr später die erste Version des gesamten menschlichen Genoms – veröffentlicht worden war, untersuchten Rinn et al. (2003) diese Daten nach nicht-codierenden Abschnitten, die dennoch in RNA umgeschrieben (transkribiert) wurden und damit irgendeine Funktion signalisieren. Rinn und seine Kollegen konzentrieren sich seither auf große, eingestreute, nicht-codierende RNA-Abschnitte (large intervening non-coding RNAs; lincRNA). Die Befunde und deren Interpretation als RNA mit Funktion wurden in Fachkreisen durchaus kontrovers diskutiert. Kritiker vermuteten z.B. durch die Analysentechnik bedingte Fehler.

Der Autor präsentierte in einer weiteren Arbeit eine lincRNA mit einer Länge von 2,2 kb (2200 Nukleotide), für die eine Funktion bei der Steuerung von Chromatin-Komplexen (Material aus dem die Chromosomen bestehen, Komplexe aus DNA und Protein) innerhalb der Zelle aufgezeigt werden konnte (Rinn et al. 2007). Das war erst die vierte lincRNA, für die eine Funktion nachgewiesen war (Blow 2009).

Nun hat ein größeres Forscherteam um Rinn (Guttmann et al. 2009) mehr als 1000 lincRNAs in verschiedenen Zellen von Säugetieren (Mäusen) nachgewiesen. Diese lincRNAs liegen eingestreut zwischen Protein-codierenden Bereichen und werden abhängig vom Zustand des Chromatins (d.h. vom Zelltyp) in RNA umgeschrieben. Die Autoren entwickelten neue Methoden zur Funktionsanalyse, mit deren Hilfe sie für ca. 150 lincRNAs deren Beteiligung an verschiedensten Prozessen von der Variabilität (Pluripotenz) embryonaler Stammzellen bis hin zur Zellvermehrung nachweisen konnten (für 85 davon konnte dies in unabhängigen Experimenten bestätigt werden). Für einige dieser nicht-codierenden RNAs konnte gezeigt werden, dass deren Transkription durch spezielle Faktoren (z.B. p53, Sox2, Oct4) reguliert wird. Vor allem betonen Guttmann et al., dass diese Sequenzbereiche hinsichtlich ihrer Anordnung im Genom (genomic loci), ihrer in RNA umgeschriebenen Sequenz (exonic sequence) und den zugehörigen Steuer- und Regulationsbereichen (promotor regions) unter hohem Selektionsdruck zu stehen scheinen. Das bedeutet: sie sind in ihrer Sequenz zu mehr als 95 % konserviert, sie zeigen beim Vergleich zwischen 21 Genomen von Säugetieren nur sehr geringe Substitution (=Änderung einzelner Bausteine). Die auffällig geringe Variation in der Sequenz wird hier also als starker Hinweis auf biologische Aktivität gewertet.

Die Autoren spekulieren insgesamt über eine Funktion der lincRNAs als Transkriptionsfaktoren, dass also diese RNA-Moleküle regulierende Aufgaben in der Umschreibung von DNA-Abschnitten ausüben. Dafür gibt es bisher einige Hinweise, die allerdings weiterer experimenteller Überprüfungen und Bestätigungen bedürfen.

Mit den von Guttmann et al. (2009) vorgelegten Befunden und deren Interpretation wird die Aufgabe noch dringlicher, über neue, bisher nicht etablierte Aufgaben von Genomabschnitten nachzudenken und Methoden zu deren Aufklärung zu entwickeln. Die wertende Bezeichnung als „junk DNA“ hat sich als voreilig (und nicht innovativ) erwiesen. Auch zukünftig – so steht zu erwarten – kann man mit Phantasie und Kreativität in Verbindung mit sorgfältigen Untersuchungsmethoden noch manche bisher unbekannten Funktionen im Genom finden.

 

Literatur

Blow N (2009) Rethinking junk DNA. Nature 458, 240-241.

Guttman M, Amit I, Garber M, French C, Lin MF, Feldser D, Huarte M, Zuk O, Carey BW, Cassady JP, Cabili MN, Jaenisch R, Mikkelsen TS, Jacks T, Hacohen N, Bernstein B, Kellis M, Regev A, Rinn JL, Lander ES (2009) Chromatin signature reveals over a thousand highly conserved large non-coding RNAs in mammals. Nature 458, 223-227.

Rinn JL, Euskirchen G, Bertone P, Martone R, Luscombe NM, Hartman S, Harrison PM, Nelson FK, Miller P, Gerstein M, Weissmann S, Snyder M (2003) The transcriptional activity of human Chromosome 22. Genes Dev. 17, 529-540.

Rinn JL, Kertesz M, Wang JK, Squazzo SL, Xu X, Brugmann SA, Goodnough LH, Helms JA, Farnham PJ, Segal E, Chang HY (2007) Functional demarcation of active and silent chromatin domains in human HOX Loci by noncodimg RNAs. Cell 129, 1311-1323.

 

Autor dieser News: Harald Binder

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