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19.05.08  Das Erbgut des Schnabeltiers: Gen-Mosaik?

Täglich wird die Liste der Organismen, deren Genom (=Erbgut) sequenziert wurde, erweitert, so dass die Nachricht über ein neu analysiertes Genom meistens keine Aufmerksamkeit mehr erweckt und im Rauschen der vielen Daten untergeht. Dennoch fand das jüngst veröffentlichte Genom des Schnabeltiers (Ornithorhynchus anatinus) von vielen populären Wissenschaftsmedien starke Beachtung und interessante Details wurden einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die große Aufmerksamkeit liegt vor allem in der Besonderheit dieses Lebewesens begründet. Das Schnabeltier  (engl. platypus) wird den Säugetieren zugeordnet, weil die weiblichen Tiere Milch produzieren und der Nachwuchs über Hautflecken mit Drüsenfunktion gestillt werden kann. Darüber hinaus zeigt es eine einzigartige Kombination von Merkmalen: sein Pelzkleid unterstreicht die Säugernatur, die Tatsache, dass die jungen Schnabeltiere aus Eiern schlüpfen, rückt es eher in die Nähe von Reptilien oder Vögel. Auch seine Nase, die in einer an einen Entenschnabel erinnernden Form ausgebildet ist, legt einen Vergleich mit Vögeln nahe. Dieser Schnabel enthält ein komplexes System von Sensoren für mechanische und elektrische Signale, die es dem Tier erlauben, im Wasser mit geschlossenen Augen seine Nahrung zu erbeuten, die aus Insektenlarven, Würmern und Krabben besteht. Der Schwanz des Tieres ähnelt dem eines Bibers. An den Hinterbeinen findet sich bei erwachsenen Männchen ein Sporn, in dem das Tier Gift für Auseinandersetzungen bereithält, ein sehr seltenes Kennzeichen bei Säugern, eher typisch für Reptilien. Die Bezeichnung als Kloakentier (Monotremata) beruht darauf, dass bei diesen Tieren – wie bei den Vögeln und vielen Reptilien – nur eine Öffnung für die Geschlechtsorgane, den Harnleiter und den Darm vorhanden ist.

Beim Schnabeltier sind also Merkmale kombiniert, die man typischerweise von ganz verschiedenen Tierklassen kennt. Diese mosaikartige1 Zusammensetzung macht das Schnabeltier zu einer Herausforderung für Biologen, die sich mit der Systematik von Organismen beschäftigen. Auf diesen Sachverhalt weisen die Autoren der Studie über das Genom des Schnabeltiers am Eingang ihrer Veröffentlichung noch einmal ausdrücklich hin und betonen damit die mit dem Genom verknüpften Hoffnungen auf neue Erkenntnisse.

Das Genom des Schnabeltiers liegt verteilt auf 52 Chromosomen vor, wobei es sich um wenige Makro- und viele Mikrochromosomen handelt, darunter 10 Geschlechtschromosomen.

Anzahl der Gene und Geruchssinn. Aufgrund der bisherigen Untersuchungen enthält das Genom 18.527 proteinkodierende Gene, d.h. bei einem Genom aus ca. 2,1 x 109 Nukleotiden (ca. 2/3 der Größe des menschlichen Genoms von ca. 3.1 x 109 Nukleotiden) enthält das Genom des Schnabeltiers größenordnungsmäßig etwa dieselbe Anzahl von Genen wie der Mensch. Überraschend war die hohe Zahl der kodierten Chemorezeptoren und damit der unerwartet gut ausgebildete Geruchssinn, den man bei einem Tier nicht erwartet, das die meiste Zeit im Wasser verbringt. In dieser Hinsicht erweist sich das Schnabeltier den Säugern ähnlicher als den Sauropsidae (eine systematische Gruppe der Landwirbeltiere, die Reptilien und Vögel – sowie deren fossile Vertreter – umfasst).

Eier. Die Eier des Schnabeltiers sind im Vergleich zu denjenigen von Reptilien und Vögeln klein (Durchmesser ca. 4 mm), sie sind wie bei allen Säugern von einer Glashaut (Zona Pellucida) umhüllt. Im Genom des Schnabeltiers sind alle vier vom Menschen bekannten Gene der Glashautproteine kodiert. Die Zahl der kodierten Eidotter-Proteine (Vitellogenine) ist verglichen mit Sauropsidae reduziert; das Ei erscheint damit nicht für eine längerfristige Nahrungsgrundlage des darin befindlichen Embryos geeignet.

Zeitgleich mit der Veröffentlichung in Nature wurden in der Zeitschrift Genome Research mehrere Fachpublikationen zu speziellen Aspekten des Schnabeltier-Genoms (als online-Version) publiziert (Murchison et al. 2008; Park et al. 2008; Schmitz et al. 2008; Veyrunes et al. 2008; Whittington et al. 2008).

mikro-RNA. Murchison et al. 2008 und Schmitz et al. 2008 konzentrierten sich auf die Genabschnitte, in denen kleine RNA-Abschnitte kodiert sind, sogenannte mikro-RNA, die für die Regulation sehr bedeutsam sind. Muchison et al. (2008) merken in ihrer Arbeit an: „Wir fanden, dass im Schnabeltier mikro-RNA, die es nur mit anderen Säugern gemeinsam hat, aber auch solche, die es nur mit Vögeln und Reptilien teilt.“2 und „Damit zeigen sich die ungewöhnlichen morphologischen Eigenschaften auch auf der Ebene des Genoms und sogar auf dem Niveau kleiner RNA-Fragmente.“

Milch. Die Zusammensetzung der Milch des säugenden Schnabeltiers ist ähnlich komplex wie diejenige von Säugern, d.h. sie enthält Zucker, Fette, Milchproteine zur Ernährung und mit antimikrobiellen und weiteren bioaktiven Funktionen. Die Gene für Milcheiweiß-Proteine (Casein) sind im Genom ähnlich wie bei anderen Säugern zusammengruppiert. Bei Säugern stellt man sich vor, dass die Caseingene aus Genen für Zahnschmelzproteine (Enameline) durch Genduplikation hervorgegangen sind. Während adulten (=ausgewachsenen) Schnabeltieren Zähne fehlen, sind diese bei Jungtieren sowie bei fossilen Formen vorhanden.

Gift. Giftproduktion ist bei Säugetieren nur in ganz wenigen Ausnahmefällen beschrieben. Erwachsene Schnabeltier-Männchen können Gift nicht durch einen Biss, sondern mit dem erwähnten Sporn am Hinterbein zum Einsatz bringen. Bisher ist bekannt, dass das Gift des Schnabeltiers einen Cocktail aus mindestens 19 verschiedenen Substanzen darstellt. Die Autoren interpretieren die zugrunde liegenden genetischen Daten als Beispiel für konvergente (d. h. unabhängige) Evolution von Giften in Reptilien und Kloakentieren. Die Gene für die Giftkomponente scheinen durch Genduplikation aus antimikrobiell wirksamen ß-Defensinen hervorgegangen zu sein. Auch Giftstoffe von Schlangen sollen laut K. Belov, einer der Autorinnen von Whittington et al. 2008, durch andere Genduplikationen entstanden sein. Für Belov stellt dies ein „überwältigendes Beispiel für konvergente Evolution“3 dar. Obwohl damit überhaupt nicht verstanden ist, warum das Schnabeltier als eines der auffällig wenigen Beispiele unter den Säugetieren überhaupt Giftstoffe bildet.

Genetische Hinweise auf das Immunsystem zeigen die erwartete Ähnlichkeit zwischen Schnabeltier und anderen Säugern, wobei im Genom des Schnabeltiers mit 214 natürlichen Killerzellenrezeptoren viel mehr Gene vorliegen als beim Menschen (15) oder der Ratte (45).

Chromosomen. Die Chromosomen des Schnabeltiers legen eine Beziehung sowohl zu Säugetieren als auch zu Reptilien nahe. Bei den 52 Chromosomen des Schnabeltiers brachte die Analyse keine Hinweise auf eine Korrelation zwischen der Position von orthologe Gene4 auf den kleinen Schnabeltier-Chromosomen und den Mikrochromosomen von Hühnchen. Die 5 X-Chromosomen zeigen auffällige Ähnlichkeit mit dem Z-Chromosom von Hühnchen und eine geringe im Vergleich zum menschlichen X-Chromosom, was die Autoren als Hinweis dafür interpretieren, dass das X-Chromosom des Schnabeltiers auf das eines vogelähnlichen Reptilienvorläufers zurückgeht.

Schlussfolgerungen. Warren et al. (2008) schreiben in ihren abschließenden Schlussfolgerungen: „Seit der erstmaligen Beschreibung des Schnabeltiers fällt es auf als eine Art mit vermischten Eigenschaften aus Reptilien und Säugetieren, diese Besonderheit findet sich auch auf der Ebene des Genoms wieder.“5

Angesichts dieser Feststellung, dass sich die mosaikartig zusammengesetzten Charakteristika aus Reptilien- und Säuger-typischen Elementen beim Schnabeltier auch auf der genetischen Ebene zeigen, fällt es nicht leicht, die optimistische Erwartung der Autoren zu teilen, dass das Genom des Schnabeltiers die dringend benötigten Informationen liefert, die schnellen Fortschritt bei der Untersuchung der Biologie und Evolution der Säugetiere ermöglichen sollen. Mit anderen Worten, die bisher bekannten Daten zeigen auf genetischer Ebene dieselbe außergewöhnliche Mischung von Elementen, die eigentlich für typisch für Reptilien, Vögel oder Säugetiere sind. Auf genetischer Ebene spiegelt sich also – nicht ganz unerwartet – das wieder, was aus der bisherigen morphologischen (=gestaltlichen) und anatomischen Beschreibung des Schnabeltiers bereits bekannt war: eine mosaikartige Zusammensetzung von Merkmalen, die jedes für sich in anderen Organismen oder ganzen Organismengruppen bekannt sind, aber hier in einzigartiger Weise bei einem besonderen und nur schwer einzuordnenden Lebewesen kombiniert sind. Mit dieser beschreibenden Feststellung ist allerdings entgegen häufig formulierten Andeutungen nicht etwa eine Übergangsform zwischen Reptilien und Säugetieren (und/oder Vögeln und Säugetieren?) nachgewiesen und keine Einsicht in evolutionäre Etappen im Verlauf vermuteter Entwicklungen oder gar in zugrunde liegende Mechanismen gewonnen.

Vollmundige Äußerungen über den „unbezahlbaren“ Beitrag dieser Genom-Sequenz für das Verständnis von biologischen Prozessen der Säugetierevolution (F. Collins) oder: „Das Schnabeltier-Genom hilft uns, Lücken im Verständnis zur Entwicklung des Menschen zu schließen, wie die Evolution des Y-Chromosoms“ (J. Graves) scheinen daher durch die bisher vorliegenden Daten nicht gedeckt zu sein. Vielmehr liegt der Verdacht nahe, dass Wissensfortschritte kurzerhand ohne ausreichende Begründung auch als Fortschritte im Verständnis der Evolution ausgegeben werden – vor allem von der Wissenschaftspresse.

Somit bleibt einmal mehr die Erwartung, dass noch weitere Daten notwendig sind, um die Lücken unseres Verständnisses über die Beziehungen der verschiedenen Klassen von Organismen zu verkleinern und die Einsichten in deren molekularbiologische Zusammenhänge zu erhellen. Die Behauptung „Das Genom des Schnabeltiers löst die Geheimnisse der Evolution der Säugetiere“6 (Genome Research) ist derzeit jedenfalls noch nicht eingelöst.

Anmerkungen

1 Warren et al. (2008) gebrauchen den Begriff „Amalgam“ (Quecksilber-Legierungen): „The platypus genome, as well as the animal, is an amalgam of ancestral reptilian and derived mammalian characteristics.“

2 „Remarkably, we found that the platypus shares microRNA families uniquely with other mammals, but also uniquely with a representative of birds and reptiles,“ und „Thus, the unusual morphology of these animals is also reflected at the genomic level and at the level of its small RNAs.“

3 „Snake venom crotamines have also evolved from beta-defensins in separate gene duplication events, making this a compelling example of convergent evolution.“

4 Orthologe Gene: meist werden darunter Gene aus verschiedenen Organismen verstanden, die funktional ähnlich sind und hohe Übereinstimmung in der Basensequenz aufweisen; sie werden als Erbstück eines gemeinsamen Vorfahren betrachtet.

5 „Since its initial description, the platypus has stood out as a species with a blend of reptilian and mammalian features, which is a characteristic that penetrates to the level of the genome sequence.“

„Platypus genome unravels the mysteries of mammalian evoluton

Literatur 

Murchison EP, Kheradpour P, Sachidanandam R, Smith C, Hodges E, Xuan Z, Kellis M, Grützner F, Stark A, and Hannon GJ (2008) Conservation of small RNA pathways in platypus. Genome Res. doi:10.1101/gr.73056.107.

Park, J, Semyonov J, Chang CL, Yi W, Warren W, and Hsu SYT (2008) Origin of INSL3-mediated testicular descent in therian mammals. Genome Res. doi:10.1101/gr.7119108.

Schmitz, J, Zemann A, Churakov G, Kuhl H, Grützner F, Reinhardt R, and Brosius J (2008) Retroposed SNOfall – A mammalian-wide comparison of platypus snoRNAs. Genome Res. doi:10.1101/gr.7177908.

Veyrunes F, Waters PD, Miethke P, Rens W, McMillan D, Alsop AE, Grützner F, Deakin JE, Whittington CM, Schatzkamer K, Kremitzki CL, Graves T, Ferguson-Smith MA, Warren W, Graves JAM (2008) Bird-like sex chromosomes of platypus imply recent origin of mammal sex chromosomes. Genome Res. doi:10.1101/gr.7101908.

Warren WC et. al (2008) Genome analysis of the platypus reveals unique signatures of evolution. Nature 453, 175- 184. Umfangreiche Supplementary Information online unter: http://www.nature.com/nature/journal/v453/n7192/suppinfo/nature06936.html

Whittington CM, Papenfuss AT, Bansal P, Torres, AM, Wong ESW, Deakin JE, Graves T, Alsop A, Schatzkamer K, Kremitzki C, Ponting CP, Temple-Smith P, Warren WC, Kuchel PW, and Belov, K (2008) Defenisns and the convergent evolution of platypus and reptile venom genes. Genome Res. doi:10.1101/gr.7149808

Autor dieser News: Harald Binder

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